Zum Tode von Peter Lindbergh

Peter Lindbergh - C/O Galerie © Holger Jacobs/ Peter Lindbergh

Zum Tode von Peter Lindbergh

 

Von Holger Jacobs

04.09.2019

English text

Meine persönlichen Erinnerungen an den großen Meister der Modefotografie.

Meine ersten Erinnerungen an Peter Lindbergh gehen in die 70er Jahre zurück, als der Kalender der Zigarettenmarke John Player Special tolle Schwarz-weiß-Fotos mit raffiniert fotografierten Frauen zeigte. Diese Kalender waren damals ebenso begehrt wie heute die Pirelli-Kalender (für die Lindbergh später auch fotografieren sollte).
Meine Recherche hatte ergeben, dass ein gewisser Fotograf namens Peter Lindbergh für diese schönen Bilder verantwortlich war. Da ich selbst ein leidenschaftlicher Fotograf war, blieb mir sein Name im Gedächtnis.

John Player Special Kalender 1981 © John Player Special

Nach meinem Jura-Studium und anschließender Fotografenausbildung ging ich 1984 nach Paris, um die Stadt der Liebe und der schönen Frauen für mich zu erobern.

Um als Fotograf in die Branche reinzukommen gilt die Regel: Zunächst als Assistent eines möglichst bekannten Fotografen zu arbeiten.
Und mein Favorit war natürlich Peter Lindbergh.

Der 1944 als Deutscher im heutigen Polen geborene Peter Brodbeck, der seinen Namen später in Lindbergh änderte, hatte zunächst eine Ausbildung zum freien Maler auf der Kunsthochschule in Krefeld begonnen, ehe er sich 1971 der Fotografie zuwandte, angeregt durch den deutschen Expressionismus und der Kunst der 20er Jahre.

Nach ersten Erfolgen in Deutschland mit Veröffentlichungen im Magazin Stern und mit der oben genannten John Players Special Werbekampagne, folgte Lindbergh Mitte der 70er Jahre dem Ruf nach Paris, der wichtigsten Modestadt der Welt.

Modeproduktion mit Peter Lindbergh auf dem Place de la Concorde 1984 © Peter Lindbergh

In Paris angekommen, geriet Peter Lindbergh an den damaligen Art Director der französischen MARIE-CLAIRE. Ebenfalls ein Deutscher, den es wie Lindbergh nach Paris verschlagen hatte. Durch ihn bekam Lindbergh seine ersten Veröffentlichungen. Sein eigentümlicher Schwarz-Weiß Stil fiel schnell auf und andere Magazine, besonders die italienische und britische Vogue, folgten.
Die französische Vogue war damals noch zu stark vom Stil eines Helmut Newton oder Guy Bourdin geprägt.

Meine erste Anlaufstation in Paris war die Modelagentur ELITE. Dort arbeitete eine deutsche Bookerin namens Sabine. Sie kannte alle deutschen Fotografen in Paris und natürlich auch Peter Lindbergh. Von ihm gab sie mir seine persönliche Adresse; 50, Boulevard Raspail im 6. Arrondissement. Ich ging also hin und zufälligerweise war er auch da. Er öffnete mir, strahlte mir mit seiner herzlichen Art entgegen und meinte „Holger, wie geht’s Dir?“ als würde er mich schon seit Jahren kennen.

Modeproduktion mit Peter Lindbergh im PIN-UP Studio für Comme des Garcons 1984 © Peter Lindbergh

Als Peter Lindbergh mein Anliegen erfuhr, bat er mich am nächsten Tag mit meinem Portfolio in das Fotostudio PIN-UP zu kommen, wo er ein Shooting haben würde.
Gesagt, getan. In einer Pause sah er sich meine Mappe mit Fotografien an und meinte, ich sollte doch einfach mal bei seinen nächsten Shootings dabei sein und zuschauen. Dabei könnte ich am meisten lernen. Assistenten hätte er bereits zur genüge, da gäbe es zurzeit keinen Wechsel.

So lernte ich vor 35 Jahren Peter Lindbergh kennen und begleitete ihn eine Woche lang bei der Modeproduktion für einen Katalog der japanischen Modedesignerin Rai Kawakubo von Comme des Garcons. Wir arbeiteten im PIN-UP Studio und auf dem Place de la Concorde.

Videoproduktion für DAFT PUNK „Get Lucky“, 2013 © Facebook/ Peter Lindbergh

Was war das Besondere an Peter Lindberghs Fotos?

Peter Lindbergh setzte sowohl in technischer Hinsicht als auch inhaltlich neue Maßstäbe in der Modefotografie. Technisch setzte er ganz auf die Schwarz-Weiß-Fotografie mit einer bestimmten Körnigkeit. Diese erlangte er (wir sprechen hier von der analogen Zeit, wo es noch keine Möglichkeiten der Manipulation am Computer gab), indem er einen hochempfindlichen 400 ASA Film eine Blende kürzer belichtete (also unterbelichtete), um den Film dann später bei der Entwicklung im Labor länger im Entwicklerbad zu halten (um die Unterbelichtung wieder auszugleichen).
Auf diese Weise erhielt er die spezielle Lindbergh-Körnigkeit, die seine Fotos damals ausmachten.

Auch inhaltlich ging Peter Lindbergh neue Wege. Ganz anders als seine Kollegen, interessierte er sich nicht für die Mode und den ganzen Glamour drumherum. Was ihn interessierte war der Mensch.
So wurden seine Fotos nicht glamouröse Hochglanzbilder, wie z.B. bei Helmut Newton, sondern sehr persönliche Fallstudien sensibler, junger Frauen.
Entsprechend sahen Peter Lindberghs Modefotos immer mehr wie Portraitfotos aus.
Dabei guckten die Frauen direkt in die Kamera und nicht verschämt auf die Seite. Ihre Präsenz war ihm wichtig!

Christy Turlington by Peter Lindbergh, 90er Jahre © Peter Lindbergh

Hinzu kam seine einnehmende und herzliche Art. Jeder fühlte sich sofort bei ihm wohl. Ob Kunde, Art Director, Moderedakteurin, Designerin oder Model, alle liebten ihn von der ersten Sekunde an.

Mit seinem Foto für das Cover der Januarausgabe der britischen Vogue 1990, auf dem er eine neue Generation von aufstrebenden Models zusammen auf einem Bild fotografierte, begründete  er die Ära der Supermodels.
Alle auf diesem Bild anwesenden, Naomi Campbell, Christy Turlington, Linda Evangelista, Tatjana Patitz und Cindy Crawford, wurden die Superstars des Modebusiness in den 90er Jahren.

Cover der British Vogue Jan. 1990 @ Vogue/ Peter Lindbergh

Nach meiner kurzen Assistenzzeit bei Peter Lindbergh 1984 verloren wir uns aus den Augen. Ich musste mich um meine eigene Karriere kümmern, die zwei Jahre später auch eine Veröffentlichung in der franz. Vogue beinhaltete.

Im Jahre 2010 organisierte die C/O Galerie im ehemaligen Postfuhramt an der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte eine große Ausstellung mit Fotografien von Peter Lindbergh. Bei der Ausstellungseröffnung begrüßten Peter und ich uns herzlich, aber ich glaube nicht, dass er mich nach 26 Jahren wirklich wiedererkannte. Aber ich freute mich sehr ihn wiedergesehen zu haben.

Ausstellung PETER LINDBERGH im Postfuhramt Berlin-Mitte 2010 © Holger Jacobs

Am 3. September 2019 ist Peter Lindbergh von uns gegangen und mit ihm eine ganze Ära.
Er wird allen, die ihn kannten und mit ihm gearbeitet haben, für immer im Herzen bleiben. Er wird uns fehlen.
Rest in Peace, Peter!

Hier unsere Bilderserie mit 7 Fotos aus dem Katalog der Kunsthalle Wien „Images of Women“:

7 photos: Linda Evangelista, Ausstellung „Images of women“, Kunsthalle Wien 1998 © Peter Lindbergh/ Kunsthalle Wien

English text

Supermodel fashion photographer Peter Lindbergh has died
By Holger Jacobs
09/04/2019
My personal memories of the great master of fashion photography.
My first memories of Peter Lindbergh go back to the 70s, when the cigarette brand John Player Special showed great black and white photos with subtly photographed women. These calendars were just as popular then as the Pirelli calendars today. My research had shown that a certain photographer named Peter Lindbergh was responsible for these beautiful pictures. Being a passionate photographer myself, his name stuck in my memories.
After my law studies and studies as a photographer I went to Paris in 1984 to conquer the city of love and beautiful women.
To get into the industry as a photographer, the rule is to work as an assistant to the best known photographer.

John Player Special Kalender 1981 © John Player Special

And of course my favorite photographer was Peter Lindbergh.
Born in 1944 as a German in today’s Poland, Peter Brodbeck, who later changed his name to Lindbergh, first began studies as an art painter at the Kunsthochschule in Krefeld before turning to photography in 1971, inspired by German Expressionism and the art of painting in the 20s.
After his first success in Germany with publications in the magazine STERN and with the aforementioned John Players Special advertising campaign, Lindbergh followed in the mid-70s the call to Paris, the most important fashion city in the world.

Modeproduktion mit Peter Lindbergh auf dem Place de la Concorde © Peter Lindbergh

Arrived in Paris, Peter Lindbergh got to know the Art Director of the French MARIE-CLAIRE. Also a German, who made it to Paris. Through him Lindbergh got his first publications in Paris. His peculiar black and white style quickly became well known and other magazines followed, especially the Italian and British Vogue. At that time French Vogue was still too heavily influenced by the style of Helmut Newton or Guy Bourdin.

My first stop in Paris was the modeling agency ELITE. There worked a German booker named Sabine. She knew all German photographers in Paris and of course Peter Lindbergh. From her I got Lindbergh’s personal address; 50, Boulevard Raspail in the 6th arrondissement.
So I went and coincidentally he was at home. He opened the door, beaming at me with his hearty nature and saying, „Holger, how are you?“ like he has known me for years.

Modeproduktion mit Peter Lindbergh im PIN-UP Studio für Comme des Garcons © Peter Lindbergh

When I told Peter Lindbergh my request, he asked me to come the next day with my portfolio in the photo studio PIN-UP, where he would have a shooting.
So I did. At a break, he looked at my portfolio and said, I should accompany him for his next shootings and just watch. In that way I could learn the most. Assistants, he would have already enough.
That’s how I got to know Peter Lindbergh 35 years ago and accompanied him for a week in fashion production for a catalog for Japanese fashion designer Rai Kawakubo for Comme des Garcons. We worked in the PIN-UP Studios and at the Place de la Concorde.

Videoproduktion für DAFT PUNK „Get Lucky“, 2013 © Facebook/ Peter Lindbergh

What was special about Peter Lindbergh’s photos?

Peter Lindbergh set new standards in fashion photography in terms of both technology and content.
Technically, he relied entirely on black and white photography with a certain graininess. He obtained this (we are talking about the analogous time, where there was still no possibility of manipulation on the computer), by exposing a highly sensitive 400 ASA film one step shorter (so underexposed), then the film later in the laboratory to keep longer in the developer (to compensate the underexposure). In this way he received the special Lindbergh graininess that made his photos famous then.

Contentwise, Peter Lindbergh went new ways. Unlike his colleagues, he was not interested in fashion and all the glamor around it. What interested him was the human, the personality of his models. His photos did not become glamorous glossy images such as with Helmut Newton, but very personal case studies of sensitive, young women. Accordingly, Peter Lindbergh’s fashion photos looked more like portrait photos. The women looked directly into the camera and not ashamed to the side. Her presence was important to him!

Christy Turlington by Peter Lindbergh, 90er Jahre © Peter Lindbergh

Another important attitude was his engaging and cordial manner. Everyone felt comfortable with him right away. Whether customer, art director, fashion editor, designer or model, everyone loved him from the very first second.

Cover der British Vogue Jan. 1990 @ Vogue/ Peter Lindbergh

He founded the era of supermodels with his photo for the cover of the January 1990 issue of British Vogue, in which he photographed a new generation of upcoming models together in one picture. Everyone in this picture, Naomi Campbell, Christy Turlington, Linda Evangelista, Tatiana Patitz and Cindy Crawford, became the superstars of the fashion business in the 90s.
After my brief assistantship with Peter Lindbergh in 1984, we lost contact. I had to take care of my own career, with an publication in the French Vogue two years later.

Ausstellung PETER LINDBERGH im Postfuhramt Berlin-Mitte 2010 © Holger Jacobs

In 2010, the C / O Gallery organized a large exhibition of photographs by Peter Lindbergh in the former Postfuhramt on Oranienburger Straße in Berlin-Mitte. Peter and I welcomed each other warmly at the opening of the exhibition, but I do not think he truly recognized me after 26 years. But personally I was very happy to have met him again.
On the 3rd of September 2019 Peter Lindbergh left us and with him a whole era. He will remain in the hearts of all who knew him and worked with him forever. He will be missed.
Rest in peace, Peter!

Our pictures series 7 photos of „Images of Women“ at Kunsthalle Wien 1998:

7 photos: Linda Evangelista, Ausstellung „Images of women“, Kunsthalle Wien 1998 © Peter Lindbergh/ Kunsthalle Wien

 

 

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

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