Parsifal in der Staatsoper Hamburg

Parsifal - Staatsoper Berlin Foto: Hans-Jörh Michel

Parsifal in der Staatsoper Hamburg

 

Von Julia Engelbrecht-Schnür

21.09.2017

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Die Neuproduktion der Oper „Parsifal“ von Richard Wagner an der Staatsoper Hamburg

Es tut gut im ersten Akt zu glauben, das Bühnenbild werde sich im Verlauf der Handlung wohl noch ändern. Die tiefschwarze, mit geheimnisvollen Chiffren und Kritzeleien bedeckte Konstruktion, die an ein seelenloses, schwach beleuchtetes Parkhaus erinnert, verstehe Regisseur Achim Freyer sicherlich als farblosen Einstieg, als Kontrapunkt zu dem heilbringenden, erlösendem Erkenntnisweg, den Wagner seinen Parsifal nun beschreiten lasse. Noch, so denkt der Zuschauer, symbolisiere die optische Düsternis das leidvolle Dasein einer gepeinigten Gral-Ritterschaft, später werde sich das Licht der Erkenntniskraft, die Erlösung der Weltgeschicke durch das wissende Mitleid des Parsifal sicherlich auch farblich im Bühnenbild zeigen.

Ein Trugschluss. Die Bühne bleibt schwarz, die Kostüme verharren im Gothic-Look und der Heilige Gral glimmt lediglich schwach in Form einer kindlichen Reifrock-Figur vor sich hin. Und dennoch,  diese Inszenierung entpuppt sich nach viereinhalb Stunden als ein erhellendes Gesamtwerk, das die Hamburger bei der Premiere am Sonntag mit großem Applaus – und nur einigen Buhrufen – quittierten. Der 83jährige  Maler, Bühnen- und Kostümbildner Freyer verbeugte sich sichtlich erleichtert vor dem als hanseatisch-streng bekannten Publikum.

Dabei hat der Regie-Altmeister es den Hamburgern zunächst nicht leicht gemacht. Aus dem schwarzem Gestänge des Bühnengrunds, der sich durch eine verspiegelte Decke endlos nach oben fortzusetzen scheint, leuchten nur die weißgeschminkten Gesichtsflächen mit fratzenhaft schwarz umrundeten Augen und Mündern. Diese clownshaften Visagen von Gurnemanz, Parsifal, Klingsor, Kundry und Amfortas schaffen unweigerlich Anonymität und Distanz, dem das Publikum nur schwer Sympathie oder Identifikation entgegen bringen kann. Weiß sind auch die Hände, die der spirituelle Lehrer Gurnemanz (Kwangchul Youn) wie ein Verkehrsmännchen durch die Luft schwingt, weiß auch der geschundene Körper Amfortas’ (Wolfgang Koch), der fortan wie ein Mahnmal kopfüber gleich einer Baselitz-Figur über dem Geschehen baumelt.

Obwohl dieses verstörende Bild-Stakkato in Schwarz-Weiß zunächst keine weihevolle Opernstimmung aufkommen lassen will, ergreift Wagners Klangkosmos und die präzise, zuweilen sehr zurückhaltende Arbeit des Orchesters unter der Leitung von Kent Nagano die Gemüter im Zuschauerraum. Die Paukenschläge im ersten Aufzug künden wahrhaft Großes an, ohne Wagners Hang zum Pathos zu verfallen. Das Mysterium Parsifal entfaltet sich, die seelische Empfindung übersteigt schließlich auch bei erfahrenen Wagnerianern den ewig vergleichenden Verstand. Hier geht es nicht um besser oder schlechter als Bayreuth 2008 (Herheim) oder 2004 (Schlingensief), hier geht es um den Versuch, den Parsifal-Figuren alles Persönliche, Individuelle zu nehmen, so wie es vielerorts in  den mittelalterlichen Orden von Rittern verlangte wurde.

Und obwohl Freyer mächtig in die Komik-Kiste greift, Kundry (Claudia Mahnke) als pummeliges Knäul von der Decke schießen und die „bezaubernden Blumenmädchen“ im zweiten Aufzug als drall-busige Reeperbahn-Bestien auftreten lässt, bleibt die gemüthafte Ernsthaftigkeit der mittelalterlichen Eschenbach-Erzählung auf geheimnisvolle Art gewahrt – oder wird gar erhöht. Denn der kleinkindliche Habitus, das pantomimische Gebaren, das Freyer den Schauspielern auferlegt, verleiht der gesamten Inszenierung eine infantile Unbekümmertheit und Unschuld, die dem Wesen des unwissenden Thors gerecht wird – und die Größe der christlichen Erlösungsidee aufleuchten lässt.

Andreas Schager, der erprobte Parsifal-Tenor (ebenfalls der Parsifal an der Staatsoper Berlin), füllt die Hauptrolle mit Hingabe bar jeder stimmlichen Routine und bricht gemeinsam mit dem koreanischen Bass Kwangchul Youn in der Rolle des Gurnemanz eine  stimmliche Lanze für eine Inszenierung, die alles andere als geschmeidig daherkommt, aber lange nachklingt.

„Parsifal“, Richard Wagner, Staatsoper Hamburg

Musikalische Leitung: Kent Nagano
Inszenierung, Bühne, Kostüme und Licht: Achim Freyer

Andreas Schager (Parsifal)
Wolfgang Koch (Amfortas)
Claudia Mahnke (Kundry)
Vladimir Baykov (Klingsor)
Kwangchul Youn (Gurnemanz)

Nächste Vorstellungen: 24., 27. und 30. September, 3. Oktober 2017

6 Photos: Andreas Schager, Claudia Mahnke, PARSIFAL, Staatsoper Hamburg Foto: Hans-Jörg Michel

 

 english text

The new production of the opera „Parsifal“ by Richard Wagner at the Staatsoper Hamburg

It is a good thing to believe in the first act, that the stage design will change in the course of the action. The dark black, with mysterious ciphers and scribbles covered construction, reminiscent of a soulless, dimly lit parking lot, director Achim Freyer certainly understands as a colorless entry, as a counterpoint to the healing, redeeming path of knowledge that Wagner now allows his Parsifal. Still, the spectator thinks, the optical gloom symbolizes the painful existence of a tormented Grail knighthood; later the light of the cognitive power, the salvation of the world’s sentiments, will surely also show color in the stage design by the knowing compassion of Parsifal.

Wrong. The stage remains black, the costumes persist in a gothic look, and the Holy Grail glimmers only weakly in the form of a childish frostrock figure. And yet, this staging reveals itself after four and a half hours as an illuminating whole, which the Hamburgers with the premiere on Sunday with great applause – and only a few „Buhs“. The 83-year-old painter, stage and costume designer Freyer bowed visibly relieved in front of the critical audience in Hamburg.

Nevertheless, the director-old master did not make it easy for the Hamburgers. From the black linkage of the stage, which seems to be endlessly upward through a mirrored ceiling, only the white-smoothed face surfaces with dark black eyes and mouths. These clownish visions of Gurnemanz, Parsifal, Klingsor, Kundry and Amfortas inevitably create anonymity and distance, which the audience can not easily sympathize with or identify. White is also the hands that the spiritual teacher Gurnemanz (Kwangchul Youn) swerves like a traffic coach, also knows the wretched body Amfortas‘ (Wolfgang Koch), which from then on dangles like a monument to a Baselitz figure over the happening ,

Although this disturbing picture-staccato in black-and-white does not begin to give a delicate operatic mood, Wagner’s sonic cosmos and the precise, sometimes very reserved work of the orchestra under the direction of Kent Nagano seize the minds in the auditorium. The drumbeats in the first elevator truly proclaim great things, without falling into Wagner’s inclination towards pathos. The mystery Parsifal unfolds, and the psychical sensation finally surpasses the eternally comparative understanding even in experienced Wagnerians. This is not about better or worse than Bayreuth 2008 (Herheim) or 2004 (Schlingensief), it is about the attempt to take the Parsifal figurines all personal, individual, as it was in many places in the medieval order of knights ,

Even though Freyer has a mighty impact on the comedy box, Kundry (Claudia Mahnke) shoots from the ceiling as a chubby knot, and the „enchanting flower girls“ in the second elevator appear as drall-busty Reeperbahn beasts, the emotional seriousness of the medieval Eschenbach- Narrative in a mysterious way – or is even increased. For the childish habitus, the pantomime, which Freyer imposes on the actors, gives to the whole production an infantile indifference and innocence, which satisfies the nature of the ignorant Thors, and illuminates the greatness of the Christian idea of ​​salvation.

Andreas Schager, the tried and tested Parsifal tenor (also the Parsifal at the Staatsoper Berlin), fills the lead role with devotion to every vocal routine and, together with the Korean bass Kwangchul Youn in the role of Gurnemanz, breaks a vocal lance for a production that does everything other than supple, but long after.

Author: Julia Engelbrecht-Schnür

Journalistin

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