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Mein Name sei Gantenbein im Berliner Ensemble

Berliner Ensemble, Mein Name sein Gantenbein, Matthias Brandt, Foto: Matthias Horn

Mein Name sei Gantenbein im Berliner Ensemble

 

Von Holger Jacobs

Holger Jacobs

20.01.2022

Wertung: 🙂 🙂 🙂 🙂 (vier von fünf)

Schauspieler Matthias Brandt überzeugt in einer One-Man-Show von Regisseur Oliver Reese

Zwei bekannte Namen, ein bekanntes Stück:
Schauspieler Matthias Brandt, Autor Max Frisch und sein berühmter Roman „Mein Name sei Gantenbein“ – ist das schon ein Garant für einen Erfolg?

Auf jeden Fall ein Garant für Aufmerksamkeit.

Der jüngste Sohn des legendären Bundeskanzlers Willy Brandt (Friedensnobelpreis für seine Aussöhnung mit den Osteuropäischen Staaten, Kniefall in Warschau) wollte schon von Jugend an nicht in die Fußstapfen seines Vaters steigen, sondern in die Schauspielerei. Er studierte an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover und bekam danach schnell Engagements auf mehreren bedeutenden Bühnen Deutschlands. Wie z.B. im Residenztheater München, sowie in den Schauspielhäusern von Zürich, Frankfurt und Bochum.

Anfang der 2000er Jahre beginnt die Karriere von Matthias Brandt als Film- und Fernsehschauspieler mit mehreren guten Streifen, wie z.B. „Im Schatten der Macht“, bei dem er ausgerechnet den Spion Günther Guillaume spielt, der damals in den siebziger Jahren seinen Vater für die DDR ausspioniert hat. Bis heute sind aus dieser Karriere fast 40 Filme geworden. Besondere Bekanntheit beim Fernseh-Publikum erlangte er durch die Rolle des Kommissars Hanns von Meuffels in der Krimi-Serie „Polizeiruf 110“, welcher er über sieben Jahre bis 2019 innehatte.

Nach über 20 Jahren vor der Kamera konnte ihn nun BE Intendant Oliver Reese davon überzeugen, mal wieder auf den Brettern der Welt zu stehen, die angeblich die Welt bedeuten. Und dann gleich in einem Ein-Personen Stück.

Matthias Brandt CC Stefan Brending

Handlung

Eine eigentliche Handlung, bei der es einen Anfang, einen Mittelteil und ein Ende gibt, ist hier bei „Mein Name sei Gantenbein“ nicht wirklich vorhanden. Wer den Roman von Max Frisch gelesen hat, weiß, dass es hier um einen Erzähler geht, der darüber räsoniert, wie es wäre, wenn ein Mensch sich als Blinder ausgibt, ohne in Wirklichkeit blind zu sein. Er hätte die Möglichkeit Dinge zu ignorieren, die andere sehen und auf die sie reagieren müssen.

Unter dem Motto: „Ich stelle mir vor“ erfindet Max Frisch mehrere Figuren, die er, wie in einem Marionetten-Theater, bestimmte Handlungen ausführen, bzw. bestimmte Geschehnisse erleben lässt.
Neben dem blinden Gantenbein, der sich mit der Prostituierten Camilla einlässt, weil er ja angeblich „nicht sehen“ kann, dass sie eine Hure ist, gibt es auch noch Frantisek Swoboda, dessen Frau Lila ihn mit einem Mann namens Enderlin betrügt. Später kommt es auch zu Begegnungen von Lila mit Gantenbein und die Geschichten setzen sich fort.

Max Frisch, 1974 CC Wikimedia Commons

Kritik

Oliver Reese übernahm den Text ziemlich originalgetreu, kürzte, wo er es für notwendig hielt und ließ laufen, wenn er es für richtig hielt. So ergibt sich ein Ein-Personen-Stück von ca. 1 ½ Stunden Länge, bei dem Matthias Brandt die Rolle des Erzählers einnimmt und mit großer Überzeugungskraft die einzelnen Geschichten des Romans wiedergibt. Er schafft es, trotz ständiger Präsenz auf der Bühne sich immer wieder zu wandeln und Stimme und Aussehen den unterschiedlichen Geschichten anzupassen.

Das außergewöhnliche Bühnenbild von Hannsjörg Hartung kommt ihm dabei zugute: Obwohl statisch, holt Brandt aus zahlreichen versteckten Schubladen und Schränken des rechteckigen und in den Ecken abgerundeten Kubus seine Garderobe, seine Getränke, seinen Blindenstock und andere Utensilien, die er bei seinen Geschichten verwendet. Nach Gebrauch wirft er sie in einen Graben zwischen Kubus und Zuschauern, nur um sie gleich wieder aus einer anderen Schublade herauszuholen: genial!

Berliner Ensemble, Theater am Schiffbauerdamm, Photo: Holger Jacobs

Matthias Brandts Spiel ist überzeugend und großartig. Er schafft es, unzählige Facetten des Erzählers mit Spiel und Mimik darzustellen.
Großer Applaus und Bravo-Rufe am Ende.
Er hat es verdient!

Was mir nicht so gut gefiel waren die Geschichten selbst, die hier vorgebracht werden. Sie interessieren mich nicht wirklich. Die Beziehungen zu Frauen und die Gesellschaft allgemein hat sich doch seit der Veröffentlichung des Romans im Jahre 1964 sehr verändert. So erscheinen die zwischenmenschlichen Probleme, die sich für Frisch damals wohl auftaten (man sagt, dass er diesen Roman auf Grund seiner unglücklichen Liebe zu seiner damaligen Lebensgefährten Ingeborg Bachmann geschrieben hat) für mich heute nicht mehr relevant. So muss ich zugestehen, dass ich mich trotz Matthias Brandts hervorragendem Spiel zwischendurch gelangweilt habe.

Fazit: Für Fans von Matthias Brandt.
Das neue Jahrtausend beschert uns aber ganz neue gesellschaftliche Probleme, gerade in Zeiten der Pandemie.
Vielleicht braucht es da einen neuen Roman mit neuen Geschichten und neuen Gantenbeins, Enderlins und Swobodas…

Bilderserie mit 10 Fotos von der Inszenierung „Mein Name sei Gantenbein“:

Matthias Brandt, „Mein Name sei Gantenbein“, Berliner Ensemble, Photo: Matthias Horn

 

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

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