Bücher im Februar 2022 auf kultur24.berlin

Unsere Bücher Tipps im Februar 2022

Bücher im Februar -Jörg Braunsdorf © kultur24.berlin

Unsere Bücher Tipps im Februar 2022

 

Von Jörg Braunsdorf

Buchhandlung Tucholsky

08.07.2021

Die Buchempfehlungen für den Monat Februar 2022 von Buchhändler Jörg Braunsdorf von der Tucholsky Buchhandlung in Berlin-Mitte.

 

„FEBRUAR 33 – Der Winter in Literatur“ von Uwe Wittstock © Beck Verlag

„Februar 33 – Der Winter der Literatur“, Uwe Wittstock, Beck Verlag
Uwe Wittstock ist Literaturkritiker, Journalist und wurde mit dem Theodor-Wolff-Preis für Journalismus ausgezeichnet.
Sein neues literarisches Sachbuch „Februar 33 – Der Winter der Literatur“, erzählt, wie innerhalb eines Monats die totale Überwältigung der Demokratie seitens der Nazis gelang. Das Buch verbindet Zeitgeschichte, Literaturgeschichte und ist spannend wie ein guter Krimi geschrieben, wobei die Kriminalgeschichte hier die Machtergreifung der Nazis ist.

Durch die kleinen und großen Geschichten über die Schriftstellerinnen und Schriftsteller wirkt jedes Kapitel, jeder erzählte Tag, authentisch und spiegelt die Atmosphäre dieser Tage wieder.
Und wir erhalten Literaturtipps: etwa Zuckmeyers „Fröhlicher Weinberg“ eine bissige Satire auf Völkisches Denken und Handeln, oder sein „Des Teufels General„ dem Leben und das Zitat des berühmten Fliegers Ernst Udet „Eines Tages wird uns der Teufel holen.“ zugrunde liegt. Eine Ahnung die auch Lion Feuchtwanger, in dessen Roman „Erfolg“ er Hitlers politischen Aufstieg karikiert in Amerika ausdrückte: „Hitler means war“.

Das Buch ist aber auch eine dramatische Berlin-Geschichte, wenn wir über die Gleichschaltung der Akademie der Künste erfahren. Und erlesen, wie die Räume für demokratisches Leben immer enger wurden.
Wittstock analysiert die Faktoren, die zur Machtübernahme der Nazis führten, wachsender Einfluss extremistischer Parteien, überhitzte Propaganda, unentschlossene politische Mitte, Antisemitismus/ Sündenbockphilosophie, rechtspopulistische Regierungen in anderen Ländern.

Das kommt einem, die Gegenwart betreffend, bekannt vor.
Wir erfahren von Heinrich, Klaus, Erika + Thomas Mann, Berthold Brecht, Elsa.Lasker-Schüler, Mascha Kaleko, Gabriele Tergit, Harry Graf Kessler, und vielen Anderen – eine Einladung deren Poesie lebendig zu halten.

 

 

„MONDNACHT“ von Chris Verfuß/ Felix Erdmann © Trabanten Verlag

„Mondnacht – Fünf vor Zwölf“, Chris Verfuß/Felix Erdmann (Hrsg.) Trabanten Verlag
Der im letzten Jahr gegründete Verlag startete mit 2 Lyrikbänden und verkauft sie jeweils über 3000 mal, vor allem über digitale Räume. Dieses Buch verknüpft 2 Genre miteinander. Bekannte Personen schreiben Antworten auf die Klimakrise, u.a. der Politiker Gregor Gysi, die Philosophen Gert Scobel und Frederike Neuber, die FFD-Aktivistin Carla Reemtsma,der Schriftsteller John von Düffel.

Und wir treffen auf Texte von Lyrikern, z. Tl aus der Epoche der Romantik, u.a. Joseph von Eichendorff, Heinrich Heine, Else Lasker-Schüler, Annette von Droste-Hülshoff und und. Das ist die kluge Idee, Gedichte öffnen die Wahrnehmung auf die Veränderungen und Gefährdungen unseres Planeten durch die Zerstörungswut der Kreatur Mensch.

Sie begleiten die sachlichen Texte durch sensible Wahrnehmungen, erzählen von Tieren oder Pflanzen die im „Zivilisationsprozeß“ schon verschwunden sind oder zu verschwinden drohen. Die Lyrik kann trösten, sie kann die sachlichen Analysen verstärken und zum Handeln ermuntern, oder einfach unterhalten. Eine klasse Idee der beiden Herausgeber Chris Verfuß und Felix Erdmann!

 

 

„DAS VERBOTENE NOTIZBUCH“ von Alba De Céspedes © Insel Verlag

„Das verbotene Notizbuch“, Alba De Céspedes, Insel Verlag
Ein Moment, ein scheinbarer Zufall reicht um ein Leben zu verändern.
Valeria führt ein klassisches Mittelschichtsleben in einer klassischen vierköpfigen Familie in den 50er Jahren in Italien.

Beim Zigaretten holen (für ihren Mann) kauft sie ein Notizbuch, beginnt Tagebuch zu schreiben, heimlich.
Sie erzählt von der Prüderie dieser Jahre, von gesellschaftlichen Zwängen und scheinbar unverrückbaren Rollenzuweisungen.
Gesellschaftliche Konformität, die katholische Kirche und Angst vor einem neuen Krieg prägen den Alltag.

Niemand in der Familie strahlt Sympathie aus. Beim Lesen hatte ich immer wieder Momente, in denen ich das Buch am liebsten gegen die Wand geworfen hätte, verzweifelt über unmögliche Verhaltensweisen und Erwartungshaltungen. Trotzdem las ich atemlos Seite für Seite, hoffend, dass sich vor allem Valeria und ihre Tochter Mirella aus dieser Lähmung befreien wollen und können.

Mit diesem Roman zeichnet die die Autorin eine harte psychologische Gesellschafts- und Familienstudie, sprachlich perfekt.
Ich wünsche mir, dass der Verlag die Wiederentdeckung der Romane von Céspedes, die während des 2. Weltkrieges im Widerstand gegen die Faschisten aktiv war, fortsetzt!

 

 

„DIE GROSSE HAMBURGER STRASSE“ von Irina Liebmann © Schönling & Co

„Die Große Hamburger Straße“, Irina Liebmann, Schöffling & Co
Die Autorin ist eine poetische Chronistin Berlins über Jahrzehnte. Die Titel der lieferbaren Bücher bei Schöffling bisher: „In Berlin“, „Die freien Frauen“, „Die Große Hamburger Straße“. Dieses Buch ist eine poetische Erzählung dieser Straße, die durch die protestantische Sophienkirche, in der Martin Luther-King während eines DDR-Besuches im Jahr 1964 eine Rede gehalten hatte, durch das jüdische Gymnasium und den uralten jüdischen Friedhof auf dem heute ein Gedenkstein an Moses Mendelssohn erinnert und das katholische St. Hedwig Krankenhaus, ein religiöses Zentrum darstellt, führt. Es ist aber auch die Straße, in der Menschen im Gestapo-Gefängnis Folter ausgesetzt waren. Und es ist die Straße des kleines Cafés, weltliches Pendant zu den Glaubenszentren. Liebmann seziert und analysiert die Straße. Haus für Haus lernen wir den Rhythmus der Straße kennen, angereichert durch kleine Begegnungen, Blicke von einem Balkon, kleinen Spaziergängen. Ihre detailreichen Beschreibungen erzählen geduldig, formulieren den Moment, die Beobachtung aus. Das ist intensiv,konzentriert und ruhig erzählt. Diese Kunst erinnert an die Filmkunst a la Tarkowski, in der die Kamera Momente episch festhält und sich entwickeln lässt. Nach der Lektüre dieses Romans wird der Blick auf diese besondere 400 Meter lange Straße und den dazugehörigen Stadtteil in Berlins Mitte ein anderer sein.

 

 

„ROM – Fantastische Erzählung“ von Marcus Hammerschmitt © Schiler & Mücke

„Rom – Fantastische Erzählung“, Marcus Hammerschmitt,, Schiler & Mücke Verlag
„Waschaktive Substanzen“ heißt sein bemerkenswertes Buch mit kurzen Texten, erschienen in einer 333er Auflage in der Berlin „Edition Monhard“.
Und nun: „Rom – Fantastische Erzählung“, eine kuriose, skurrile Geschichte eines Paares, deren Reise in einem Nachtzug in die ewige Stadt Rom vor dem Brenner in einem Zugstau endet. Ein Zugstau, der die Schienenwelt zwischen Süddeutschland und Italien blockiert und in Erstaunen versetzt. Ratlosigkeit, Verwirrung und Enttäuschung führen bei Katja und Wolf zu einem geradezu wegweisenden Entschluss. Auf nach Rom zu Fuß – durch die Züge, vorbei an Güterzügen, durch Tunnelwelten. Seltsame, lustige, beängstigende Begegnungen und abenteuerliche Momente garantieren ein kurzweiliges Leseerlebnis . Es scheint fast wir in einer Geisterbahn zuzugehen, vielleicht ist die Welt eine ebensolche? Ankommen ist das Ziel, in der ewigen Stadt voller Überraschungen. Ein herrliches, überraschendes und kurzweiliges Lesevergnügen in einer Zeit andauernder Reiseeinschränkungen.

 

 

Author: Jörg Braunsdorf

Jörg Braunsdorf ist Inhaber der 2010 gegründeten Tucholsky-Buchhandlung in der Tucholskystraße 47 in Berlin-Mitte.
Auszeichnungen: 4-maliger Gewinner des Deutschen Buchhandlungspreises, zuletzt für das Jahr 2020

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