Deutschstunde – Berliner Ensemble
Premiere am 6. Juni 2015
Wertung: 🙂 🙂 🙂 🙂 (vier von fünf)
Von Holger Jacobs
8. Juni 2015. Gleich als ich den Titel im Spielplan des Berliner Ensembles sah machte mein Herz einen Sprung. Als junger Mann hatte ich den Roman von Siegfried Lenz geliebt. Er verbindet mehrere Dinge, die für mich damals wichtig waren (und es auch heute noch sind): Einmal meine norddeutsche Heimat, dann die Situation eines Heranwachsenden in der Nachkriegszeit, die wichtige Aufarbeitung unserer jüngeren deutschen Geschichte und zuletzt die Geschichte über einen Maler, der unter den Nazis als entartet galt und heute zu den wichtigsten Vertretern des deutschen Expressionismus zählt – Emil Nolde. All das in einem Roman vereint. Deshalb habe ich es verschlungen. Und jetzt als Bühnenstück. Aber kann das gut gehen?
Ich hatte einmal Thomas Manns „Die Buddenbroks“ im Hamburger Thalia Theater gesehen und war enttäuscht. Von Kafkas Romanen gibt es auch einige Bühnenversionen und zuletzt hier in Berlin „Die 120 Tage von Sodom“ (siehe auch hierzu meine Rezension vom 28.5.2015) nach Marquis de Sades Aufzeichnungen an der Volksbühne.
Also machte ich mich am letzten Samstag auf zur Premiere in das Theater am Schiffbauerdamm (wie das Berliner Ensemble auch heißt) und war angenehm überrauscht: Christoph Hein hat das Buch gekonnt in ein Theaterstück hinübergeführt. Die Sprache stimmt, die Dramaturgie ebenfalls und die Regie von Philip Tiedemann ist angenehm unaufgeregt und trotzdem präzise.
Handlung
Ein junger Mann, Siggi Jepsen, sitzt kurz nach dem Kriege in einer Jugendbesserungsanstalt und soll in einer Deutschstunde einen Aufsatz mit dem Thema „Die Freuden der Pflicht“ schreiben. Zunächst bringt er nichts aufs Papier und gibt ein leeres Blatt ab. Bei einem zweiten Anlauf jedoch fängt er an seine gesamte Jugenzeit zu erzählen. In der das Wort Pflicht eine übergeordnete Größe einnahm. Sein Vater war nämlich der Dorfpolizist Jens Ole Jepsen, der in dem schleswig-holsteinischen Dorf Rugbül seinen Dienst tut. Dort lebt auch der Maler Max Ludwig Nansen. Eines Tages kommt Jepsen zu ihm und verkündet, dass er laut einem Brief der nationalsozialistischen Kulturbehörde aus Berlin künftig Malverbot hätte und seinen Beruf nicht mehr ausführen dürfe. Das Besondere dabei: Beide, Jensen und Nansen, kennen sich seit ihrer Kindheit sehr gut und Nansen rettete Jepsen sogar einmal bei einem Badeunfall das Leben. Dennoch verrichtet der Dorfpolizist aufs genaueste die Anweisungen aus Berlin, mit dem Argument, dass dies seine Pflicht sei. Auch die Tatsache, dass falsches oder richtiges Malen wohl kaum eine besondere kriminelle Bedeutung hat, ist Jepsen egal. Er fängt an den Maler Tag und Nacht zu bewachen, um zu sehen, ob das Malverbot auch eingehalten wird. Sogar die anderen Dorfbewohner, mehrere von ihnen selbst glühende Hitler-Verehrer, betrachten die Aktion des Dorfpolizisten zusehends als lächerlich. Schließlich lässt Jepsen den Maler von schwarz gekleideten Schergen der Geheimpolizei abholen, als dieser das nächtliche Verdunklungsgebot umgeht, um nachts nun doch noch malen zu können. Als der Krieg endlich vorbei ist und alle versuchen, eine neue Ordnung zu finden, nimmt Jepsen die im Krieg beschlagnahmten Bilder und will sie im nachhinein noch verbrennen. Sohn Siggi, der eine große Sympathie für den Maler hegt, kann ihn nicht abhalten und wird vom Vater verprügelt. Doch kurze Zeit später wird genau dieser Maler sehr bekannt und seine Bilder hängen in vielen Ausstellungen. Siggi, der das übertriebene Pflichtbewusstsein seines Vaters als Trauma empfindet, fängt nun an, diese Bilder zu stehlen, weil er meint, sie vor dem Vater retten zu müssen, weshalb er schließlich in einer Besserungsanstalt landet.
Kritik
Wie schon in der Einleitung erwähnt, hat mir sowohl die Textbearbeitung von Christoph Hein, als auch die Regie von Philip Tiedemann gut gefallen. Die Schauspieler sind überzeugend, allen voran Joachim Nimtz als Vater Jens Ole Jepsen und Peter Miklusz als Sohn Siggi. Aber auch die Nebenfiguren sind gut besetzt, wie z.B. Georgios Tsivanoglu als die dicke Hilde Isenbüttel. Übrigens werden alle Frauenrollen von Männern gespielt, was aber kaum auffällt. Einige schöne humorvolle Ideen kommen besonders gut an: zum Beispiel werden alle Geräusche, vom Rauschen des Windes über das Trommeln des Regens bis zum Knall eines Schusses, von den Schauspielern selbst erzeugt, die, während sie selbst nicht in Aktion sind, für das Publikum sichtbar, auf der linken Bühnenseite sitzen. Eine gelungene Inszenierung, die neben der Tragik des Geschehens auch etwas Humorvolles findet, was dem Charakter des Buches durchaus entspricht. Da das Stück erst am Ende der diesjährigen Spielzeit herauskommt, hoffe ich stark, dass es im Repertoire des Theaters auch in der nächsten Saison zu sehen sein wird.
Nächste Vorstellungen am 17., 20., 26. und 30. Juni 2015
Author: Holger Jacobs
Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.