100 Sekunden – Kammerspiele Berlin

Katharina Matz, 100 Sekunden, Kammerspiele Berlin 2015 © Holger Jacobs

100 Sekunden – Kammerspiele Berlin

von Holger Jacobs

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18.10.2015

Liebe Kulturfreunde,

 

letzten Freitag durfte ich der Probe zum neuen Theaterstück an den Berliner Kammerspielen beiwohnen, welches am Sonntag, den 18.10.2015, Premiere hatte, und war sehr beeindruckt. „100 Sekunden“ erzählt in jeweils 100 Sekunden die Geschichten von Menschen, die sich selbst töteten oder sich der konkreten Gefahr des Todes aussetzten für eine höhere Sache. Wie man die Tat später einschätzt liegt häufig im Blick des Betrachters und der politischen Einstellung. Waren es Märtyrer, waren es Helden oder waren es einfach nur fehlgeleitete Terroristen?

 

Der Mensch ist das einzige Lebewesen, welches unter bestimmten Umständen ganz bewusst seinem Leben ein Ende setzt. Die Gründe sind vielfältig. Doch handelt das Stück nicht von Menschen, die aus Liebeskummer, Geldsorgen oder anderem persönlichem Leid sich umbringen, sondern erzählt von Personen, die für eine ganz bestimmte Sache eintreten und dafür bereit sind das eigene Leben zu riskieren.

 

Die Zuschauer sitzen auf der Bühne. Vier Schauspieler tragen die Geschichten vor, einer nach dem anderen, haben dafür aber jeweils nur 100 Sekunden Zeit. Ein Megafon zählt zwischendurch laut die Sekunden herunter. Dadurch bekommen die Erzählungen noch mehr Dramatik. Der Bogen ist weit gefasst. Von der Antike, der Iphigenie-Sage, bei der Agamemnon seine Tochter Iphigenie den Göttern opfert, über Jean d’ Arc, die sich für Frankreich opferte, über Jean Moulin, den tapferen Kämpfer der Resistance im 2. Weltkrieg, über William Wallace, den schottischen Freiheitskämpfer, über Che Guevara und seinen Freiheitskampf, über Magda Goebbels, die ihre 6 Kinder und sich selbst durch Zyankali-Kapseln tötete, weil sie ihre Kinder einer Welt ohne Hitler nicht überlassen wollte, über Catharina von Georgien, die sich vom Schah Abas I. von Persien 1620 zu Tote foltern ließ, weil sie ihn nicht heiraten und nicht zum Islam konvertieren wollte, oder über Khaled Assad, der von Kämpfern des IS im August 2015 enthauptet wurde, weil er die Kulturstätten von Palmyra beschützen wollte, bis Stanislaw Petrow, der die Welt am 26. September 1983 vor dem 3. Weltkrieg mit Millionen Toten rettete, weil er eine Computermeldung über einen angeblichen Abschuss amerikanischer Atomraketen als Fehlermeldung richtig einschätzte unter der Möglichkeit, dass er sterben könnte, wären die amerikanischen Raketen wirklich abgeschossen worden und in Russland eingetroffen und, und, und.

 

Die Liste ist lang und man könnte sicher noch viele Stunden weitere Beispiele von Heldentaten oder auch Nicht-Heldentaten erzählen. Von schrecklichen Verbrechen und grausamen Zerstückelungen.

 

Nach 2/3 des Abends wechseln alle Zuschauer von der Bühne zusammen mit den Schauspielern in den eigentlichen Zuschauerraum. Dort werden nun am Klavier kleine Songs zum Besten gegeben und weitere, aber weniger dramatische Geschichten erzählt. Dadurch flacht die Spannung leider ab. Schade. Am Schluss werden noch einmal Hunderte von Kerzen auf der Bühne angezündet und Publikum und Schauspieler verharren in Stille.

 

Ein weiteres politisches Drama am Deutschen Theater mit hoher Brisanz. Denn täglich nimmt sich auf der Welt ein Mensch das Leben aus den verschiedensten Gründen.
Märtyrer, Helden oder Terroristen? Letztlich bleibt nur die Trauer über die Toten.

 

Regie: Christopher Rüping
Kostüme: Anna Maria Schories
Bühne: Anne Ehrlich
Es spielen: Michael Goldberg, Camill Jammal, Katharina Matz und Wiebke Mollenhauer

Nächste Vorstellungen am 22., 24., 25., Oktober und 4., 14. Und 16. November 2016.

 

Katharina Matz, 100 Sekunden, Kammerspiele Berlin 2015 © Holger Jacobs

38 Bilder: Katharina Matz, 100 Sekunden, Kammerspiele Berlin 2015 © Holger Jacobs

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

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