Schatten in der Schaubühne Berlin

Schatten - Schaubühne Berlin © Gianmarco Bresadola

Schatten in der Schaubühne Berlin

 

Von Camilla Hertz

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08.10.2016

Intro

Am 28. September feierte „Schatten (Eurydike sagt)“ von Elfriede Jelinek, inszeniert von Katie Mitchell, Premiere in der Schaubühne. Der Mythos von Orpheus und Eurydike wurde jahrhundertelang aus Orpheus Perspektive betrachtet. Jelinek schrieb vor drei Jahren das Drama um, in dem es nun von der feministischen Darstellung und Eurydikes Perspektive handelt.

Inhalt

Der Mythos dreht sich um das Ehepaar Orpheus und Eurydike. Nachdem Eurydike durch einen Schlangenbiss tödlich verunglückt, bittet Orpheus mit seinem Gesang den Totengott Hades, Eurydike aus der Unterwelt holen zu dürfen. Voraussetzung ist, dass Orpheus vorangeht und Eurydike nicht ansehen darf, sie also in seinem Schatten bleibt. Dies misslingt und Eurydike verbleibt in der Unterwelt.

Kritik 

Im Kern handelt die Inszenierung von einer co-abhängigen Beziehung, Selbstzweifeln, Ängsten, Sexsucht, Zwängen und noch viel mehr psychischen Problemen bzw. Psychopathologien.

Das Stück wird geprägt von sehr viel Bewegung und Aktion – nicht nur durch die Schauspieler. Es tummeln sich bis zu 10 Kameraleute und Aufnahmeleiter gleichzeitig auf der Bühne. Aus allen erdenklichen Perspektiven wird gefilmt und synchron auf die große Leinwand über der Bühne projiziert. So entsteht ein Film.

Die Schauspieler bleiben die meiste Zeit über stumm. Eurydikes gedanklicher Monolog wird von einer Sprecherin in einem abgeschlossenen Kasten vorgelesen.

Wichtige Szenen finden in einem alten VW Käfer statt, der mit bummernden Bässen durch einen nicht enden wollenden Tunnel zu fahren scheint. Mithilfe eines Fahrstuhls gelangen die Charaktere in die Unterwelt, im Stock -99 ist das Ziel erreicht.

Orpheus wird als dumpfer, triebgesteuerter und selbstverliebter Sänger dargestellt. Als Zuschauer kann man nicht mit ihm sympathisieren. Eurydike ist eine abhängige, in sich gefangene Schriftstellerin ohne Erfolg. Im Verlauf des Dramas emanzipiert sie sich immer weiter und kommuniziert dies auch deutlich. Klischees in der Rollenverteilung werden also deutlich bedient.

In der Unterwelt verbleibend streift Eurydike ihr „Angstkleid“ („Ich bin gefangen in der Angst, die mich wie ein Kleid umschließt.“) ab und scheint sich so auch von allen anderen Problemen zu lösen. Am Ende sitzt sie nackt an einem Schreibtisch vor leeren Papierbergen und beginnt diese mit Worten zu füllen. Dieser rasche Wandel erscheint dann doch zu simpel.

An technischer Raffinesse fehlt es der Inszenierung keineswegs. Doch weniger ist bekanntlich mehr. So hätte etwas weniger Bewegung auf der Bühne und mehr Vertrauen in die herausragenden schauspielerischen Talente sowie das Bühnenbild nicht geschadet. Im Gegenteil: Am Ende fühlt man sich reizüberflutet und es ergeht einem ein wenig wie Eurydike („Ich will im Schatten bleiben und im Schatten sein. Ich will meine Ruhe.“).

Schatten (Eurydike sagt) von Elfriede Jelinek
Mit: Jule Böwe, Stephanie Eidt, Renato Schuch, Maik Solbach sowie Marcel Kieslich, Nadja Krüger und Christin Wilke (Kamera), Simon Peter (Boom Operator)
Regie: Katie Mitchell

Schaubühne am Lehniner Platz
Kurfürstendamm 153
10709 Berlin

nächste Vorstellungen: 9., 10., 11., 14., 15. und 16. November 2016

"Schatten", Schaubühne Berlin © Gianmarco Bresadola

7 Fotos: „Schatten“, Schaubühne Berlin © Gianmarco Bresadola

Author: Camilla Hertz

Studentin der Psychologie auf der MSB Medical School Berlin, Masterstudiengang

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