Die Bücher Tipps im Februar 2020

Die Bücher Tipps im Februar @ Hanser, Picus, Okapi, dtv/ kultur24.berlin

Die Bücher Tipps im Februar 2020

 

Von Jörg Braunsdorf


15.02.2020

only in german

Unser Autor, Jörg Braunsdorf, Besitzer der Buchhandlung Tucholsky in der Tucholskystr. 47 in Berlin-Mitte,
nennt Euch einmal im Monat seine interessantesten Neuerscheinungen auf dem Büchermarkt (Anm. d. Red.).

Ken Krimstein, Die drei Leben der Hannah Arendt, dtv

Aus dem Amerikanischen von Hanns Zischler. Illustrationen vom AutorKen Krimsteins Cartoons erscheinen u.a. im ›New Yorker‹, in ›Punch‹, und dem ›Wall Street Journal‹.

Das Buch erzählt das Leben und Schreiben der 1906 geborenen Hannah Arendt, die es bis zu ihrem Tod in New York im Jahr 1975 abgelehnt hat, Philosophin genannt zu werden.

Der US-amerikanische Autor und Cartoonist Ken Krimsteim erzählt mittels einer Graphic Novel ihr Leben, bewusst nicht als Biografie, sondern als Interpretation ihres vielschichtigen Lebens und ordnet es in drei Lebensabschnitte:

Früh beginnt Hannah Arendt sich für Philosophie zu interessieren, besucht Vorlesungen u.a. bei Heidegger, wird dessen heimliche Geliebte, promoviert bei Karl Jaspers.

Hannah Arendt in jungen Jahren

1933 muss sie vor den Nazis flüchten und erreicht über Umwege Paris. In ihrem zweiten Lebensabschnitt ist sie für längere Zeit Staatenlose, unterstützt zionistische Jugendorganisationen, hält vielbesuchte Vorträge, lässt sich scheiden, heiratet erneut und lernt Walter Benjamin kennen.

1941 beginnt der dritte und letzte Abschnitt in New York, wohin sie und ihr neuer Mann ins Exil geflüchtet sind. Benjamin hat sich umgebracht. 1950 betritt sie zum ersten Mal wieder Deutschland. Sie beginnt, über die Nachkriegssituation zu schreiben und sich kritisch gegenüber Heideggers Nähe zum Nationalsozialismus zu äußern. Als Reporterin der Zeitschrift „New Yorker“ berichtet sie über den Eichmann-Prozess und polarisiert mit dem „Bericht über die Banalität des Bösen“.

Ken Krimsteins Zeichnunen sind skizzenhaft, wie von leichter Hand aufs Papier geworfen, einnehmend und (manchmal) humorvoll. Diese Grahic Novel lädt auch schon jugendliche Leser ein, sich intensiver mit dem Leben und Wirken der prägenden Person des 20. Jahrhunderts zu beschäftigen.

„Die drei Leben der Hannah Arendt“ © dtv Verlag

Nadja Klier, 1988 – Wilde Jugend, Okapi Verlag

In diesem autobiographischen Roman erzählt Nadja Klier über ihre Jugendjahre von 1986 – 1989. Sie lebt als Jugendliche mit ihrer Mutter, diese ist Theaterregisseurin, im Prenzlauer Berg. 1988 folgt das Berufsverbot für die Mutter, Hausdurchsuchungen und Überwachung durch die Stasi, Gefängnisaufenthalt der Mutter. Im selben Jahr wird die Familie aus politischen Gründen zwangsausgebürgert.

Die Geschichte der Jugendlichen Nadja Klier spielt in den zwei Welten der geteilten Stadt Berlin, die auch heute noch tragend für den Alltag in der Stadt ist. Wer hinschaut und zuhört erfährt möglicherweise in der Nachbarschaft, im Freundeskreis, oder im beruflichen Alltag ähnliche Erzählungen. Wer mit offenen Augen durch Berlin läuft, wer Berlin liest, spürt das Wechselspiel von Entwurzelung, Festhalten, von Verlust und Neuanfang. Nadja Kliers Geschichte bietet auf 313 Buchseiten einen persönlichen, authentischen, unverstellten Einblick in ihr Leben. Aus solchem Erleben speist sich die heutige Wirklichkeit und deshalb ist diese Erzählung für Alle, ob Ost- oder Westsozialisiert, so spannend und geeignet, auch das heutige Leben aus der Vergangenheit zu verstehen und zu gestalten. Berlin ist so vielschichtig, nicht nur Hauptstadt – wir müssen nur zuhören, oder lesen.

„1988 -Wilde Jugend“ © Okapi-Verlag

Delia Owens, Der Gesang der Flußkrebse, Hanser Verlag

Aufschlagen, Zeit nehmen, Lesen – am besten ohne Pause! Kein Wunder, daß die unabhängigen Buchhandlungen in Deutschland dieses Buch im Herbst 2019 zu ihrem Lieblingsbuch gekürt haben (Das Schöne an der Bücherwelt ist ja, dass die Wahl immer so schwer fällt).

Wir lesen die Geschichte der sechsjährigen Kya, sie lebt im Marschland North Carolinas. Ihre Familie hat sie peu a peu verlassen. Nachdem ihr Vater ebenfalls verschwindet, bleibt ihr noch ein altes brüchiges Haus, das verbeulte Boot und der Wille zum Leben.

Kya lernt mit den Tieren und im Rhytmus der Natur leben – Nature Writing vom Feinsten! Nicht möglich, am Selbstbehauptungswillen der Heranwachsenden teilzunehmen, ohne ihr die Daumen zu drücken, dass ES gelingen möge.

Natürlich, der Roman ist eine lange Lebensgeschichte, eine schöne Liebesgeschichte, erwirkt Spannung aus einem kriminellen Plot, der von Anfang an im Raum steht und in einer atemberaubenden Gerichtsreportage mündet.

Kein Wunder, dass die Romanheldin in eine Reihe mit den literarischen Figuren Huckleberry Finn, Holden Caulfield oder Scout Finch gestellt wird – zurecht!

Delia Owens, die Autorin , erforschte als Zoologin das Leben von Elefanten, Löwen und Hyänen in freier Wildbahn. Ich wünsche mir, daß ihrem Debutroman „Der Gesang der Flußkrebse“ noch weitere „moderne Märchen“ folgen mögen.

„Der Gesang der Flußkrebse“ © Hanser Verlag

Bastienne Voss, Grünauge sieht Dich, Picus Verlag

Die Jahre 1989/1990 schreiben natürlich viele schicksalhafte Erlebnisse deutsch-deutscher Wirrnisse, Irrnisse, Hoffnungen und Realitäten. Und selbstverständlich schlägt die Liebe zu!

Die Berliner Autorin Bastienne Voss absolvierte eine Schauspielausbildung und studierte Gesang in Dresden. Zu Fernsehen und Theaterengagements, kam ihre langjährige Mitgliedschaft im Berliner Kabarettensemble Distel. Ihr neuester Roman „Grünauge sieht Dich“ verknüpft im Sommer 1989 zwei deutsch-deutsch Lebensrealitäten, deren Basis durch grenzwertige Lebenmomente geprägt werden.

Der Schwenninger Atomphysiker Henry Weber soll vom „Osten“ angeworben werden, sieht eine Gelegenheit dem langweiligen süddeutschen Berufs- und Beziehungsleben zu entkommen.

Das er sich dabei ausgerechnet in die jugendliche Tochter seines Stasikontaktes verliebt, hat schon bald graiverende Konsequenzen für alle Beteiligten.

Da ist er, der feine Humor der Theater- und Kabarattautorin! Ihr gelingt es, die zeithistorischen und persönlichen Ungewißheiten einer Umbruchssituation mit Sinn für Humor zu schildern. Denn nichts ist so Wahrscheinlich als die Unwahrscheinlichkeit, vieles passiert und es erwischt gerade Handelnde in Lebenssituationen, die eigentlich nicht vorgesehen waren.

Auf der Bühne oder im richtigen Leben!

„Grünauge sieht Dich“ © Picus Verlag

Ken Nesbitt/Christopg Niemann, Jetzt noch ein Gedicht, und dann aus das Licht!, Hanser Verlag

Last not least, ein Familienbuch voller Gutenachtgedichte des Amerikaners Ken Nesbitt, übersetzt von 115 namhaften deutschsprachigen Autor*Innen, mit einem Vorwort von Michael Krüger und (Aufgepasst Berlin!) unverwechselbar illustriert von dem Zeichenphilosophen Christoph Niemann.

So ist ein wunderbares- und wunderschönes Selbstlese- und Verschenkbuch entstanden, dessen Geschöpfe auf Papier unser aller Phantasie lockt und beflügelt.

Komische Gedichte, Sprachschabernack, darauf macht Krüger in seinem Vorwort aufmerksam, seien schon früh eine Domäne der Kinder. Die Erwachsenenwelt vertreibe vom Wachwerden bis zu den Abendnachrichten die Freigeister. Aber die Generationen würden sich die Hände reichen, nicht anderes im Sinn haben als schräge Verse und schon sähe der Alltag bunter aus.

Krüger weiß, wer solche Texte liest kann nicht anders, er läuft schnurstracks in die Buchhandlung und kauft das Buch – somit seien die lebensfrohen Texte dem Vergessen entwunden.

„Jetzt noch ein Gedicht und dann das Licht aus“ © Hanser Verlag

 

Author: Jörg Braunsdorf

Jörg Braunsdorf ist Inhaber der 2010 gegründeten Tucholsky-Buchhandlung in der Tucholskystraße 47 in Berlin-Mitte.
Auszeichnungen: 4-maliger Gewinner des Deutschen Buchhandlungspreises, zuletzt für das Jahr 2020

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