Mondparsifal von Jonathan Meese

Mondparsifal - Jonathan Meese Foto: Jan Bauer

Mondparsifal von Jonathan Meese

 

Von Anne Langenbach

19.10.2017

🙂 🙂 🙂 🙂 (vier von fĂŒnf)

Eine Kunstreligiöse Kult- Oper

 ‚Entzeitlichung‘, ‚unendliche Melodien‘ und ‚ins Nichts hineingehen‘

Jonathan Meese schießt zusammen mit dem österreichischen Komponisten Bernhard Lang den klassischen Wagner ‚Parsifal‘ einmal auf den Mond und lĂ€sst ihn in neuer, ungewöhnlicher Opernmusik zurĂŒckkehren. Als Mondparsifal Alpha 1-8 in Wien und Beta 9-23 in Berlin. Eine gewaltige Assoziationsmaschine, die sich vorwiegend aus pop-kulturellen Trashsujets speist.
Frischer und jĂŒnger.
So erfĂ€hrt das alte Material bewusst ĂŒberraschend neue Sichten und Wahrnehmungen, umdeutende BrĂŒche und Lesarten.
Hier entsteht durch die Zusammenarbeit der beiden KĂŒnstler Messe und Lang eine sehr aufwĂ€ndige, sich auf kryptischen und subkutanen Inhaltsebenen bewegende Dramaturgie, die vollgepackt ist mit Symbolen und Verweisen zu Heidegger, Schopenhauer und Nietzsche.
Die obere Glasfassade des Berliner Festspielhaus wird wĂ€hrend der Vorstellung mit Filmsequenzen bespielt. Dabei ist zu sehen, wie Jonathan Meese im Atelier arbeitet, „der Kunst gehorcht“ und zudem an einem Premierenmanifest schreibt:

Hier ein Auszug seines Textes:

Kunst ist die Regierungsform von morgen!
Die Diktatur der Kunst ist Chef!
Kunst garantiert: Keine Angst.
Kunst ĂŒberwindet: jede Ideologie, jede Politik, jede Religion, jedes Ich, jeden Neid, jeden RealitĂ€tswahn!
Kunst ist der Triumpf der Zukunft!
Richardaddy,
Wagner ist Staatsgold,
Nullpunkt,
Kunst=Liebe,

Kunst= Demut

Jonathan Meese, „MONDPARSIFAL“, Haus der Berliner Festspiele © Holger Jacobs

„Sei lieb“ – ein riesiges schwarz -rot- weißes Bild mit u.a. diesen Lettern, schmĂŒckt das Foyer, sowie Meese-mĂ€ĂŸige, Kinderzimmer Ă€hnliche Installationen aus liebevoll und spielerisch zusammengesammelten und bemalten GegenstĂ€nden.
Katharina Wagner erscheint als Bratwurst.
Der Gesamtkunstwerker Jonathan Meese hat hier offensichtlich ganz neue Möglichkeiten bekommen, nachdem er in Bayreuth den Parsifal nicht inszenieren durfte (angeblich sei das BĂŒhnenbild zu teuer).
In Wien bekam er viel mehr Freiheit und Spielwiese fĂŒr seine Leidenschaft und Sehnsucht, Wagner in die Zukunft zu katapultieren.

Bernhard Lang erschafft in seiner Überschreibung fĂŒr Stimmen, Chor und Orchester neue Strategien durch Wiederholungen. Die LinearitĂ€t der ErzĂ€hlung wird durch Looptechnik ersetzt und zerstört, verstĂ€rkt wie auch ironisiert. Einzelne Silben des Wagnertextes werden umgedreht, verĂ€ndert und ausgetauscht. Wagners Original wird fragmentiert.

Ein Originalzitat aus dem zweiten Akt ist ein Satz Parsifals: „Du weißt wo du mich finden kannst“,
welcher hier ganz ans Ende des StĂŒcks verlegt wurde.
Bei Wagner ein weniger wichtiger Satz, hier einer der wichtigsten.
Jetzt sprechen ihn Kundry und Parsifal im Loop (Wiederholungen).
Der reine Tor verliert bei Wagners Parsifal die Torheit, die Unschuld, er wird Gralskönig, der ĂŒber alles richtet, alles bestimmt und alle erlöst.
Die Wunde wird geschlossen. Der reine Tor ist der einzige, der die Wunde des Amfortas heilen kann, mit dem Speer, der diese Wunde schlug.
Somit soll Erlösung und Regeneration der Menschheit gelingen, durch Mitleid und Wissen.

Der große Unterschied bei Jonathan Meese zum Original besteht darin, daß der reine Tor bis zum Schluss Tor bleiben darf.
Und Kundry, die sich bei Messe zur Comic Figur Barbarella (verkörpert von Jane Fonda in dem Kultfilm von Roger Vadim von 1968) verwandelt, ist das blonde Biest, welches am Schluss den „Parzefool“ bekommt.
Parsifal ist bei Meese das Spielkind, der Mensch ohne Ideologie, Prototyp des KĂŒnstlers, die Zukunft.
Ein Befreier, wie Zed (gespielt von Jean Connery im Film „Zardoz“ von John Boorman 1974) oder Alex DeLarge (gespielt von Malcolm McDowell im Film „Clockwork Orange“ von Stanley Kubrick 1971).

Parsifal ist ein Liebender der Zukunft, er wirft die Gralskrone weg und bleibt, was er immer war: ein Übermensch – das Kind in uns.
Der Mondparsifal brĂŒllt: „Lieber Mensch, sieh von dir ab und spiele!“

Bilderserie mit 30 Fotos „Mondparsifal“ Ausstellung:

30 Photos: Installation von Jonathan Meese zu „MONDPARSIFAL“, Haus der Berliner Festspiele © Holger Jacobs

Kritik

Spannend, wie Komponist Bernhard Lang durch Saxophon, Synthesizer, Schlagzeug und Bass, Jazz-Elemente mit in die Partitur einbringt.
Simone Young dirigiert erstklassig das Ensemble des Klangforum Wien.
Jonathan Meese erschafft bunte BĂŒhnenwelten, die er wĂ€hrend der AuffĂŒhrung, wie damals Hitchcock in seinen Filmen, dreimal geschwind durchschreitet.
Und immer wieder wird er per Videoprojektion beim Malen und Zeichnen von Skizzen gezeigt.
Eine EiswĂŒste, ein Baumhaus, und ein „Raumsiff“ ziehen vorĂŒber.
Gurnemanz trĂ€gt zum Zottelbart das typische Meese-Outfit mit schwarzer Adidas-Trainingsjacke und Cordschlaghose und wohnt in einem ĂŒberdimensionalen KĂŒhlschrank.
Japanischen Manga-MĂ€dchen in Schuluniform bilden den Chor. SpĂ€ter wechseln sie in KostĂŒme, die wie Richard Wagner und seine Gralsritter aussehen oder werden mittels Spitzohren und Topffrisuren zu Klonen des Star-Trek-Commanders Spock.
Der böse Zauberer Klingsor versucht sich zu kastrieren, tötet ein Stofftier, nur um es anschließend wiederzubeleben.
Kundry balanciert eine Wassermelone.
Und nicht Gurnemanz ist es, von dem Parsifal die Salbung seines Hauptes verlangt, sondern von Kundry:
„Erlösung von Erlösern!“

Im dritten Aufzug flimmert bĂŒhnenbreit Fritz Langs „Nibelungen“-Stummfilm.
Huch? Wagner greift ĂŒber und an. Eine weiße Leinwand senkt sich und auf der steht: ‚K.U.N.S.T. ∞ Ruf Mich An !!!!‘
Am rechten BĂŒhnenrand verkörpert ein Humpty – Dumpty – Pappkamerad (ein menschenĂ€hnliches Ei im Becher) das Gesicht der Mutter von Jonathan Messe und verkĂŒndet: „Siehste!“
Fazit: Ein unendlicher Spaß!

Jonathan Meese „MONDPARSIFAL“, Haus der Berliner Festspiele, Foto: Anne Langenbach

„Mondparsifal Beta 9-23
(Von Einem, Der Auszog Den ‚Wagnerianern Des Grauens‘ das ‚Geilstgruseln‘ Zu Erzlehren
)“
Oper von Bernhard Lang nach Richard Wagners ‚Parsifal‘
Eine Überschreibung fĂŒr Stimmen, Chor und Orchester
Libretto von Bernhard Lang nach Richard Wagner
Die UrauffĂŒhrung war am 04.06.2017 im Theater an der Wien

Musikalische Leitung: Simone Young
Regie, BĂŒhne und KostĂŒme: Jonathan Messe
Choreografie: Rosita Steinhauser
Klangregie, Sound Design: Peter Böhm, Florian Bogner

Parzefool / Parsifal: Daniel Gloger
Cundry / Kundry: Magdalena Anna Hofmann
Gurnemantz / Gurnemanz: Wolfgang Bankl
Amphortas / Amfortas: Tomas Tomasson
Clingsore / Klingsor Martin Winkler
Gralsritter: Alexander Kaimbacher, Andreas Jankowitsch
Mit dem Arnold Schönberg Chor

Auftragswerk und Produktion der Wiener Festwochen in einer Koproduktion mit den Berliner Festspielen zum Thema „Immersion“, Intendant Dr. Thomas Oberender

Jonathan Meese „MONDPARSIFAL“, Haus der Berliner Festspiele, Foto: Jan Bauer

 

Author: Anne Langenbach

Anne Langenbach ist freie KĂŒnstlerin und lebt und arbeitet in Berlin
www.annelangenbach.de

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