Die Bücher Tipps im Mai 2021

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Die Bücher Tipps im Mai 2021

 

Von Jörg Braunsdorf

06.05.2021

Bella Ciao – Frechheit hilft weiter – Berlin 1945 – Das Schicksal hat viel Humor –   Berlin am Meer

„Menuett für Gitarre“ (zu 25 Schuss), Vitamil Zupan (1914 – 1987), Guggolz Verlag
Ein wunderbarer, spannender Buchtitel, der Neugierde erzeugt.
Der autobiographische Roman, mächtige 546 Seiten stark, erzählt vom Partisanenwiderstand der Slowenen im 2. Weltkrieg gegen die italienischen und deutschen Besatzer. „Das Kreischen schlecht geschmierter Bremsen. Die Straßenbahn kommt langsam zum Stehen“.
Berk, der anarchistisch veranlagte Philosoph verlässt im Oktober 1943 seine Freundin Marjana und seine Stadt Ljubljana, geht in die Berge, in die Wälder, in einen Widerstand, der tagtäglich keine heroischen Kampf- und Heldengeschichten gebirt, sondern sehr persönliche, mitunter kleine Alltags- und Überlebensgeschichten erzählt. Von der Suche nach Wurzeln, Knollen und Beeren im Wald – Nahrung, von besseren Stiefeln und Mänteln der Getöteten (Freunde oder Feinde) – Wärme, irritierenden Männer- und Frauenkörpern – persönlichen Freundschaften – Vertrauen, politischen Debatten – Durchhalteparolen, Verlustmomenten – Tod, Gewehrsalven – Zukunftshoffnung.
Ein Buch, abenteuerlich, philosophisch-literarisch-grundiert, auf der Suche nach Zukunft: „Im Mutterleib ist das Paradies. Dort ist der Mensch nicht Teil von allem. Dann aber wird er geboren.

Und das Exil beginnt.“

„Menuett für Gitarre“, Vitamin Zupass © Guggolz Verlag

 

„Der Passfälscher“ Cioma Schönhaus, Fischer Verlag
Berlin-Mitte: Cioma Schönhaus entscheidet sich 1942 in den Untergrund zu gehen.
Er hat das Talent ein genialer Fälscher zu sein. Mit seiner Gabe sich für die Menschen einzusetzen, fälscht er Pässe und rettet hunderte Todgeweihte vor der Deportation durch die Nazis. Versteckt sich selber, mithilfe Anderer, in Berlin.
Es ist eine wahre Geschichte, spannend wie ein Abenteuerroman, die sich vor allem im Zentrum Berlins, u.a. zwischen Oranienburger Straße, Alexanderplatz und Invalidenstraße abspielte.
Als ihm die Gestapo auf die Spur kommt, flieht er mit einem Fahrrad und einem gefälschten Pass durch Deutschland in die Schweiz – es gelingt!
Natürlich ist es nicht nur Frechheit. Es ist Persönlichkeit, Mut, Entschlußkraft und Lust zu Leben.
Cioma Schönhaus lebte sein Leben in der Schweiz. Ich verspreche Euch, wer diese Lebenserinnerungen liest, wird Berlin-Mitte zeitgeschichtlich und aufmerksam erleben, nie mehr vergessen, daß wir uns hier im historischen Zentrum der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschienerie befinden.

Ein spannendes, ein mutmachendes Buch!

„Der Passfälscher“, Cioma Schönhaus © Fischer Verlag

 

„Berlin Mai 1945“, Valery Faminsky, Verlag Buchkunst Berlin
Ein besonderer Bildband, in wunderschönes rotes Leinen eingebunden, mit Bildern des russischen Photographen Valery Faminsky von den ersten Friedenstagen in Berlin, nach dem Ende des 2. Weltkrieges.
Valery Faminsky zeigt die tiefe Sehnsucht nach Frieden. Sein Interesse gilt immer den individuellen Schicksalen von Menschen auf beiden Seiten der Front. Fremdarbeiter auf dem Weg in die Heimat, deutsche Flüchtlinge, Zivilisten auf der Suche nach Angehörigen, Lebensmitteln und Wasser.
Ein Alltag zwischen den Ruinen, der aus extremen Lebenssituationen besteht.

In diesen Bildern begegnen sich Menschen, nicht Sieger und Besiegte.

„Berlin Mai 1945“, Valery Faminsky © Buchkunst Verlag

Zum Gedenken an den Jahrestag der Befreiung von Nationalsozialismus und Faschismus am 8. Mai 2021 eröffnet der Verlag und die Galerie Buchkunst Berlin eine virtuelle Ausstellung, kuratiert von Ana Druga und Thomas Gust mit den Aufnahmen des sowjetischen Frontfotografen Valery Faminsky von den letzten Kriegstagen und dem beginnenden Frieden in der Stadt.
Der Besuch der virtuellen Ausstellung auf www.buchkunst-berlin.de und die Teilnahme an den Online-Führungen sind kostenlos.

„Die jüdische Souffleuse“ Adriana Altaras, Kiepenheuer & Witsch
Geboren in Zagreb, kam Adriana Altaras über Italien nach Deutschland, studierte Schauspiel in Berlin und New York, lebt  heute als Schauspielerin, Dramaturgin, Regisseurin und Schriftstellerin in Berlin. Nach den Familienromanen Titos Brille und Doitscha und dem Erzählungsband Das Meer und ich waren im besten Alter, folgte
Die jüdische Souffleuse, ein turbulenter Theaterroman, der Adriana in ein Provinztheater führt, in dem sie Mozarts Entführung aus dem Serail inszeniert. Die Erzählung ist so wirklichkeitsnah, daß sie wie eine autobiographische Erzählung wirkt.
Dabei besticht der Roman durch eine hervorragende Portion jüdischen Humors und verbindet die Absurditäten des Theateralltages mit dem Leben der Souffleuse am Theater, Sissele, und deren lebenslanger Suche nach ihren Familienangehörigen, die nach dem 2. Weltkrieg in alle Winde zerstreut wurden.
Adriana verzweifelt zunächst und fragt sich, weshalb ausgerechnet sie immer wieder die Fäden jüdischer Zeitgeschichte knüpfen muß.
Aus dem Theaterroman wird eine tragikkomische, aufregende und kluge Reiserzählung voller Emotionen, in der sich die Lebensgeschichten der beiden so unterschiedlichen Frauen annähern und wir, die wir dieses Buch in den Händen halten, gebannt mitlesen!

Wer ein Buch von Frau Altaras gelesen hat, wird von ihr weiterlesen, garantiert!

„Die jüdische Souffleuse“, Adriana Altaras © Kiepen & Witsch Verlag

 

„Schattenschammes oder Berlin liegt am Meer“ Benno Meyer-Wehlack, Verlag Das Arsenal
Dieser 167 Seiten umfassende, autobiographisch gefärbte Roman, erzählt die Geschichte von Ralf Hellhoff, der sich 1945 aus einem Fliegerhorst an der Ostsee absetzt, sich zu Fuß in seine Heimatstadt durchschlägt, in der Hoffnung, frei nach den Bremer Stadtmusikanten, etwas Besseres zu finden als den Tod. In der Empfehlung dieses Romans schließt sich der Bogen zu dem oben bereits vorgestelltem Bildband Berlin Mai 45 von Valery Faminsky.
Die Bilder und der Text ergänzen sich kongenial!
Die Bilder werden noch lebendiger und auch hier, wie im Roman von Adriana Altaras, verknüpft sich eine Theatergeschichte zu einer lebendigen Zeitgeschichte. Der des jungen Meyer-Wehlack in den ersten Monaten nach dem Mai 1945. Ralf Hellhoff, alias Benno Meyer-Wehlack, mäandert durch Berlin und heuert als Schattenschammes im gerade wiedereröffenten Theater Viktor de Kowas, Tribüne, an.
Die Hilfsarbeiten im Theater weisen dem 18 jährigen Hellhoff den Weg zurück in eine, allerdings zerstörte und wiederaufzubauende Zivilisation, verbunden mit zart wachsenden Knospen wiedererwachenden Theater(er)lebens.
Meyer-Wehlack, bekannt als Hör- und Drehbuchschriftsteller, erlebte die Veröffentlichung seines bereits 1969 fertiggestellten Romans leider nicht mehr. Er starb 2014, im Jahr vor der Veröffentlichung.

Es ist das Verdienst des Berliner Verlages Das Arsenal, der bereits mit Franz Hesses, „Ein Flaneur von Berlin“, ein epochales Stück Berliner Zeitgeschichte verlegte, ihn für uns lesbar vorzuhalten!

„Schattenhammes oder Berlin liegt am Meer“, Benno Meyer-Wehlack © Arsenal Verlag

Tucholsky-Buchhandlung
Inh. Jörg Braunsdorf
Tucholskystraße 47
10117 Berlin
Tel: 030/27577663
mail: kurt@buchhandlung-tucholsky.de
Öffnungzeiten: Mo – Sa 11.00 – 19.00 Uhr

 

Author: Jörg Braunsdorf

Jörg Braunsdorf ist Inhaber der 2010 gegründeten Tucholsky-Buchhandlung in der Tucholskystraße 47 in Berlin-Mitte.
Auszeichnungen: 4-maliger Gewinner des Deutschen Buchhandlungspreises, zuletzt für das Jahr 2020

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