Berlin, Berlin – 20 Jahre Helmut Newton Stiftung
Von Holger Jacobs
7.6.2024
Wertung: 🙂 🙂 🙂 🙂 (vier von fünf)
Zum Jubiläum der Helmut Newton Stiftung legt die neue Ausstellung den Schwerpunkt auf Fotos über Helmut Newtons Geburtsstadt Berlin
Helmut Newton
Als HELMUT NEWTON (ursprünglich Helmut Neustädter) am 31. Oktober 1920 in Berlin-Schöneberg (Innsbrucker Straße 24) geboren wurde, war der 1. Weltkrieg gerade zu Ende gegangen und Deutschland versuchte sich sowohl wirtschaftlich, wie politisch neu zu orientieren.
Dank seiner wohlhabenden Eltern (der Vater war Knopffabrikant) hatte Helmut ein sorgenfreies Leben und genoss als Teenager das Leben mit hübschen Mädchen und Feiern am Ufer des Wannsees. In dieser Zeit kam ihm wohl auch die Idee diese vielen aufregenden Frauen im Bild festzuhalten. So verließ er die Schule und wurde mit 16 Jahren Assistent der Modefotografin Yva (eigentlich Else Neuländer-Simon).
Als die Lage für jüdische Bürger in Deutschland nach der Machtübernahme Hitlers immer bedrohlicher und der Vater in der Reichskristallnacht 1938 kurzzeitig inhaftiert wurde, steckten Helmuts Eltern den mittlerweile 18-jährigen Jungen kurzfristig in einen Zug nach Triest, von wo er mit anderen jüdischen Flüchtlingen auf einem Schiff Richtung Asien fahren sollte (Seine Eltern konnten später ebenfalls erfolgreich nach Argentinien flüchten).
In Singapur angekommen, beschloss HELMUT NEWTON vorerst zu bleiben und arbeitete dort als Fotograf für eine ortsansässige Zeitung.
Doch als im September 1939 der 2. Weltkrieg ausbrach wurde er wegen seinem deutschen Pass von den Engländern interniert (Singapur war damals noch britische Kronkolonie) und nach Australien verfrachtet.
1942 wurde HELMUT NEWTON aus dem Internierungslager entlassen und arbeitete zunächst als Erntehelfer und Lastwagenfahrer.
Nach dem Krieg nahm er die britische Nationalität an (er konnte wohl überzeugend darstellen, dass er kein böser Nazi, sondern ein jüdischer Flüchtling war).
In dem australischen Internierungslager Tatura hatte sich HELMUT NEWTON mit zwei anderen Mithäftlingen angefreundet, WOLFGANG SIEVERS und HENRY TALBOT. Mit Henry gründete er sein erstes eigenes Fotostudio in der hippen Flinders Lane in Melbourne und arbeitete für Modefirmen, Theaterkompanien und Industrie. Angenommen wurde alles, um finanziell über die Runden zu kommen.
Mit WOLFGANG SIEVERS organisierte er seine erste Fotoausstellung im Hotel Federal in der Collins Street unter dem Namen „New Visions in Photography“.
HELMUT NEWTONS Durchbruch kam, als er 1955 für die britische VOGUE (damals gab es in Europa nur eine französische und eine britische Ausgabe und auch noch keine australische) eine Modestrecke fotografieren durfte.
HELMUT NEWTONS Bilder kamen bei den Verantwortlichen in London so gut an, dass er von ihnen einen Exklusiv-Vertrag für ein Jahr bekam (diese Vereinbarungen waren damals üblich, um bestimmte Fotografen an ein Verlagshaus zu binden; fest angestellt wurden Fotografen aber nie – bis heute).
Im Jahre 1957 übersiedelte er zusammen mit seiner australischen Frau June, die er 1948 geheiratet hatte, nach London.
Ein Jahr später zogen beide nach Paris.
Als 1959 die Australian VOGUE gegründet wurde ging HELMUT NEWTON zurück nach Melbourne und arbeitete für die dortige Ausgabe.
Doch ab 1961 zogen HELMUT und JUNE NEWTON endgültig nach Europa und ließen sich in Paris in der rue Aubriot im 4. Arrondissement nieder.
Danach begann sein Siegeszug als international anerkannter Modefotograf. Dabei wurde sein erotisch-provokanter Stil sein Markenzeichen.
Ob seine explizit sexualisierten Aufnahmen heute nach den vielen @MeToo Debatten und dem Bekanntwerden von Missbrauchsfällen in der Modelbranche überhaupt noch möglich wären ist unwahrscheinlich.
Doch der Drang nach freier Sexualität in den 60er und 70er Jahren ermöglichten sehr freizügige Modeaufnahmen.
Zu dem Model JERRY HALL (spätere Ehefrau von Mick Jagger) soll er einmal gesagt haben, als sie sich weigerte sich auszuziehen: „It’s art, Baby!“
Der Rest ist Geschichte.
HELMUT NEWTON starb am 23. Januar 2004 in Los Angeles an einem Herzinfarkt. Seine Urne liegt in einem Ehrengrab auf dem Städtischen Friedhof in Berlin-Schöneberg in der Stubenrauchstrasse 43.
Die Helmut Newton Stiftung
Im Jahre 2000 zeigte die Neue Nationalgalerie in Berlin anlässlich HELMUT NEWTONS 80. Geburtstag eine große Retrospektive des Meisters unter dem Titel „Helmut Newton: Work“.
Dabei kam HELMUT NEWTON in Kontakt mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, denen alle Staatlichen Museen in Berlin untergeordnet sind.
Bei einem Treffen mit PROF. KLAUS SCHUSTER, dem damaligen Direktor der Staatlichen Museen zu Berlin, äußerte HELMUT NEWTON den Wunsch, sein Archiv und seinen Nachlass der Stadt Berlin zu spenden.
Es traf sich, dass ein ehemaliges Offizierskasino aus dem Jahre 1909 direkt am Bahnhof Zoo, welches im 2. Weltkrieg nicht zerstört und im Besitz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz war, quasi leer stand und der Kunstbibliothek nur als Lager diente.
So wurde der Gründungsvertrag der Helmut Newton Stiftung mit Sitz in Zürich im Jahre 2003 untereschrieben, finanziert aus dem Vermögen des Meisters. Auch die Kosten für die Renovierung und Einrichtung der zwei unteren Geschosse, die der Stiftung dauerhaft für Ausstellungen zur Verfügung gestellt wurden, übernahm HELMUT NEWTON.
Für das dritte Geschoss, dem sogenannten „Kaisersaal“ (600 qm groß, 11 Meter hoch), wurde von den Staatlichen Museen zu Berlin ein Museum für Fotografie aus den Beständen der Kunstbibliothek geplant (Eröffnung war 2010).
Deren Renovierung übernahm der Bund, sowie die Kosten für den Unterhalt des gesamten Gebäudes.
Eröffnet wurden die Räumlichkeiten der Helmut Newton Stiftung am 3. Juni 2004 mit der Ausstellung „Us and Them“. Seitdem werden zweimal jährlich neue Ausstellungen mit den Fotografien von HELMUT NEWTON in immer anderen Konstellationen organisiert.
Der Meister selbst konnte die Eröffnung nicht mehr erleben: Er war bereits im Januar 2004 an einem Herzinfarkt gestorben (siehe oben).
Die Ausstellung „Berlin, Berlin“
Nachdem bereits viele Themen in den vielen Ausstellungen der letzten Jahre in der Helmut Newton Stiftung behandelt wurden, wie z.B. „Pages of Glossies“ (2015) über die Veröffentlichungen von HELMUT NEWTON in Modemagazinen oder „Murder Mystery Tour“(2016) über HELMUT NEWTONS Aufnahmen, die wie Crime Scenes aussehen oder „Between Art & Fashion“ (2018) über Helmut Newtons Fotografien als Kunstwerke in Museen bis zu den berühmten „Nudes“ (2018) über seine Aktaufnahmen und seine „Dressed – Undressed“ Modestrecken in der italienischen und französischen VOGUE – hat sich das Team um Chefkurator Dr. MATTHIAS HARDER dazu entschlossen, für die Jubiläumsausstellung die Bilder herauszusuchen, die HELMUT NEWTON mit seiner Geburtsstadt Berlin verbindet.
Angefangen von seinen eigenen Fotos, die er bereits in den 50er Jahren noch vor dem Fall der Mauer in Berlin aufgenommen hat, sowie Modestrecken, die in Berlin für Modemagazine entstanden sind, wie für DIE ZEIT, CONSTANZE oder für die Erstausgabe der deutschen VOGUE im September 1979 mit dem Titel „Berlin, Berlin“.
Deren Titel wurde jetzt auch als Titel dieser Ausstellung gewählt.
Dem gegenübergestellt werden in einem zweiten Teil Bilder von Fotografen, die ebenfalls die Stadt Berlin als besonderes Motiv gewählt haben.
Das fängt an mit historischen Fotos des russischen Fotografen Jewgeni Chaldej, der in den letzten Kriegstagen 1945 u.a. den zerstörten Reichstag auf Film festhielt. Oder die Modefotos von F.C. GUNDLACH von 1961, häufig an denselben Orten fotografiert, wie die Modestrecken von HELMUT NEWTON. Oder die Stand-Bilder aus WIM WENDERS berühmten Film „Himmel über Berlin“ von 1987, bis zu BARBARA KLEMMS Fotografien, als sie den Fall der Berliner Mauer im November 1989 am Brandenburger Tor dokumentierte.
Fazit: Wieder einmal eine spannende Ausstellung mit vielen noch unbekannten Fotos von HELMUT NEWTON, wie denen aus dem in den 70er und 80er Jahren sehr angesagten Restaurant „Exil“ (siehe Bilderserie).
„Berlin, Berlin“ – 20 Jahre Stiftung Helmut Newton
07.06.2024 – 16.02.2025
Museum für Fotografie
Jebenstrasse 2
10623 Berlin
Di – So 11 – 9 Uhr (Do – 20 Uhr)
Bilderserie mit 20 Fotos der Ausstellung:
English text
Berlin, Berlin – 20 years of the Helmut Newton Foundation
By Holger Jacobs
Rating 🙂 🙂 🙂 🙂 (four out of five)
To mark the anniversary of the Helmut Newton Foundation, the new exhibition focuses on photos of Helmut Newton’s birthplace, Berlin
Helmut Newton
When HELMUT NEWTON (originally Helmut Neustädter) was born on October 31, 1920 in Berlin-Schöneberg (Innsbrucker Straße 24), World War I had just ended and Germany was trying to reorient itself both economically and politically.
Thanks to his wealthy parents (his father was a button manufacturer), Helmut had a carefree life and, as a teenager, enjoyed life with pretty girls and parties on the banks of Lake Wannsee. It was probably during this time that he came up with the idea of capturing these many exciting women in pictures. So he left school and at the age of 16 became an assistant to the fashion photographer Yva (actually Else Neuländer-Simon).
When the situation for Jewish citizens in Germany became increasingly threatening after Hitler came to power and his father was briefly imprisoned during Kristallnacht in 1938, Helmut’s parents put the now 18-year-old boy on a train to Trieste, from where he was to travel on a ship to Asia with other Jewish refugees (his parents were later also able to successfully flee to Argentina).
When he arrived in Singapore, HELMUT NEWTON decided to stay for the time being and worked there as a photographer for a local newspaper.
But when World War II broke out in September 1939, he was interned by the English because of his German passport (Singapore was still a British crown colony at the time) and shipped to Australia.
In 1942, HELMUT NEWTON was released from the internment camp and initially worked as a harvest worker and truck driver.
After the war, he adopted British nationality (he was able to convincingly demonstrate that he was not an evil Nazi, but a Jewish refugee).
In the Australian internment camp Tatura, HELMUT NEWTON became friends with two other inmates, WOLFGANG SIEVERS and HENRY TALBOT. With Henry, he founded his first own photo studio in the hip Flinders Lane in Melbourne and worked for fashion companies, theater companies and industry. He accepted anything to survive financially.
He organized his first photo exhibition with WOLFGANG SIEVERS in the Hotel Federal in Collins Street under the name „New Visions in Photography“.
HELMUT NEWTON’S breakthrough came in 1955 when he was allowed to photograph a fashion series for British VOGUE (at that time there was only a French and a British VOGUE edition in Europe and no Australian edition either).
HELMUT NEWTON’S pictures were so well received by those in charge in London that they gave him an exclusive contract for a year (these agreements were common at the time to bind certain photographers to a publishing house; photographers were never permanently employed – until today).
In 1957 he moved to London with his Australian wife June, whom he had married in 1948.
A year later they both moved to Paris.
When Australian VOGUE was founded in 1959, HELMUT NEWTON returned to Melbourne and worked for the local edition.
But in 1961, HELMUT and JUNE NEWTON moved to Europe for good and settled in Paris on rue Aubriot in the 4th arrondissement.
After that, his triumphal march as an internationally recognized fashion photographer began.
His erotic and provocative style became his trademark.
It is unlikely that his explicitly sexualized photos would still be possible today after the many @MeToo debates and the revelation of cases of abuse in the modeling industry.
But the urge for free sexuality in the 60s and 70s made very revealing fashion photos possible.
He is said to have once said to the model JERRY HALL (later wife of Mick Jagger) when she refused to undress:
„It’s art, baby!“
The rest is history.
HELMUT NEWTON died of a heart attack on January 23, 2004 in Los Angeles. His urn lies in an honorary grave in the municipal cemetery in Berlin-Schöneberg at Stubenrauchstrasse 43.
The Helmut Newton Foundation
In 2000, on the occasion of HELMUT NEWTON’s 80th birthday, the Neue Nationalgalerie in Berlin showed a major retrospective of the master under the title „Helmut Newton: Work“.
Here, HELMUT NEWTON came into contact with the Prussian Cultural Heritage Foundation, to which all state museums in Berlin are subordinate.
At a meeting with PROF. KLAUS SCHUSTER, the then director of the Berlin State Museums, HELMUT NEWTON expressed his wish to donate his archive and his estate to the city of Berlin.
It so happened that a former officers‘ mess from 1909 right next to Zoo Train Station, which had not been destroyed in World War II and was owned by the Prussian Cultural Heritage Foundation, was practically empty and only served as a storage facility for the Kunstbibliothek.
So the founding contract of the Helmut Newton Foundation based in Zurich was signed in 2003, financed from the master’s assets.
HELMUT NEWTON also covered the costs for the renovation and furnishing of the two lower floors, which were made available to the foundation for permanent exhibitions.
For the third floor, the so-called „Kaisersaal“ (600 square meters, 11 meters high), the Berlin State Museums planned a Museum of Photography from the holdings of the Kunstbibliothek (opening in 2010).
The federal government covered the renovation costs for the Museum of Photography, as well as the costs for the maintenance of the entire building.
The Helmut Newton Foundation were opened on June 3, 2004 with the exhibition „Us and Them“.
Since then, twice a year new exhibitions with HELMUT NEWTON’s photographs have been organized in always new constellations.
The master himself was unable to see the opening: he had already died of a heart attack in January 2004 (see above).
The exhibition “Berlin, Berlin”
After many topics have already been covered in the many exhibitions in the Helmut Newton Foundation in recent years, such as „Pages of Glossies“ (2015) about HELMUT NEWTON’s publications in fashion magazines or „Murder Mystery Tour“ (2016) about HELMUT NEWTON’s photos that look like crime scenes or „Between Art & Fashion“ (2018) about CARLA SOZZANI’s (Italian VOGUE editor-in-chief) archiv of fashion photographs or „Nudes“ (2018) about HELMUT NEWTONS nude photos – the team led by chief curator Dr. MATTHIAS HARDER decided to select the pictures for the anniversary exhibition that connect HELMUT NEWTON with his birthplace Berlin.
Starting with his own photos, which he took in Berlin in the 1950s before the fall of the Berlin Wall, as well as fashion series that were created in Berlin for fashion magazines such as DIE ZEIT, CONSTANZE or for the first edition of German VOGUE in September 1979 with the title „Berlin, Berlin“.
The title of this has now also been chosen as the title of this exhibition.
The second part contrasts with images from photographers who also chose the city of Berlin as a special motif.
It starts with historical photos by the Russian photographer Yevgeny Khaldei, who captured the destroyed Reichstag on film in the last days of the war in 1945, among other things. Or the fashion photos by F.C. GUNDLACH from 1961, often photographed in the same locations as the fashion series by HELMUT NEWTON. Or the still images from WIM WENDERS‘ famous film „Wings of Desire“ from 1987, to BARBARA KLEMM’s photographs when she documented the fall of the Berlin Wall in November 1989 at the Brandenburg Gate.
Conclusion: Once again an exciting exhibition with many still unknown photos by HELMUT NEWTON, such as those from the „Exil“ restaurant, which was very popular in the 70s and 80s (see picture series).
„Berlin, Berlin“ – 20 years of the Helmut Newton Foundation
07.06.2024 – 16.02.2025
Museum of Photography
Jebenstrasse 2
10623 Berlin
Tue – Sun 11 a.m. – 9 a.m. (Thu – 8 p.m.)
Picture series with 22 photos of the exhibition:
Author: Holger Jacobs
Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.