Die Dreigroschenoper

Die Dreigroschenoper von Brecht im Berliner Ensemble

Die Dreigroschenoper Foto: Jörg Brüggemann © kultur24.berlin

Die Dreigroschenoper von Brecht im Berliner Ensemble

 

Von Holger Jacobs

Holger Jacobs

14.08.2021

Wertung… 🙂 🙂 🙂 🙂 (vier von fünf)

English text

Furioser Auftakt der neuen Theatersaison mit einer Neuinszenierung der „Dreigroschenoper“ am Berliner Ensemble.

Um es gleich vorneweg zu sagen: An die alte Inszenierung von Robert Wilson kommt die neue nicht heran, das war dann doch noch eine andere Kategorie. Aber deshalb muss die neue Interpretation von Barrie Kosky, Intendant und Regisseur der Komischen Oper, nicht schlecht sein.
Ganz im Gegenteil. Sie ist interessant, spannend, manchmal witzig und durchaus sehenswert.

Der riesige Vorhang aus schwarzem Lametta (der Humorist Loriot hätte seine helle Freude gehabt) bedeckt die gesamte Bühnenöffnung. Plötzlich schaut an einer Stelle der Kopf von Josefin Platt heraus, der Scheinwerfer geht auf ihr Gesicht und langsam stimmt sie das Moritat (Lied) von Mackie Messer an.
Wow – was für ein Gänsehaut-Moment!

Doch gleich die nächste Szene lässt das Niveau wieder deutlich sinken.
Da unterhält sich Peachum mit Bettlern darüber, wieviel sie an ihn zahlen müssen, damit sie überhaupt in den Straßen von London betteln dürfen. Tilo Nest als Peachum wirkt dabei leider wie ein alter Opa und spielt den Peachum so saft- und kraftlos, dass die Spannung des Anfangs sofort wieder abfällt.

Zum Glück hat Tilo Nest die wunderbare Constanze Becker als seine Frau Celia an seiner Seite.
Sie ist für mich an diesem Abend der/die beste Schauspieler/in. Mit ihrer dominanten Ausstrahlung, schwarzen Haaren, schwarzem Nerzmantel, unter dem sie anscheinend nichts trägt und ihrem leuchtend roten Mund spiegelt sie perfekt die halbseidene Welt wieder, in der das Stück spielt.
Burschikos männlich mit einem Schuss weiblicher Laszivität verkörpert sie außerdem ganz wunderbar die wild-ausgelassenen 20er Jahre.

Dieses hohe Niveau der Schauspielkunst kann ich leider nicht bei allen Darstellern des Abends finden.
Dabei enttäuscht mich gerade der Hauptdarsteller, Nico Holonics als Mackie Messer besonders.
Er spielt viel zu aufgesetzt und affektiert, wie ein Spielzeugmännchen, dass jemand aufgezogen hat. Hier hätte ich mir einen gutaussehenden Lebemann gewünscht, dem alle Frauen zu Füßen liegen und der mit seiner Ausstrahlung die Bühne füllt. Das kann man von Nico Holonics leider nicht sagen.

Schauspielerin Cynthia Micas (*1990), Tochter eines Mosambikaners und einer Deutschen, spielt Polly, die Tochter von Peachum, die sich auch in Mackie Messer verliebt hat und ihn sogar heiraten will, ist ein absoluter Hingucker.
Sie kann auf jeden Fall eine Bühne füllen. Nur ihre Gesangskünste lassen noch ein wenig zu wünschen übrig.

Londons Polizeichef „Tiger“ Brown, ein alter Sandkastenfreund von Mackie Messer, wird von einer Frau gespielt, Kathrin Welisch. Hier hätte ich mir noch mehr Verschlagenheit gewünscht.
Kathrin Welsch spielt den Tiger etwas zu „lieb“.

Kommen wir zu den Huren, die allesamt Mackie Messer anhimmeln.
Da ist Jenny, gespielt von Bettina Hoppe. Wie immer stark im Auftritt, kann Bettina Hoppe aber stimmlich nicht überzeugen. Ich habe mir die Ohren zugehalten.

Am besten gefiel mir Laura Balzer als Lucy, der Tochter von Tiger Brown. Sie ist der absolute Wirbelwind (noch unterstrichen durch ein Kleid mit Tausend Fransen), rockt die Bühne und bleibt dabei dennoch konzentriert und beherrscht. Toll!
Deshalb ist auch eines der besten Szenen des Abends der Eifersuchts-Streit zwischen Lucy und Polly, als beide Frauen Mackie Messer im Gefängnis besuchen und sich beide als seine einzig wahre Freundin beweisen wollen. Umgangssprachlich gesagt: „Das geht richtig ab!“

Die Bühne (Rebecca Ringst) ist, wie auch schon bei der Inszenierung von Robert Wilson, sehr stilisiert.
Sie besteht nur aus einem Stahlgerüst, welches sehr geschickt mal vor und zurück verschoben wird. Wie sich hier die Schauspieler hoch, runter und quer durch die Stangen hangeln ist schon eine sportliche Herausforderung. Doch die Ausstrahlung des Stahlgerüstes ist genauso kalt wie das Eisen der Konstruktion.
Wirkliche Londoner Unterweltsstimmung kommt dabei nicht auf.

Kommen wir zur Musik: Das, was Kurt Weill da für seinen Freund Bertolt Brecht vor knapp 100 Jahren geschaffen ist einfach umwerfend gut.
Die Songs haben Hit-Charakter und werden vom Publikum auch noch nach der Vorstellung vor sich hin geträllert.

Dazu Regisseur Barrie Kosky:
„Kurt Weill, das muss man wirklich sagen, ist für die Entwicklung der Geschichte des Musiktheaters so wichtig wie Richard Wagner.“

Das kleine Orchester, bestehend aus sieben Musikern im Graben vor der Bühne, macht seine Sache gut und trägt auch mit ein paar Aktionen zur Handlung bei.

Fazit:
Immer, wenn die Musik zu einem Lied von Kurt Weill ansetzt, ist der Abend ganz wunderbar; aber immer, wenn die Handlung nur durch den Text weitergetragen wird, schwächelt die Inszenierung. Trotzdem sehenswert.
Eine „Dreigroschenoper“ von Bertolt Brecht (geschrieben 1928), zumal in dem Theater, welches er selbst in den 50er Jahren geleitet hat (damals noch Theater am Schiffbauerdamm), darf auf keinen Fall versäumt werden. Hingehen!

„Die Dreigroschenoper“ von Bertholt Brecht mit der von Musik von Kurt Weill
Berliner Ensemble
Premiere war am 13. August 2021
Regie: Barrie Kosky, Musikalische Leitung: Adam Benzwi, Bühne: Rebecca Ringst, Kostüme: Dinah Ehm
Mit: Nico Holonics (Mackie Messer), Peachum (Tilo Nest), Constanze Becker (Celia Peachum), Cynthia Micas (Polly Peachum), Kathrin Wehlisch (Tiger Brown), Laura Balzer (Hure Lucy), Bettina Hoppe (Hure Jenny), Josefin Platt (Der Mond über Soho)

Tickets hier

Hier unsere Bilderserie mit 16 Fotos der Theaterproduktion:

Die Dreigroschenoper . kultur24.berlin

„Die Dreigroschenoper“, Berliner Ensemble, Foto: Jörg Brüggemann

English text

Brecht’s Threepenny Opera in the Berliner Ensemble

 

By Holger Jacobs

Holger Jacobs
08/14/2021

Rating: 🙂 🙂 🙂 🙂 (four out of five)

A furious start to the new theater season with a new production of the “Threepenny Opera” at the Berliner Ensemble.

To say it right from the start: The new one does not come to the same level like the old production by Robert Wilson, that was a different category after all.
But that doesn’t mean the new interpretation by Barrie Kosky, artistic director and director of the Komische Oper, has to be bad. But on the contrary. It is interesting, exciting, sometimes funny and well worth seeing.

The huge curtain made of black tinsel (the humorist Loriot would have been delighted) covers the entire opening of the stage.
Suddenly at one point Josefin Platt’s head looks out, the spotlight goes on her face and slowly she starts to sing the Moritat of Mackie Messer.
Wow – what a goosebumps moment!

But the next scene lets the level drop significantly again.
Peachum is talking to beggars about how much they have to pay him in order to be allowed to beg in the streets of London. Tilo Nest as Peachum unfortunately looks like an old grandpa and plays the Peachum so smoothly and powerlessly that the tension of the beginning immediately falls off again.

Fortunately, Tilo Nest has the wonderful Constanze Becker by his side as his wife Celia.
She’s the best actress for me tonight. With her dominant charisma, black hair, black mink coat, under which she apparently wears nothing, and her bright red mouth, she perfectly reflects the half-silky world in which the piece is set. Burschikos male with a dash of female lasciviousness, she also embodies the wild, exuberant 20s wonderfully.

Unfortunately, I cannot find this high level of acting in all of the actors in the evening.
Nico Holonics as Mackie Messer in the main role is particularly disappointing. He plays far too fake and affected, like a toy that someone has turned on to much. Here I would have wished for a good-looking bon vivant who has all women at his feet and who fills the stage with his charisma. Unfortunately, that cannot be said of Nico Holonics.

Actrees Cynthia Micas (* 1990), the daughter of a Mozambican and a German, plays Polly, the daughter of Peachum, who also fell in love with Mackie Messer and even wants to marry him, is an absolute eye-catcher.
She can definitely fill a stage. Only her singing skills leave a little to be desired.

London’s police chief „Tiger“ Brown, an old friend of Mackie Messer, is played by a woman, Kathrin Welisch.
Here I would have wished for even more cunning. Kathrin Welsch plays the tiger a little too „dearly“.

Let’s get to the whores, all of whom adore Mackie Messer.
There is Jenny, played by Bettina Hoppe. As always strong in appearance, Bettina Hoppe cannot convince vocally. I covered my ears.
I liked Laura Balzer very much as Lucy, the daughter of Tiger Brown.
She is the absolute whirlwind (underlined by a dress with a thousand fringes), rocks the stage and yet remains concentrated and controlled. Great performance!
That’s why one of the best scenes of the evening is the jealousy fight between Lucy and Polly, when both women visit Mackie Messer in prison and both want to prove themselves to be his only best girlfriend.
Colloquially said: „It really rocks!“

The stage (Rebecca Ringst) is, as with Robert Wilson’s production, very stylized.
It consists only of a steel frame, which is very cleverly shifted back and forth. The way the actors move up, down and across the bars is quite a sporting challenge. But the charisma of the steel frame is just as cold as the iron of the construction. Real London SoHo mood does not arise.

Let’s get to the music: What Kurt Weill created for his friend Bertolt Brecht almost 100 years ago is simply amazing. The songs are real hits and could be in the charts.

Director Barrie Kosky:
„Kurt Weill, you really have to say that, is as important for the development of the history of music theater as Richard Wagner.“

The small orchestra, consisting of seven musicians in the ditch in front of the stage, plays quite well and also contributes to the plot with a few actions.

Conclusion:
Whenever the music starts to a song by Kurt Weill, the evening is wonderful; but whenever the plot is only carried on through the text, the staging weakens.
But still worth seeing. A “Threepenny Opera” by Bertolt Brecht (written in 1928), especially in the theater that he himself directed in the 1950s (at that time called Theater am Schiffbauerdamm), must not be missed. Go!

„The Threepenny Opera“ by Bertholt Brecht with the music by Kurt Weill
The premiere was on August 13, 2021
Direction: Barrie Kosky, musical direction: Adam Benzwi, stage: Rebecca Ringst, costumes: Dinah Ehm
With: Nico Holonics (Mackie Messer), Tilo Nest (Peachum), Constanze Becker (Celia Peachum), Cynthia Micas (Polly Peachum), Kathrin Wehlisch (Tiger Brown), Laura Balzer (whore Lucy), Bettina Hoppe (whore Jenny), Josefin Platt (The Moon over Soho)

Here is our picture series with 16 photos of the theater production:

Die Dreigroschenoper . kultur24.berlin

„Die Dreigroschenoper“, Berliner Ensemble, Foto: Jörg Brüggemann

 

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

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