Letter from Hong Kong

Hongkong - view from Kowloon © Baehring/ anonymous

Letter from Hong Kong

 

by Anonymous

06.10.19

English text below

Ein Bericht direkt aus dem Zentrum der Unruhen in Hongkong von einer Quelle, die anonym bleiben möchte (Anm.d.Red.)

Hongkong ist seit 2011 meine Wahlheimat und ich liebe mein Arbeitsleben und meinen Lifestyle hier.
Und ganz ehrlich- würde ich keine Nachrichten lesen und etwas ignorant sein, könnte ich mein Leben fast genauso weiter führen wie vor fast vier Monaten bevor der Widerstand begann.
Wahrscheinlich würde ich mich über gesperrte Straßen aufregen oder dass die MTR (U-Bahn) am Wochenende mal wieder gesperrt ist. In dem Viertel, in dem die meisten Ausländer leben, gibt es kaum oder eher gar keinen Grund anzunehmen, dass irgendetwas nicht stimmt oder anders wäre.

(Hongkong – übersetzt „duftender Hafen“– wurde während des Ersten Opiumkriegs 1841 vom Vereinigten Königreich besetzt und durch den Vertrag von Nanking 1843 zur britischen Kronkolonie erklärt. Für viele Chinesen war die britische Kolonie Zufluchtsort vor dem Chinesischen Bürgerkrieg 1927 bis 1949. Im Jahr 1997 erfolgte die Übergabe der Staatshoheit an die Volksrepublik China. Seitdem ist Hongkong eine chinesische Sonderverwaltungszone unter Beibehaltung einer freien Marktwirtschaft und hoher innerer Autonomie, Anm.d.Red.).

Seit Monaten demonstrieren die Hongkonger gegen ihre Regierung und den wachsenden Einfluss der kommunistischen Führung. Die Situation in Hongkong ist sehr bedenklich und niemand weiss wirklich wohin der Weg führt. Ich habe einige Hongkong-Chinesische Freunde und auch meine Angestellten sind hier geboren. Junge Leute, die in einer Demokratie aufgewachsen sind und deren größte Angst ist, bald Meinungsfreiheit und Grundrechte zu verlieren. Zwar ist das Ausweisungsgesetz abgelehnt worden, aber offensichtlich dient dies nur einem guten PR Zweck, um die westliche Welt denken zu machen, die Forderung der Demonstranten sei erfüllt worden und sie sich fragen: “Was wollen die denn noch?”

Aber in den letzten drei Monaten ist zu viel passiert, viele Bürger sind unglaublich wütend und geben sich mit der viel zu spät erfolgten Rücknahme des Gesetzes nicht mehr zufrieden. Es werden Grundrechte verletzt, was dazu führt, dass die Polizei gewalttätig gegen Jugendliche, alte Menschen und sogar Kinder vorgeht.

Die Rücknahme des Auslieferungsgesetzes an China durch Regierungschefin Carrie Lams, welches sie selbst erst Anfang des Jahres verkündet hatte, nennen die Demonstranten ein “Pflaster auf verrottetes Fleisch”.

(Die chinesische Politikerin Carrie Lam wurde bei ihrer Wahl 2017 nicht direkt vom Volk, sondern indirekt durch ein Wahlkomitee zur Regierungschefin der Sonderverwaltungszone Hongkong gewählt. Sie ist eine Statthalterin von Xi Jinpings (Staatspräsident der VR China) und schuldet nur dem chinesischen Präsidenten Rechenschaft, nicht dem Volk, Anm.d.Red.).

Deswegen kämpfen die Demonstranten weiter für Ihre fünf Forderungen:

  1. Rücknahme des Auslieferungsgesetzes nach China
  2. Unabhängige Untersuchung der Polizeigewalt / freie und demokratische Wahlen
  3. Rücktritt der Regierung
  4. Freilassung der Demonstranten
  5. Die Behörden müssen aufhören, die Proteste als Krawalle zu bezeichnen.

Mein Mann wurde in Hong Kong geboren. Anzusehen, wie vormals eine der sichersten Städte der Welt nun in Flammen aufgeht und zu wissen, dass China viel schneller als erwartet Einfluss nehmen wird, trifft ihn hart.
Wir nehmen an den offiziellen Protestmärschen teil, um die demokratische Bewegung zu unterstützen.
Ich wäre gern mehr mittendrin, vor allem auch fotografisch, wie damals bei der Umbrella Revolution 2014, aber wir haben ein Kleinkind und die Proteste sind mittlerweile alles andere als sicher, die Gefahr verhaftet zu werden ist mittlerweile gross.

Doch mit so vielen Menschen diese Solidarität und Einheit zu spüren und eine gemeinsame Idee zu teilen ist so bewegend und mächtig, dass sie mir schon einige male Gänsehaut beschert hat.

Bei den kilometerlangen Märschen mit Hunderttausenden Demonstranten gibt es viele freiwillige Helfer aus der Bevölkerung, die Wasser und Essen verteilen.
Es gibt ganz offensichtlich trotz brennender U-Bahn Stationen, Tränengas, Gewalt und Trümmern auch eine respektvolle Mehrheit, die die Forderungen der Demonstranten unterstützt und ich bin unglaublich beeindruckt und überrascht, wie mutig, hartnäckig und ausdauernd diese Hongkonger Jugend ist.

Obwohl die Polizei mit großer Brutalität vorgeht und auch zunehmend Leute verhaftet werden, geben die Hongkonger nicht auf und kämpfen unermüdlich weiter. Alle unsere Freunde sind mittlerweile mit Tränengas in Berührung gekommen, auch bei anfänglich friedvollen Demonstrationen. Einige von ihnen haben die Brutalität und den Machtmissbrauch der Polizei persönlich erfahren, darunter auch Freunde aus Europa.
Die Hongkonger sagen, sie haben nichts zu verlieren, denn nichts ist schlimmer als ihre Freiheit und Unabhängigkeit aufgeben zu müssen, dafür riskieren sie alles.
Denn ihre Generation ist die letzte, die noch für eine Revolution kämpfen kann.

Die letzte Information aus Hongkong:
Am Freitag, den 4. Oktober, wurde ein Vermummungsverbot ausgesprochen, was die Proteste noch einmal verschärfte.
Und am 8. Oktober drohte Carrie Lam mit dem Einmarsch chinesischer Truppen nach Hongkong.

Hier ein paar Bilder aus Hongkong in diesem Sommer 2019:

9 photos: Hong Kong City, July 2019 © Anonymous

English text

Letter from Hong Kong
From Anonymous
09/06/2019
(A report straight from the center of Hong Kong riots from a source that wishes to remain anonymous, editor’s note).
Hong Kong has been my adopted home since 2011 and I love my working life and lifestyle here. And to be honest, if I did not read news and be somewhat ignorant, I could lead my life almost as much as before the resistance began, four month ago.
I would probably be upset about closed roads or that the MTR (subway) is closed again at the weekend. In the neighborhood where most foreigners live, there is little or no reason to assume that something is wrong or different.

(Hong Kong – translated „fragrant harbor“– was occupied by the United Kingdom during the First Opium War in 1841 and declared a British Crown Colony by the Treaty of Nanking in 1843. For many Chinese people, the British colony was a haven from the Chinese Civil War from 1927 to 1949. In 1997 Since then, Hong Kong has been a Chinese Special Administrative Region, while maintaining a free market economy and high levels of internal autonomy, editor’s note).

For months, the Hong Kong people have demonstrated against their government and the growing influence of the communist leadership.
The situation in Hong Kong is very worrying and nobody really knows where the movement leads. I have some Hong Kong-Chinese friends and also my employees were born here. Young people who grew up in a democracy and whose biggest fear is losing free speech and fundamental rights.

Even as the extraction bill has been rejected, this obviously serves only as a good PR purpose to make the Western world think that the demand of the demonstrators has been fulfilled and they ask themselves, „What else do they want?“
But in the last three months too much has happened, many citizens are incredibly angry and are no longer satisfied with the much too late withdrawal of the law. Fundamental rights are violated, resulting in the police being violent against young people, the elderly and even children.
The withdrawal of the extradition bill by head of government Carrie Lams, which she herself had announced earlier this year, call the demonstrators a „plaster on rotted meat“.

(The Chinese politician Carrie Lam was not elected directly by the people of Hong Kong, but indirectly by an election committee to the head of the Hong Kong Special Administrative Region in 2017. She is a governess of Xi Jinpings (President of the People’s Republic of China) graces and owes only to the Chinese President, not to the people of Hong Kong, editor’s note).

That’s why they are still fighting for five demands:
1. Withdrawal of the extradition law to China
2. Independent investigation of police violence / free and democratic elections
3. Resignation of the government
4. Release of the demonstrators
5. The authorities must stop calling the protests riots.

My husband was born in Hong Kong. Watching as one of the safest cities in the world go up in flames now and knowing that the Republic of China is going to have an impact much faster than expected hits him hard.
We participate in the official protest marches to support the democratic movement. I would like to do more, like during the Umbrella Revolution in 2014, but we have a little child and the protests are far from to be safe, the danger of being arrested is now very high.

But with so many people, feeling solidarity and unity and sharing a common idea is so moving and powerful that it has given me goosebumps a few times.
On miles of marches with hundreds of thousands of demonstrators there are many volunteers from the population who distribute water and food. Obviously, despite burning subway stations, tear gas, violence and debris, there is also a respectful majority supporting the demands of the demonstrators, and I am incredibly impressed and amazed at how brave, persistent and enduring this Hong Kong youth is.

Nevertheless the police are acting with great brutality and increasingly people are arrested, they do not give up and fight tirelessly.
All of our Hong Kong friends have now been in contact with tear gas, even in initially peaceful demonstrations.
Some of them have personally experienced the brutality and abuse of power of the police, including friends from Europe.
They say they have nothing to lose, because nothing is worse than giving up their freedom and independence, for which some risk everything.
Because their generation is the last one who can still fight for a revolution.

Last information:
On Friday, October 4, a mantle ban was issued, which further aggravated the protests. And on October 8, Carrie Lam threatened to march on Chinese troops to Hong Kong.

Here some pictures of Hong Kong in the summer 2019:

Hong Kong City, July 2019 © Anonymous

 

Author: anonymous

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