Jugend ohne Gott an der Schaubühne Berlin
Von Holger Jacobs
09.09.2019
Wertung: 🙂 🙂 🙂 (drei von fünf)
Thomas Ostermeier inszeniert zwischen Nationalsozialismus, Gottsuche und Kriminalfall.
Der österreichisch-ungarische Autor Ödön von Horvath ist auf jeden Fall einer meiner Lieblingsautoren. Theaterstücke wie „Geschichten aus dem Wiener Wald oder „Glaube, Liebe, Hoffnung“ begeistern mich immer wieder, wenn ich sie erneut auf der Bühne sehen kann.
Umso gespannter war ich gestern Abend auf die Romanadaption von „JUGEND OHNE GOTT“ in der Schaubühne Berlin. Intendant Thomas Ostermeier himself hatte die Regie übernommen.
Die Zuschauersituation in der Schaubühne Berlin ist etwas speziell. Ein kubisch angeordneter Raum ist aufgeteilt in eine Hälfte Bühne und andere Hälfte Zuschauerraum. Dieser wiederum steigt auf Grund einer Stahlkonstruktion steil an, so dass alle gut sehen können. Aber es gibt einem immer den Eindruck eines Provisoriums. Die Bühne selbst hat entsprechend nicht die Tiefe eines normalen Theaters, was dazu führt, dass in die Breite gespielt wird.
Mein Platz 13 in der 7. Reihe war gestern Abend geradezu perfekt. Genau in der Mitte und auf einer perfekten Höhe für eine gute Sicht über die ganze Breite sehe ich zunächst einen Wald voller Bäume. Aus diesem heraus kommen die Schauspieler und verschwinden bei ihrem Abgang auch wieder darin. Von links und rechts werden die Requisiten hereingetragen, als Bühnenarbeiter fungieren die Schauspieler selbst.
Erster Auftritt: Jörg Hartmann (übrigens auch ganz hervorragend als „Prof. Bernhardi“ hier am selben Haus).
Er stellt den Lehrer dar, der voller Gewissensbisse die infamen Moralvorstellungen der Nationalsozialisten seinen Schülern beibringen muss.
Doch er traut sich nicht etwas dagegen zu sagen, da sonst seine Entlassung aus dem Staatsdienst droht. Nur als ein Schüler in einem Aufsatz schreibt, Neger wären keine Menschen und man könne sie töten, wagt er den Pennäler daraufhin hinzuweisen Afrikaner wären durchaus auch Menschen. Worauf sich am nächsten Tag der Vater des Schülers meldet und meint, was im offiziellen Radio gesagt würde, könne schließlich auch im Unterricht nicht falsch sein.
Schauspieler Jörg Hartmann (Kommissar Faber in der Tatort-Krimiserie aus Dortmund) spielt den Lehrer sehr subtil und zurückhaltend. Häufig spricht er direkt ins Publikum, denn der Roman wird in Ich-Form aus Sicht des Lehrers erzählt. Man spürt ihm seine Frustration an, nichts tun zu können, obwohl er weiß, dass alles um ihn herum moralisch in den Abgrund geht.
Bei einer Exkursion mit seinen Schülern, bei der ihnen militärischer Drill beigebracht werden soll, geschieht plötzlich ein Mord. Dabei verstrickt sich der Lehrer selbst in ein Lügengespinst, aus dem er nicht mehr herauszukommen droht. Erst in einem Gespräch mit dem ortsansässigen Pfarrer wird ihm bewusst, dass, ob man nun an Gott glaubt oder nicht, jeder zur Wahrheit verpflichtet ist, egal welche Konsequenzen es hat.
Kaum bekennt sich der Lehrer also vor Gericht zur Wahrheit, tun es plötzlich auch andere und der Mordfall wird aufgeklärt.
Der Lehrer wird zwar suspendiert, doch der Pfarrer bietet ihm einen Job als Missionshelfer in Afrika an. Da die Schulklasse ihn bereits scherzhaft „Afrikaner“ genannt hatte, endet der Abend mit dem Schlusssatz des Lehrers: „Ein Afrikaner geht nach Afrika“. Womit der Lehrer in irgendeiner Form auch zurück zu Gott findet, welchen er vorher vehement abgelehnt hatte.
Die Regie von Thomas Ostermeier ist sehr behutsam und eher zurückhaltend, ist das Thema doch in sich schon dramatisch genug.
In der ersten Hälfte während des Schulunterrichts klappt das auch sehr gut, doch ausgerechnet beim Ausflug und bei der Ermordung des Schülers N, in dem Moment, in dem jetzt die Spannung steigen sollte, flacht die Inszenierung ab.
Vieles wird halb komisch, halb ironisch dargestellt, besonders bei der anschließenden Gerichtsverhandlung, bei der der Staatsanwalt (wir erinnern uns an die grausamen Verurteilungen deutscher Richter in der Nazi-Zeit) eher einer Witzfigur gleicht.
So wird der Abend ab der zweiten Hälfte etwas lang und kann die Spannung nicht bis zum Schluss halten. Dennoch gebührt dem Regisseur eine große Annerkennung diesen Roman auf die Bühne gebracht zu haben, um den Menschen in Zeiten der vielen Fake News zu zeigen, wie wichtig es ist, die eigenen Moralvorstellungen hoch zu halten und immer wieder für sich abzuwägen, was richtig und was falsch ist.
Ob mit dem Glauben zu Gott oder ohne.
„Jugend ohne Gott“ von Ödön von Horvath
Premiere am 28. Juli 2019 bei den Salzburger Festspielen
und am 7. September 2019 in Berlin
Schaubühne am Lehniner Platz
Kurfürstendamm 153
10709 Berlin
Regie: Thomas Ostermeier, Bühne: Jan Pappelbaum, Kostüme: Angelika Götz, Licht: Michael Gööck, Video: Sebastien Dupouey
Mit: Jörg Hartmann, Lauren Laufenberg, Moritz Gottwald, Lukas Turtur, Bernardo Arias Porös, Damir Avdic, Alina Stiegler, Veronika Bachfischer,
Hier unsere Bilderserie mit 5 Fotos der Produktion:
English text
pictures above
„Youth without God“ at the Schaubühne Berlin
By Holger Jacobs
09/09/2019
Thomas Ostermeier directed between National Socialism, the search for God and the criminal case.
The Austro-Hungarian author Ödön von Horvath is definitely one of my favorite authors. Plays like „Stories from the Vienna Woods or“ Faith, Love, Hope“ keep on inspiring me when I can see them again on stage.
The more excited I was last night on the novel adaptation of „YOUTH WITHOUT GOD“ in the Schaubühne Berlin. Director Thomas Ostermeier himself had taken over the direction.
The audience situation in the Schaubühne Berlin is something special. A cubically arranged space is divided into a half stage and another half an auditorium. Accordingly, the stage itself does not have the depth of a normal theater, which results in being played in the broad.
My 13th place in the 7th row was downright perfect last night. Right in the middle and at a perfect height for a good view across the whole width, I first saw a forest full of trees. Out of this came the actors and disappeared on their departure again in it. The props are brought in from left to right, and the actors act as stagehands themselves.
First appearance: Jörg Hartmann (by the way also very well known as „Prof. Bernhardi“ here at the same house). He represents the teacher, who full of remorse must teach the infamous morality of the National Socialists to his pupils. But he does not dare to say anything against it, because otherwise he threatens his dismissal from the civil service. Only when a student writes in an essay that Negroes are not human and that they can be killed, he ventures to point out to the student that Africans are human too. And the next day, the father of the student reports and says what would be said on the official radio, finally could not be wrong in the classroom.
Actor Jörg Hartmann (Commissioner Faber in the Crime Scene series TATORT from Dortmund) plays the teacher very subtle and reserved. Often he speaks directly to the audience, because the novel is told in first-person from the point of view of the teacher. You can feel his frustration of being unable to do anything, even though he knows everything around him is morally drained.
In an excursion with his students, where they are to be taught military drill, suddenly happens a murder. The teacher gets himself entangled in a fabric of lies, from which he no longer threatens to come out. Only in a conversation with the local pastor, he realizes that, whether one believes in God or not, everyone is committed to the truth, no matter what the consequences.
As soon as the teacher confesses to the truth in court, others suddenly do it too and the murder case is cleared up. Although the teacher is being suspended, the pastor offers him a job as a mission worker in Africa. Since the school class had jokingly called him „African“ the evening ended with the teacher’s final sentence: „An African goes to Africa.“ With which the teacher finds in some form also back to God, which he had vehemently rejected before.
The direction of Thomas Ostermeier is very cautious and rather restrained, the topic is in itself already dramatic enough. In the first half during the school lessons, this works very well, but just on the excursion and the murder of the student N, in the moment in which now the tension should rise, the staging flattens off. Much is portrayed as half funny, half ironic, especially in the subsequent trial in which the prosecutor (we remember the cruel convictions of German judges in the Nazi era) is more like a joke.
Thus, the evening is a bit long from the second half and can not hold the tension until the end. Nevertheless, the director deserves a great recognition to have brought this novel on the stage to show people in times of the many fake news, how important it is to uphold his own moral standards and weigh again and again, what is right and what is wrong.
Whether with faith to God or without.
„Jugend ohne Gott“ by Ödön von Horvath
Premiere on July 28, 2019 at the Salzburg Festival and on September 7, 2019 in Berlin
Schaubühne am Lehniner Platz
Kurfürstendamm 153
10709 Berlin
Author: Holger Jacobs
Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.