Eröffnung der 12. Berlin Biennale an vier Standorten

Berlin Biennale - Babyn Yar - Forensic Architecture © kultur24.berlin

Eröffnung der 12. Berlin Biennale an vier Standorten

 

Von Holger Jacobs

15.06.2022

Wertung: 🙂 🙂 🙂 (drei von fünf)

Noch nie war die BERLIN BIENNALE so politisch

Als vor 24 Jahren die erste Ausgabe einer BERLIN BIENNALE 1998 gefeiert wurde, wusste noch keiner, wie groß und bedeutend sie eines Tages werden sollte. Zwar kann sie sich noch nicht mit den Großveranstaltungen von Biennale in Venedig und der Documenta in Kassel (die an diesem Wochenende beginnt) messen, doch werden sicher viele Kunstinteressierte dieses Jahr auch wegen dieser BERLIN BIENNALE in die deutsche Hauptstadt reisen.

Der Titel der diesjährigen Berlin Biennale, „STILL PRESENT“, lässt erst einmal auf die wiedergewonnene Freiheit nach der (noch nicht ganz überstandenen) Corona-Pandemie schließen, denn vor zwei Jahren war sie genau deshalb abgesagt worden.

Doch liest man den Text im umfangreichen Katalog muss ich feststellen, dass es um weit mehr geht.

Kader Attia

Besonders die umfangreiche Einführung des Kurators der Ausstellung, KADER ATTIA (*1970), machen klar, dass es ihm um den (teilweise verheerenden) Einfluss der westlichen Kultur und des Kapitalismus auf die Gesellschaften in Nordafrika und den Nahen Osten geht.

Dabei gewinnt man den Eindruck, dass Attia neben seiner Arbeit als Fotograf und Installationskünstler wohl auch Philosoph sein möchte:
Mit Sätzen wie „Das ermöglicht uns den Technologien kapitalistischer Verhaltensmanipulation und der damit verbundenen imperialistischen Governance zu entkommen“…hat der Leser den Eindruck, dass es bei der diesjährigen BERLIN BIENNALE wohl mehr um einen politischen Diskurs, als um Kunst gehen soll.

Weiterhin stellt Kader Attia fest, dass wir uns „inmitten der Verschwendung und Zerrissenheit, die den rasenden und zerstörerischen Produktionswettlauf des globalen Kapitalismus“ befinden.

Nichts gegen selbsternannte Philosophen, aber das ist mir eindeutig zu viel verklausulierte Theorie.
Die Folgen der Kolonialisierung und die Zerstörungswut des Menschen und seine Folgen für die Natur sind so konkret, da braucht es keinen Hinweis auf Aristoteles oder Plato.

Die Ausstellungen

Entsprechend der oben beschriebenen Intention des Kurators sind alle Ausstellungen auch mehr Dokumentationen von Umweltzerstörungen und Zeugnisse vom Leid und Elend der Menschen, als Kunst im üblichen Sinne.

KW Kunstwerke

Im Stammhaus der BERLIN BIENNALE in den KW Kunstwerken  in der Auguststrasse 69 in Berlin-Mitte empfängt uns in der großen Halle eine Wand-hohe Arbeit der US-amerikanischen Fotografin und Filmemacherin Alex Prager (eine weitere Arbeit von ihr ist im Hamburger Bahnhof zu sehen).
ALEX PRAGER zeigt auf einer Fototapete eine Gruppe von Frauen, die herumstehen und auf etwas zu warten scheinen. Vielleicht beim Einchecken in einer überfüllten Flughafenhalle? Der Text besagt, dass es Prager dabei um Individualität und das Aufgehen des Einzelnen in der Masse geht…
Deutlich spannender und gleichwohl bedrückender finde ich die Text-Serie der israelischen Künstlerin ARIELLA AZOULAY.
Sie plakatiert auf einer 5 Meter langen Wand Ausschnitte aus dem Tagebuch einer unbekannten Deutschen („Anonym, eine Frau in Berlin“, Eichborn Verlag), die versucht in den Tagen nach der Kapitulation Deutschlands die ständigen Vergewaltigungen durch russische Soldaten irgendwie zu ertragen und trotzdem zu überleben.
Obwohl die Unbekannte nur wenige Worte benutzt habe ich diese grausamen Taten noch nie so plastisch und direkt vermittelt bekommen.
Unwillkürlich muss ich an die Bilder und die Erlebnisse der Frauen aus Butcha in der Ukraine denken.

Hamburger Bahnhof

Im Museum Hamburger Bahnhof empfängt mich gleich vor dem Eingang ein (aufblasbarer) Kampfjet in voller Lebensgröße.
Krieg und seine Folgen scheint in allen Ausstellungen ein großes Thema zu sein.
Kein Wunder, ist der echte Krieg in der Ukraine mit Tausenden Toten doch nur 2000 km von uns entfernt.
Im Haupthaus zeigt der Hamburger Bahnhof zurzeit die Ausstellung „Church for Sale“ mit Künstlern der Sammlung Haubrok (auch der Kampfjet gehört dazu).

Hamburger Bahnhof – „F-16“ von Christoph Büchel, Sammlung Haubrok, Photo: Holger Jacobs

In den Rieckhallen dann die BERLIN BIENNALE.
Zwei Arbeiten fielen mir auf:
Erstens die Gemälde „A Promise“ der US-amerikanischen Künstlerin CALIDA RAWLES.
Es zeigt Menschen, die so von Wasser umgeben sind, als würden sie mit diesem Element eins werden. Es sind fast die einzigen Werke der über 200  gezeigten Arbeiten auf der BERLIN BIENNALE (insgesamt 70 Positionen), die noch ganz klassisch mit Acryl auf Leinwand gemalt wurden.
Zweitens das Video „Luftangriff auf Babyn Yar“ der Londoner Künstlergruppe FORENSIC ARCHITECTURE:
Es zeigt Bilder des russischen Angriffs auf die Sendestation Babyn Yar nord-westlich von Kiew in der Ukraine.
Davon ausgehend wird in einer 3D-Simulation die Topografie der Gegend um den Fernsehturm dargestellt, die die Massengräber der Nazis zeigt.
Sie wurden dort angelegt, um Tausende ukrainische Juden, Roma und Sinti, Kriegsgefangene und politisch Verfolgte hinzurichten. Zwischen 1941 und 1943 sollen dort mehrere 10.000 Menschen erschossen worden sein. Diese Massengräber liegen in unmittelbarer Nähe zum jetzt von Russen bombardierten Fernsehturm.
Ein Sinnbild dafür, dass der Krieg und der Tod nach 80 Jahren wieder an dieselbe Stelle zurückgekehrt ist.

Und nochmal Krieg: In einer sogenannten „Dekolonialen Erinnerungskultur“ lädt die BERLIN BIENNALEan den vormaligen Ort der NEUEN REICHSKANZLEI von Adolf Hitler, Wilhelmstr. 92 (heute steht dort ein DDR-Plattenbau…) ein.
Gleich dahinter, nur ca. 50 Meter entfernt, war der Führerbunker (heute ein Parkplatz mit Hinweistafel), in dem sich Adolf Hitler am 30. April 1945 das Gehirn wegpustete – mehr Erinnerungskultur geht nicht!

Akademie der Künste (Pariser Platz)

Hier gibt es die am wenigsten interessanten Ausstellungsstücke. Zwei stachen dennoch für mich heraus: vier Gemälde von EMIL NOLDE und KARL SCHMIDT-ROTTLUFF, deren Motive auf den Bildern afrikanischen Holzfiguren nachempfunden sind.

Akademie der Künste (Hanseatenweg 10)

Auch hier sind nicht alle Räume bespielt. Wahrscheinlich hätte man die Arbeiten beider Akademien in einer zusammenfassen können.
Thema: Die Zerstörung der Umwelt durch den Menschen – das Anthropozän.
Teilweise interessante Videoarbeiten und Grafiken.

12 Berlin Biennale – „Still present“
Ausstellung vom 11 Juni – 18. September 2022
Beachtet das umfangreiche Zusatz-Programm mit Konzerten, Lesungen und Besichtigungstouren. Tickets hier

Bilderserie mit Arbeiten aus den Ausstellungen an vier Orten:

KUNSTWERKE, Alex Prager „Women Now“, Wandtapete, 2018/22, Photo: Holger Jacobs

 

 

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

Cookies help us deliver our services. By using our services, you agree to our use of cookies.