Der Fliegende Holländer – Deutsche Oper Berlin
Von Gil Eilin Jung
9.5.2017
🙂 🙂 🙂 🙂 (vier von fünf)
Drama, Baby – die letzte Wagner-Premiere für 2017 an der Deutschen Oper Berlin überzeugt mit fabelhaften Solisten, einem Chor der Gänsehaut erzeugt und einem eindrucksvollen Bühnenbild
Handlung
Der Seemann Daland muss mit seiner Mannschaft auf dem Weg in den heimatlichen Hafen in einer Bucht Zwischenhalt einlegen. Ein schwerer Sturm hat den Seefahrer und seine Crew in die Knie gezwungen. Während die Männer ruhen, legt ein mysteriöses Schiff an und mit ihm die nebulöse Gestalt des Holländers. Bedrückt berichtet er von seiner grausamen Irrfahrt durch die Weltmeere – ein nicht endend wollender Horrortrip auf See. Durch einen Fluch ist er verdammt, bis in alle Ewigkeit weiterzusegeln, an Bord eines Geisterschiffes und einer Mannschaft von Untoten. Daland erfährt, dass einzig die Liebe und Treue einer Frau den Fluch brechen kann. Bewegt von so viel Tragik und geblendet von Schätzen, die der Holländer im Tausch für diese Liebe stellt, willigt Daland ein mit seiner Tochter als Pfand. Als sich der Sturm legt, setzen beide ihren Weg in Dalands Heimat fort.
In Dalands Haus fiebern unterdessen die Frauen der Rückkehr ihrer See-Männer entgegen. Nur eine von ihnen – Dalands Tochter Senta – ist seltsam abwesend. Wie besessen umklammert sie das Bildnis eines Unbekannten, der der Sage nach verflucht durch die Weltmeere irrt, auf der Suche nach der Einen, die ihn retten kann. Durchdrungen von der Idee, diesen Mann zu finden, weißt sie Erik zurück, den Jäger, der sie aufrichtig liebt und für sich gewinnen will. Ein unheilvoller Traum, indem Erik Sentas Begegnung mit dem Holländer voraussagt, bestätigt das Mädchen nur noch in ihren Absichten. Als schließlich ihr Vater mit dem fremden Gast eintrifft, der sich als Objekt ihrer Obsession herausstellt, entfaltet sich eine düstere Eigendynamik. Ihres Vaters Wunsch folgend und Eriks Warnungen zum Trotz willigt Senta sofort in die Ehe mit dem Holländer ein.
Im Heimatport liegen beide Schiffe beieinander. Dalands Männer feiern mit ihren Mädchen und locken die Crew des Holländers. Doch von dessen Schiff ist nur beängstigendes, geisterhaftes Raunen zu hören, aber keine Seele, die sich zeigt. Während dessen wird der Holländer Zeuge eines Disputes zwischen Senta und Erik, der ihn glauben lässt, Senta habe ihren Treueschwur bereits gebrochen. Voller Verzweiflung über seine nun für alle Zeiten verdammte Seele, verstößt er Senta. Um sie aber vor demselben Schicksal zu bewahren, kehrt er auf sein Schiff zurück. Senta eilt ihm nach, um ihm noch einmal ihre „Treue bis in den Tod“ zu versichern. Doch der Holländer erhört sie nicht. Ohne Erfolg versucht Erik Senta davon abzuhalten sich zu töten. Als ihr das schließlich doch gelingt, versinkt das Schiff des Holländers und er ist erlöst.
Hintergrund
Der fliegende Holländer basiert auf einer mit Seemannsgarn und dunkler Fantasie durchwirkten Legende aus dem 18. Jahrhundert. Lange, bevor Schriftsteller wie Wilhelm Hauff oder Heinrich Heine die Thematik aufnahmen, machte die Mär vom unglückseligen Holländer die Runde, der auf einem schwarzen Geisterschiff mit blutroten Segeln durch eine nasse Hölle schaukelt, aus der es kein Entrinnen zu geben scheint. Heine soll das 1827 in London uraufgeführte Theaterstück „The Flying Dutchman“ zu einem Part seiner Erzählung der „Memoiren des Herren von Schnabelewopski“ von 1834 inspiriert haben. Diese wiederum diente Richard Wagner als kreative Vorlage für seine im Jahr 1843 in Dresden uraufgeführte „romantische Oper in drei Akten“. Im US-Kino-Kassenschlager „Fluch der Karbik – Pirates of the Caribbean“ wurde die Holländer-Thematik 2006 aufgenommen. Davy Jones hieß der Kapitän des Geisterschiffes „The Flying Dutchman“, der buchstäblich herzlos darum schacherte, wieder sterblich zu werden.
Kritik
In Zeiten von Parship, Tinder und aktuellen Trennungsstatistiken mutet es ein wenig seltsam an, wenn von Treue bis in den Tod die Rede ist und von bedingungsloser Liebe – Themen, die so ausgestorben scheinen wie Saurier. Aber die Schmerzen der Liebe kennen wir alle und auch die Angst und brennende Einsamkeit. Aber auch wenn das Absolute dahinter in unseren Zeiten angemottet sein mag, die Emotionen des Fliegenden Holländers sind es nicht. Das verdankt die fabelhaft gelungene Inszenierung von Christian Spuck der eindringlichen und wundervollen Stimme der schwedischen Sopranistin Ingela Brimberg. Sie schenkt der Senta eine Leidenschaft und Sehnsucht, die mitreißt. Wunderbar auch Tobias Kehrer in der Rolle des Daland, der eigentlich nur Gutes will und Thomas Blondelle, der den verzweifelten Erik so herzzerreißend singt, dass man ihm jede Note abkauft. Nicht zu vergessen auch Samuel Youn, der den Hauptpart des Holländers mit seinem traurig-schönen Bassbariton eine tiefe Emotion verleit, vom Publikum am Ende jedoch mit einigen Buh-Rufen bedacht wird, weil seine Stimme krankheitsbedingt ein wenig blasser klang, als die seines weiblichen Counterparts Ingela Brimberg.
Ganz herausragend ist auch der Chor der Deutschen Oper Berlin unter der Leitung von Raymond Hughes.
Seht dazu unser Video „Steuermann, lass die Wacht“ auf kultur24.berlinTV:
Der Chor, begleitet von einem frenetisch bejubelten Orchester unter der Leitung von Donald Runnicles, versehen mit einer stimmlichen Power, die wieder und wieder zu wahren Gänsehaut-Ausbrüchen führt. Perfekt zur düsteren, schweren, aber dennoch nicht erdrückenden Kost präsentiert sich das schlicht gehaltene, aber auf seine Art barock wirkende Bühnenbild von Rufus Didwiszus und die wunderbaren, monochromen dazu korrespondierenden Kostüme von Emma Ryott. Als titelgebende Schiffskulisse ist nur ein kleines Modell auf der Bühne, für den atmosphärischen Rest sorgt ein Regenband, das die Bühne am Boden wie ein Seitenarm des Meeres unterteilt, als Synonym für Unheil, Unheimliches und als Abgrenzung zwischen Dies- und Jenseits.
Mit weniger als 2:20 Stunden Spielzeit ist der Fliegende Holländer beinahe ein Wagner light – aber einer, den tiefer geht, als man glaubt und länger nachwirkt, als vermutet. Eine wirklich gelungene Inszenierung.
Deutsche Oper Berlin
Bismarckstraße 35
10627 Berlin
Nächste Vorstellungen: 11., 16. und 20. Mai sowie am 4. und 10. Juni 2017.
Author: Gil Jung
Journalistin und Public Relation Managerin, schrieb viele Jahre für die Lifeystyle-Seite der Welt am Sonntag