Hamburg Kultur Oktober 2016

Deichtorhallen - Sammlung Viehof - Neo Rauch @ Neo Rauch

Hamburg Kultur Oktober 2016

 

Von Julia Engelbrecht-Schnür

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13.10.2016

 

Elbphilharmonie – günstige Tickets

Damit auch wirklich alle Hamburger die Chance bekommen, eins der 60 000 günstigen Tickets (6, 12 und 18 Euro) für die einstündigen Schnupperkonzerte mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester im neuen Konzerthaus zu ergattern, geht die Leitung der Elbphilharmonie geradezu pädagogisch vor. Den ganzen Oktober über gibt es in den öffentlichen Bücherhallen Verkaufsstände, wo die begehrten Tickets erworben werden können. Außerdem düsen quer durch die Stadt ein „Mini-Mobil“ sowie ein „Konzerte-für-Hamburg-Bus“ mit den günstigen Tickets. So will die Marketingabteilung der musikalischen Superbude auch den Metzger aus Billstedt oder den Cafébesitzer aus Wilhelmsburg erreichen. Diese „Einsteiger-Konzerte fürs Volk“ finden vom 31. Januar bis 19. Februar sowie vom 21. bis 25. Juni 2017 statt.

Elbphilharmonie Hamburg
Platz der Deutschen Einheit 1
20457 Hamburg-HafenCity
tickets@elbphilharmonie.de

Elbphilharmonie @ Herzog de Meron

Elbphilharmonie @ Herzog de Meron

Überschattet wird die Vorfreude auf die Eröffnung der Elbphilharmonie vom Tod der geschätzten Kultursenatorin Barbara Kisseler, die sich vehement für die Realisierung des Konzerthauses eingesetzt und immer wieder betont hatte, wie sehr sie sich auf das erste Konzert freue.

Barbara Kisseler, Eröffnung "Eyes on Paris" in den Deichtorhallen, September 2011 © Holger Jacobs

Barbara Kisseler, Eröffnung „Eyes on Paris“ in den Deichtorhallen, September 2011 © Holger Jacobs

 

Hamburger Kunsthalle – Dali, Ernst, Miro, Magritte

Er konnte eben nicht nur weiße Wolken auf blauem Himmel. Wie gewaltig das Motivspektrum von René Magritte ist, wird in der Ausstellung Dali, Ernst, Miro, Magritte klar, die der neue Chef der Hamburger Kunsthalle nicht ohne Stolz eröffnete. „Mehr als 150 teils nie gereiste Meisterwerke des Surrealismus aus vier der bedeutendsten europäischen Privatsammlungen des 20. Jahrhundert“, heißt es über die Herkunft der Gemälde, Zeichnungen, Objekte, lyrischen Schriftstücke und Kuriositäten. Auch Dalis berühmtes „Mae-West-Lippensofa“ steht da und bildet mit seinem Pink einen schaurigen Farbkontrast zu dem Ragout-Fin-Farbton der Galeriewände. Faszinierend und kaum bekannt sind auch Dalis Zeichnungen, die der Katalane detailversessen wie er war, mit renaissancehafter Präzision und Eleganz anfertigte. Wenig weiter, in einer Vitrine, schimmert metallisch das „Weibliche Feigenblatt“ von Marcel Duchamp, eins von vier erotischen Abgüssen weiblicher Scham, wovon er seinem Freund, dem Dadaisten Man Ray, 1951 ein Exemplar schenkte. Ohnehin scheint es den Surrealisten viel um Begierde und Lust als „treibende Kraft des Daseins und Bewusstseins“ gegangen sein. All die Nüchternheit, die man mit surrealer Kunst in Verbindung bringen mag, von ihr ist wenig zu spüren. Wunderbar ergänzen Mirós filigrane Kompositionen die schulmeisterliche Schwere von Max Ernst’ Arbeiten, und es wird klar, welche Rolle der mentale Wegbereiter André Breton bei dieser revolutionären Kunstbewegung gespielt hat. Diese Ausstellung zeigt eindringlich, wie ernst es den Surrealisten mit einer Erneuerung der Welt, des Denkens und Lebens an sich war.

Hamburger Kunsthalle
Glockengießerwall
20095 Hamburg
Di – So 10 – 18 Uhr, Do 10 – 21 Uhr
bis 22. Januar 2017

Salvador Dali "Mar West Lippensofa", 1936, "Dali, Ernst, Miro, Magritte" @ Hamburger Kunsthalle

Salvador Dali „Mar West Lippensofa“, 1936, „Dali, Ernst, Miro, Magritte“ @ Hamburger Kunsthalle

 

Deichtorhallen – Sammlung Viehof

An grauen Nachmittagen macht der Besuch der Sammlung Viehof in den Deichtorhallen einfach gute Laune. Die rund 550 Werke von 75 vor allem deutschen Gegenwartskünstlern verströmen Humor, Dynamik, Feinsinnigkeit und Verstand. Was die vier Unternehmerbrüder Michael, Eugen, Klaus und Bernd Viehof (Vibro-Gruppe) da zusammengesammelt haben, ist so umfangreich und zugleich sehenswert, dass sich Deichtorhallen Intendant Dirk Luckow dazu entschloss, für die Schau auch die Räume der Sammlung Falckenberg in Harburg zu nutzen.

Beeindruckend sind natürlich immer wieder die großen Arbeiten von Baselitz, Immendorf, Havekost und Rauch sowie die hintersinnigen Werke von Doig, Streuli, Tillmans, Kippenberger und Trockel. Den absoluten Blickfang aber bilden die drei grazil-tumben Kugeldamen von Juan Munoz. Der spanische Skulpturenmeister hauchte den drei Figuren, die auf einem Hüpfsack zu sitzen scheinen, so viel Ironie und seelischen Ausdruck ein, dass der Betrachter sie am liebsten ansprechen, sie berühren und sich hinzugesellen möchte. Wunderbar korrespondiert dazu Schwontowskis Ölbild „4 Gespenster enthüllen ein Denkmal“, das der geselligen Gruppe als zynische Kulisse dient. Wer nach gut zwei Stunden Kunstgenuß noch aufnahmefähig ist, kann sich jeden ersten Sonntag im Monat kostenlos und stündlich per Shuttle zur Sammlung Falckenberg nach Harburg chauffieren lassen, um dort noch viel mehr gute Kunst aus der Sammlung Viehof zu sehen.

Deichtorhallen Hamburg
Deichtorstraße 1 − 2
20095 Hamburg
Di – So 11 – 18 Uhr, Do 11 – 21 Uhr
bis 22. Januar 2017

Neo Rauch "Männer mit Flugzeugen", Deichtorhallen © Sammlung Viehof

Neo Rauch „Männer mit Flugzeugen“, Deichtorhallen © Sammlung Viehof

 

Thalia Theater – „Geld“ nach Émile Zola

Mit der Premiere von „Geld“, dem zweiten Teil der „Trilogie meiner Familie“ nach Émile Zola erfährt die Theaterszene in Hamburg ein neues Stimmungshoch. Was Regisseur Luk Perceval da so gekonnt auf die Bühne des Thalia Theaters schmeißt, ist das prägnante Bild einer von Gier, Lust und Angst getriebenen Gesellschaft – und zwar nicht nur der damaligen vom Imperialismus besetzten französischen Gesellschaft Zolas. Die Versprechen des Wohlstands, des Fortschritts und der technischen Entwicklung sind auch dem Theaterbesucher von heute geläufig, werden sie doch genährt vom Glauben an den Kapitalismus.

Die den Bühnenboden pflasternden Schreibmaschinen sind mal Redaktionsraum, mal Kaufhauskontor, mal Börsensaal (Bühne: Annette Kurz). Unaufhörlich wird verbucht, getippt und kalkuliert. Kaufhauskönig Saccard (Sebastian Rudolph), Graf Muffat (Barbara Nüsse), einfache Angestellte, auch sie durch ihre Geldgier seelisch verarmt, verzehren sich nach dem vermeintlichen Glanz der edelprostituierten Nana (Maja Schöne), die kunstvoll dem einzigen Licht spendenden Bühnenelement, einem Paravent-Verhau, entsteigt, wie die Venus dem Urschaum der menschlichen Bedürftigkeit. Das vergnügungssüchtige Paris huldigt einem Star, der selbst in einen Abgrund starrt und dessen Schattenseiten keiner sehen will. Staunend entrückt nimmt Madame Caroline, gespielt von der fabelhaften Gabriela Maria Schmeide, all die verstörenden Vorgänge wahr, zu kraftlos, das Ruder ihres Schicksals herumzureißen oder wenigstens ihrem Entsetzen Luft zu machen.

Und so rauscht alles Lieben und Hoffen den Bach herunter, verschlungen von Handlungsfragmenten und den Textresten Zolas großen Dramawerks, das im Thalia Theater ein erfrischendes Revival erlebt. Nur die nüchterne Denise (Patrycia Ziolkowska) bleibt standhaft, flüchtet sich immer wieder auf die Inseln der Vernunft, indem sie sich auf die Schreibmaschinen stellt, wie moralische Inseln in eine Meer aus Wollust, Gier und Lügen. Der Spekulant Saccard erkennt ihr charakterliches Kapital und will es sich einverleiben. Höhepunkt seiner manischen Verfolgung ist der finale Dialog zwischen beiden, bevor widerum Nana ihrem theatralischen Absturz erliegt und an ihre Fäkalien erstickt. Wir sind gespannt auf den 3. Teil der Trilogie „Hunger“, den uns die kommende Spielzeit beschert.

Thalia Theater
Alstertor
20095 Hamburg
nächste Vorstellungen: 28. Oktober; 4., 22. November; 5., 14. Dezember

Thalia Theater

Thalia Theater

 

Strasburger Kreise – Barlach Halle – Daniel Tchetchik und Yoga

Jeder, der schon einmal in Israel war, versteht die Arbeiten von Daniel Tchetchik auf Anhieb. Die Spuren der gnadenlosen Sonne, die Härte des Lebens und die Hitze des Miteinanders im Nahen Osten bannt der Fotokünstler aus Tel Aviv mit großem Feingefühl für Farbe und Raum in seinen Bildern. Unter dem Titel „Sunburn“ zeigt die Hamburger Eventfrau Stefanie Stoltzenberg seine Fotos bis zum 14. Oktober in der Barlach Halle K am Klosterwall 13 und spickt die Ausstellung mit verschiedenen Sondereinladungen, wie zum Beispiel einer Yoga-Session, bei der Kunstfreunde angesichts der Bilder in die Hocke gingen, um neue Lebenskraft zu schöpfen und in den Äther zu schicken.

Barlach Halle K
Klosterwall 13
20095 Hamburg
Mo – Fr 10 – 17 Uhr

Daniel Tchetchik, Barlach Halle K, Strasburger Kreise © Daniel Tchetchik

Daniel Tchetchik, Barlach Halle K, Strasburger Kreise © Daniel Tchetchik

 

Author: Julia Engelbrecht-Schnür

Journalistin

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