South Pole an der Bayerischen Staatsoper

South Pole - Bayerische Staatsoper © Wilfried Hösl

South Pole an der Bayerischen Staatsoper

 

Wertung: 🙂 🙂 🙂 🙂 🙂 (fünf von fünf)

 

Musik als Sprache der Seele

 

Eine Uraufführung

 

Von Karin Jacobs-Zander

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6.2.2016

 

Intro:

 

„South Pole“ erzählt die Geschichte zweier egomanischer Männer, die ohne Rücksicht auf Verluste ihre ehrgeizigen Pläne durchsetzen, um der Wissenschaft einen weiteren Meilenstein hinzu zu fügen, um ihrem Land, beziehungsweise ihrem Herrscher, die Ehre zu erweisen und – sicher nicht zuletzt – um ihrer eigenen historischen Größe willen.

 

Robert Falcon Scott und  Roald Amundsen, diese beiden Namen stehen für furchtbare Geschehnisse um einen unbarmherzigen Wettlauf gegeneinander zum Südpol, der zu einem Wettlauf mit dem Tod wurde. Engländer der eine, Scott, lebenslustig und sympathisch, Norweger der andere, Amundsen, korrekt und so hart, wie man sich einen Helden aus dem Norden eben vorstellt. Nicht so sehr die Frage, wer der Bessere war, der Schnellere vor allem, wer die Vorbereitungen sinnvoller gestaltete und wer skrupelloser mit Tieren und Menschen umging, hat die Fantasie von Schriftstellern und Filmemachern immer wieder angeregt. Endscheidend waren die so unterschiedlichen Charaktere dieser beiden Männer, die zusammen mit ihren Crews in der Einsamkeit der Antarktis den Kampf gegeneinander aufnahmen, ohne jemals in Sichtweite zueinander zu kommen. Letzten Endes war es ein virtuell anmutender Kampf zweier besessener Männer auf Leben und Tod, in dem es im Grunde um nichts ging, denn die Frage, wer die Fahne als erster auf einen bestimmten Eispunkt der Welt steckt, konnte 1912 nicht mehr weltbewegend sein.

 

Worum gehts es? 

 

Was also interessiert uns an dem Drama? Nicht die Schneestürme, nicht die Helle oder Dunkelheit, nicht die Eisberge und Schollen – wir kennen sie alle von Filmen, wir können Kreuzfahrtreisen dorthin unternehmen und uns im Internet informieren.

Einzig spannend und aufregend ist das, was in diesen Menschen vor sich ging. Die Frage, was sie trieb, vor allem aber was mit ihren Gefühlen und Gedanken geschah auf dieser Reise in die Unendlichkeit. Wie aber ist das, was Menschen – vielleicht – empfinden, darstellbar? Mit Worten in guter Lektüre? Nur in sehr seltenen Fällen großer Autoren gelingt es wirklich. In Filmen? Die frühen Meisterwerke von Ingmar Bergman haben dafür einen Weg gezeigt: mit Großaufnahmen und wenig Text ist der schwedische Regisseur seinen Protagonisten in ihre Seele hinein gekrochen. Bis heute sind das einmalige Kunstwerke – unvergleichbar mit den vielen wortreichen Versuchen anderer Regisseure, die ihm nachfolgten.

 

Dass es einen, vielleicht nur einen einzigen Weg gibt, die Seele des Menschen zu zeigen, habe ich in der Vorstellung von „South Pole“ erfahren: Nur die Musik kann die Sprache der Seele so ausdrücken, dass sie uns erreicht ohne den Umweg der Ratio. Und genau das ist der Ansatz des Komponisten, der auf jede Exzentrik, auf jede überflüssige Dramatik, jedes noch so kleine Zugeständnis an Äußerliches verzichtet. Seine Musik drängt sich nicht auf, sie gibt keine melodischen Linien vor, setzt selten rhythmische Akzente – ja, sie schmerzt noch nicht einmal. (Ich hörte eine Dame im Publikum fast erstaunt sagen: “Unangenehm ist die Musik eigentlich nicht!“ ) . Sie liegt nur wie ein Klangteppich aus Eis und Wolken und Wind unter dem Geschehen und schweigt manchmal ganz . In den Dissonanzen spürt man intuitiv, wie die Natur schreien und weinen kann , und wie sehr der Mensch in seine Mitwelt verwoben, von ihr umfangen und bestimmt wird.

 

Auf diesem lebendigen Klang-Teppich aus Eis und Schnee gibt der Komponist den Sängern alle Fäden in die Hand. Sie sind es, die dieses Schauspiel der inneren Kämpfe, der Hoffnungen, der Verzweiflung, der Liebe und der Wut tragen müssen. Ich will nicht darüber spekulieren, was geschehen wäre, wenn auch nur einer der beiden Protagonisten ausgestiegen wäre oder wenn versucht würde, mit anderen Sängern unter einem anderen Dirigenten dieses Opernwerk aufzuführen.

Um es klar zu sagen: die Münchner Staatsoper hat mit der musikalischen Leitung von Kirill Petrenko , der Regie von Hans Neuenfels und vor allem mit den beiden Sänger-Stars Thomas Hampson und Rolando Villazón die optimale Besetzung für ihre Auftragsarbeit möglich gemacht.

 

 Kritik:

 

Die ruhige , sich nie in den Mittelpunkt stellende Regieführung von Hans Neuenfels , der seine Tierliebe durch die von Tänzern herzzerreißend echt dargestellten Ponys und Hunde diesmal sinnvoll einsetzen konnte, gab den Sängern die Möglichkeit, ganz aus dem Innern heraus zu singen und zu spielen. Das natürlich vollkommen in Weiß gehaltene Bühnenbild von ihm und Katrin Connan verzichtete darauf, eine virtuelle Weite vorzugaukeln . Ein nach hinten begrenzter Raum, spiegelte nicht die Natur wider, sondern die Gefangenschaft der Menschen im Eis. In der Mitte der Bühne war eine ebenfalls weiße Leiste angebracht, die die Trennungslinie zwischen der Welt von Scott und der von Amundsen markierte. Überschritten wurde sie nur einmal – als Amundsen mit seinen Männern den Pol erreichte und für diesen Moment die ganze Bühne einnahm. Einzig die Beleuchtung hätte ein wenig mehr Unterstützung für das Bühnengeschehen geben können, zumindest dort, wo Wachträume und Halluzinationen neben der Realität dargestellt wurden.

 

Die großartigen Sängerdarsteller   trugen die Oper und ihnen gilt – allen voran Hampson und Villazón – meine ganze Bewunderung. Sie waren nicht nur ihren Rollen passgenau zuzuordnen – auf den alten Fotos im Programmheft sieht man die erstaunliche Ähnlichkeit , die gaben auch von ihrer Persönlichkeit her das perfekte Abbild der beiden so vollkommen unterschiedlichen Forscher. Der traumhaft sicher intonierende Thomas Hampson (diese für ihn grundsätzliche Selbstverständlichkeit soll bei der zeitgenössischen Musik durchaus noch einmal hervorgehoben werden) hat die ersten Töne des Abends zu singen: Morsezeichen, mit denen Amundsen an Scott den Wettkampf übermittelt. Wie jeder seiner Staccato – Töne von oben herab wie Perlen gesetzt, durch die Oper klang – das war ein gesangliches Meisterwerk, das sich im weiteren Verlauf des Abends noch steigerte.

 

Der Komponist Miroslav Srnka wurde am 23. März 1975 in Prag geboren. Er studierte Musikwissenschaft und Komposition in Prag, Berlin und Paris. 2004 erhielt er den Leos Janacek Preis. Seine Kompositionen reichen von Klavierpartituren über Kammermusik und Liedern bis Opern. „South Pole“ ist seine dritte Opernarbeit nach „Flügelbunt“ an der Semperoper in Dresden 2011 und „Make No Noise“ für die Münchner Openfestspiele, ebenfalls 2011.

 

Komposition: Miroslav Srnka

Libretto: Tom Holloway

Musikalische Leitung: Kirill Petrenko

Regie: Hans Neuenfels

Bühne: Katrin Connan, Hans Neuenfels

Kostüme: Andrea Schmidt-Futterer

Robert Scott: Rolando Villazon

Roald Amundsen: Thomas Hampson

Kathleen Scott: Tara Erraught

Landlady: Mojca Erdmann

Nächste Vorstellungen am 6., 9. und 11. Februar 2016

 

"South Pole" - Bayerische Staatsoper 2016 © Wilfried Hösl

10 Bilder: „South Pole“ – Bayerische Staatsoper 2016 © Wilfried Hösl

Author: Karin Jacobs-Zander

Karin Jacobs-Zander, Dramaturgin und Autorin der Bücher „Lebenslotsen“ und „Wo München am schönsten ist“ aus dem Ellert & Richter Verlag, lebt in München als freie Journalistin

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