Pierre Brice – Winnetou

Pierre Brice Interview 1990 © Holger Jacobs

Pierre Brice – Winnetou

Ein Nachruf

Von Karin Jacobs-Zander

7. Juni 2015. Anfang der 1960-er Jahre war nur John f. Kennedy in Deutschland populärer als er: Pierre Brice war schon vor einem halben Jahrhundert eine Legende und er blieb es ein Leben lang. Am Samstag, den 6. Juni, starb er mit 86 Jahren in einem Krankenhaus in Paris an einer Lungenentzündung in den Armen seiner Frau Hella.

Winnetou wurde sein Schicksal. Wer an Pierre Brice denkt, denkt an Winnetou – und umgekehrt. Es ist ein erstaunliches Phänomen, wie ein Schauspieler lebenslang durch eine einzige Rolle im kollektiven Bewusstsein des Publikums auf die Charaktereigenschaften dieser fiktiven Figur festgelegt wird. Die Karl-May-Filme wurden von 1963 bis 1968 gedreht und fortan konnte der blendend aussehende Franzose spielen, was er wollte, immer schob sich in der Vorstellung des Publikums „Winnetou“ vor die neue Rolle. Wie soll man sich einen Menschen vorstellen, der mit einer fiktiven Kunstfigur eine Symbiose eingegangen ist?

Pierre Brice Interview Karin Jacobs-Zander © Holger Jacobs

Pierre Brice Interview Karin Jacobs-Zander © Holger Jacobs

1929 wurde er in der bretonischen Hafenstadt Brest als Pierre Luis de Bris geboren. Geprägt haben ihn die frühen Erlebnisse seiner Kindheit , als er während der Besatzungszeit der Deutschen vielfach Gewalt und Hass, Angst und Misstrauen erlebt hatte. Familie und Freunde arbeiteten in der Resistance und er war stolz darauf, sich mit seinen Möglichkeiten am Widerstandskampf beteiligen zu können. „Courage“ , sein Zauberwort zum Überleben, wurde zum Leitbegriff seines Daseins. Als der Krieg endlich vorbei war, Frankreich befreit und Normalität wieder möglich wurde, war es für Pierre Brice zu spät, um sich einfügen zu können in ein normales Leben in der heimatlichen Bretagne. Mit dem, was er erlebt hatte, konnte er sich ein geordnetes ruhiges Zuhause und die Konzentration auf einen bürgerlichen Beruf nicht mehr vorstellen. Er riss sich aus der familiären Geborgenheit los, um in Indochina (Vietnam) als Freiwilliger für Frankreich zu kämpfen, denn wieder sah er die Werte, für die sein Heimatland stand, bedroht, wieder glaubte er, dass er sich einsetzen müsste, wollte Verantwortung übernehmen und seine Kräfte messen im einem Kampf, dessen Grausamkeit er sich vorher nie hätte ausmalen können. Courage bekam jetzt eine existentielle Bedeutung.

Zurück gekehrt als innerlich Verwundeter suchte er in Paris ziellos einen Sinn in seinem Leben. Das, was ihn das Leben bisher gelehrt hatte, konnte er weder beruflich noch privat gebrauchen. Er spürte, dass er ein Außenseiter geworden war und es kam ihm gelegen, dass sein glänzendes Aussehen ihn zuerst als Fotomodel tauglich erscheinen ließ, ein wenig später dann als Schauspieler. Der Beginn der Karriere war mühsam und die Erfahrungen bestätigten ihm aufs Neue das Gefühl, nicht dazu zu gehören. In Paris gab es Alain Delon, dessen Stern gerade am Film-Himmel aufging und eine Gruppe von Filmemachern verteilte Rollen und Regie unter sich. Das Revier war abgesteckt und niemand wartete auf Pierre Brice. Er zog die Konsequenzen, brach seine Zelte in Frankreich ab und wanderte aus nach Italien. Der Aufbruch zu neuen Ufern wurde in Rom belohnt. Der italienische Film erkannte seine Begabungen und gab ihm endlich die ersehnten Chancen. Pierre Brice bekam gute Rollen in großen Produktionen und fühlte sich zum ersten Mal seit seinen Kriegserfahrungen angenommen. Jetzt begann für ihn eine Zeit, in der ihm die Türen zum internationalen Filmgeschäft offenstanden. Für eine Weile hatte er gute Aussichten, ein international erfolgreicher Filmschauspieler, vielleicht sogar ein Star zu werden. Mit Erfolg spielte er alles, was die Branche ihm anbot. Witzige Tunichtgute, rasante Verführer, smarte Detektive, große Liebhaber, antike Helden, es gab kaum ein Fach, das er nicht ausgefüllt hätte.

Pierre Brice Interview Karin Jacobs-Zander © Holger Jacobs

Pierre Brice Interview Karin Jacobs-Zander © Holger Jacobs

Dann kam Winnetou in Deutschland. Horst Wendlandt, ein erfolgreicher Filmproduzent mit gutem Instinkt für Themen, die gerade dran waren , hatte auch ein untrügliches Gespür für rollendeckende Besetzungen. Er sah den Franzosen bei den Filmfestspielen 1962 in Berlin und wusste: das ist mein „Winnetou“. Pierre Brice nahm das für ihn ziemlich exotisch anmutende Angebot an, in einem deutschen Western einen Indianerhäuptling zu spielen. Weder von Karl May noch gar von Winnetou hatte er jemals zuvor etwas gehört. Der Rest ist Film- Legende. „Der Schatz im Silbersee“ wurde ein überwältigender Erfolg, Pierre war von einem Tag zum anderen zu dem Superstar in Deutschland geworden, und blieb an diese Rolle gebunden, mehr noch, wurde an sie gefesselt.

Es fiel ihm nicht schwer, die Werte der Tapferkeit, der Solidarität, Toleranz, Empathie und Treue von Winnetou im Film zu verkörpern. Das, was seine Jugend ihm an Erfahrungen und Lehren mitgegeben hatte, blieb als Maßstab seines Lebens im Film, wie auch privat, erhalten.

In der aus Bayern stammenden Hella Krekel fand er eine Frau, die diese Werte mit ihm lebte. Zusammen wurden sie zu einer Einheit, die sich durch Liebe und Treue verbunden wusste. Bis zuletzt war sie mit ihrer ganzen Hingabe bei ihm, organisierte ihr gemeinsames Leben in einem wunderschönen Landhaus in der Nähe von Paris und führte ihn mit Geduld und Einfühlungsvermögen durch die immer größer werdenden Einschränkungen des Alters.

Pierre Brice war ein Star in Deutschland, wie es ihn heute so nicht mehr geben kann. Und er war mehr als das. Er zeigte mit seiner Persönlichkeit, dass es möglich ist, seinen Werten treu zu bleiben, sein Leben nach seinen Idealen auszurichten und sich nicht nach Moden zu richten.Pierre Brice blieb immer was er war: ein ehrlicher Mensch, der sich für andere einsetzte, der mutig seinen Weg ging, sich nicht anpasste und dafür bis zu seinem Tod geachtet, verehrt und geliebt wurde. Eine große Lebensleistung hat ihr Ende gefunden.

 

Pierre Brice Interview 1990 © Holger Jacobs

Pierre Brice Interview 1990 © Holger Jacobs

 

 

Author: Karin Jacobs-Zander

Karin Jacobs-Zander, Dramaturgin und Autorin der Bücher „Lebenslotsen“ und „Wo München am schönsten ist“ aus dem Ellert & Richter Verlag, lebt in München als freie Journalistin

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