Professor Bernhardi in der Schaubühne Berlin
Von Holger Jacobs
21.12.2016
Wertung: 🙂 🙂 🙂 🙂 (vier von fünf)
Liebe Kulturfreunde,
als im Zuschauerraum während der Vorstellung am 19.12.2016 plötzlich mehrere Handys klingelten, reagierten die meisten recht amüsiert, ohne zu wissen, dass sich gerade ein furchtbarer Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt nur wenige hundert Meter entfernt am Breitscheidplatz ereignet hatte und viele wohl einfach nur wissen wollten, ob es den Angehörigen gut ginge. Selbst mein Sohn schickte mir eine SMS, ob ich wohlauf wäre. Ich schrieb ihm heimlich unter meinem Mantel zurück…
Diese tragischen Ereignisse, welche sich genau in dem Moment ereigneten, während ich am Montag in der neuen Produktion von „Professor Bernhardi“ in der Schaubühne saß, soll aber ich nicht den hervorragenden Eindruck schmälern, den ich von Thomas Ostermeiers Inszenierung hatte.
Handlung
Im Wien Anfang des 20. Jahrhunderts hat der hoch angesehene Prof. Bernhardi, Direktor einer privaten Klinik, einen hoffnungslosen Fall. Eine junge Patientin hatte sich einem verbotenen Schwangerschaftsbruch im fünften Monat unterzogen, vermutlich heimlich und unter wenig hygienischen Umständen. Die Wunde in ihrem Körper hatte sich entzündet und nun lag sie bei Prof. Bernhardi im Krankenhaus mit einer schweren Sepsis (Blutvergiftung). Ihr ist nicht mehr zu helfen und der Tod wird in Kürze eintreten. Doch die junge Frau denkt, sie wird wieder gesund und schwebt dank starker Medikamente in einer Art Euphorie, aus der sie der Professor auch nicht herausreißen möchte.
In diesem Moment erscheint ein herbeigerufener Priester, um ihr die letzte Beichte abzunehmen. Doch Bernhardi hält den Priester zurück, den freudigen Zustand der Patientin in ihrem letzten Lebensmoment nicht zu zerstören. Denn sein Auftreten würde ihr unweigerlich klar machen, dass ihr Leben zu Ende ist.
Nach einem kurzen Disput verlässt der Priester unverrichteter Dinge wieder das Krankenhaus. Doch anders als gedacht, verläuft dieser kurze Zwischenfall nicht im Sande, sondern wird, da Prof. Bernhardi jüdischen Glaubens ist, zum Politikum aufgebauscht. Die Affäre geht bis zum Parlament, welches ein Gerichtsverfahren fordert, in dem der Professor schließlich verurteilt wird, seinen Posten als Direktor und letztlich sogar seine Approbation verliert. Am Schluss sitzt er verzweifelt allein in einem großen Raum und weiß nicht mehr, wie ihm geschah.
Kritik
Gleich der erste Moment lässt dem Zuschauer keine Zweifel: Man befindet sich im einem Krankenhaus. Grelles weißes Licht durchflutet die Bühne und damit sogar den ganzen Zuschauerraum. Prof. Bernhardi, brillant gespielt von Jörg Hartmann, den manche auch als „Tatort“ Kommissar in er ARD kennen, wird von einer erstklassigen Schauspielgarde umringt, deren Spiel absolut glaubwürdig und wirklichkeitsnah erscheint. Da Bühne und Kostüme neuzeitlich bis zeitlos sind, hat der Zuschauer das Gefühl, diese Schauspieler sind direkt dem realen Leben entstiegen.
Als ich später Hans-Jochen Wagner, der im Stück den bösen Politiker Dr. Flint spielt, in der Kantine wiedertraf, trank er sein Bierchen genauso, wie es wohl auch Dr. Flint getan hätte. Spiel und Realität sind bei Regisseur Thomas Ostermeier eins geworden. Wie Intendant Ostermeier überhaupt ein außerordentlich gutes Händchen besitzt, die besten Schauspielkräfte an seinem Haus zu vereinen. So hatte er zuvor bereits Ingo Hülsmann und Nina Hoss vom Deutschen Theater geholt und in der nächsten Spielzeit wird auch Herbert Fritsch von der Volksbühne die Schaubühne am Lehniner Platz mit seinen Stücken bereichern (wir berichteten). Absolut bemerkenswert!
Zusätzlich hat mir sehr gefallen, dass die Inszenierung klar und stringent ist. Keine unnütze Gestik, kein überflüssiges Hin- und Hergelaufe, alles erscheint schlüssig und nachvollziehbar. Der helle, klare Raum mit nur wenigen Möbeln trägt zusätzlich zu diesem Eindruck bei. Eine gelungene Vorstellung, die sicher ein weiterer Erfolg an diesem Theaterhaus sein wird. Jetzt fehlt eigentlich nur noch Ulrich Tukur und Axel Milberg auf Ostermeiers Bühne. Wer weiß?
„Professor Bernhardi“ von Arthur Schnitzler
Fassung von Thomas Ostermeier und Florian Borchmeyer, Regie: Thomas Ostermeier
Schaubühne am Lehniner Platz
Kurfürstendamm 153
10709 Berlin
Mit: Dr. Bernhardi: Jörg Hartman, Dr. Ebenwald: Sebastian Schwarz, Dr. Cyprian: Thomas Bading, Dr. Pflugfelder: Robert Beyer, Dr. Filitz: Konrad Singer, Dr. Tugendvetter: Johannes Flaschberger, Dr. Löwenstein: Lukas Turtur, Dr. Schreimann/Kulka, ein Journalist: David Ruland, Dr. Adler: Eva Meckbach, Dr. Oskar Bernhardi: Damir Avdic, Dr.Wenger/Krankenschwester: Veronika Bachfischer, Hochroitzpointner: Moritz Gottwald, Professor Dr. Flint: Thomas Bading / Hans-Jochen Wagner, Ministerialrat Dr. Winkler: Christoph Gawenda, Franz Reder, Pfarrer: Laurenz Laufenberg
nächste Vorstellungen am 21., 22. und 23. Dez. 2016 und am 3., 5. und 6 Jan. 2017
Author: Holger Jacobs
Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.