Andrea Chenier in der Bayerischen Staatsoper

Andrea Chenier - Bayerische Staatsoper © Willy Hoesl

Andrea Chénier in der Bayerischen Staatsoper

 

Von Karin Jacobs

16.3.2017

Jonas Kaufmann als Andrea Chénier an der Bayerischen Staatsoper: vulkanische Stimmschönheit und leidenschaftliche Energie siegen über Enge, Chaos und Gewalt

Ja, so muss es sich angefühlt haben, als der Adel noch die Dekadenz seiner Gloire feierte und unter den Brücken der Seine sich die Armen schon zusammentaten, als die Privilegierten in den Schlössern tanzten ,während auf den Straßen zu Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit aufgerufen wurde, die Revolution ihre Kinder gebar, die sie wenig später grausam schlachten sollte und Chaos und Willkür für eine grausame Periode die Macht übernahm.

Handlung

Am Vorabend der französischen Revolution 1789 treffen in dem Haus einer adligen Familie in Paris der Dichter und Freigeist Andrea Chénier, die Tochter des Hauses Maddalena und der Diener Gerard aufeinander. Wenige Jahre später treffen alle drei wieder aufeinander, als Gerard einer der führenden Köpfe der Revolution geworden ist und mitverantwortlich ist für das grausame Regime der Jakobiner, dem Tausende zum Opfer fallen. Auch Andrea Chénier soll hingerichtet werden, da er sich nicht eindeutig genug auf die Seite der Revolutionäre schlägt. Maddalena ist seine Geliebte geworden und will mit Andrea zusammen in den Tod gehen. Beide landen am Ende auf dem Schafott.

Kritik

Philipp Stölzl , der mit seiner Regie von Cavalleria Rusticana und Il Paggliaci in Salzburg und mit seiner Winnetou-Neuverfilmung auf sehr unterschiedliche Weise von sich reden machte, führt das Publikum mit Umberto Giordanos Verismo-Oper „Andrea Chenier“ wie mit bei einer TV Live-Schaltung ins Geschehen von 1789 und macht uns zu Tatzeugen der Französischen Revolution. Durch die Gleichzeitigkeit von Szenen, die in Guckkästen auf verschiedenen Ebenen spielen, erzeugt er ein Gefühl von fiktiver Realität, das aus der konventionell in großen Roben und historischer Dekoration erzählten Geschichte ein gegenwärtig aktuelles Geschehen macht. Wir sind am Tatort. So interessant, so clever, so unterhaltsam.

Was auf der riesigen Bühne in Salzburg hervorragend funktionierte, hat aber in München Nebenwirkungen, die den Gesamteindruck erheblich beeinträchtigen.

Es geht nämlich äußerst eng zu und das in jedem Sinne – sowohl im Miteinander der Menschen, die sich in den kleinen übereinander gestapelten Guckkästen drängen, als auch unter der Raumdecke, die in den kellerartigen Gewölben im „Untergeschoss“ bedrückend tief über der Armut und Angst der Notleidenden hängt. Der einzelne Mensch auf der Bühne geht im allgemeinen Chaos des Revolutionsgeschehens unter, das Individuum zählt nicht mehr.

Doch Umberto Giordanos Oper (Uraufführung 1896) heißt nicht umsonst „Andrea Chénier“ und nicht etwa „Das Leiden in Zeiten der Revolution“. Es geht um die   Protagonisten – und zwar zuerst und an vorderster Stelle. Um mit Andrea , Maddalena und Gérard zu fühlen, braucht das Publikum die Möglichkeit, ihren Handlungen und Gefühlen konzentriert zu folgen. Das aber gestaltet sich durch die permanent ablenkenden Parallelhandlungen als äußerst schwieriges und über die zweistündige Aufführungsdauer anstrengendes Unterfangen.

Nun aber zu den Sängerdarstellern, die unter dem temperamentvollen Dirigat von Omer Meir Wellber gegen die Zumutungen der Regie ankämpfen müssen. Was für ein Glück, dass es d i e s e  Sänger sind, die mit ihrer Stimmschönheit und Schauspielbegabungen die Herzen zum Mitschwingen zu bringen!

Der Bariton Luca Salsi liegt perfekt auf der Rolle des Gérard. Er zeigt in der Darstellung des ehemaligen Dieners, späteren Revolutionärs und hoffnungslos Liebenden eine herausragende Gesangsleistung.

Anja Harteros gibt ein grandioses Rollendebut, das ihren großen Darstellungen ein neues Highlight hinzu fügt. Wunderschön, zerbrechlich und dennoch voller Stärke singt und spielt sie Maddalena als eine Frau, die sich aus freiem Willen und in unendlicher Hingabe für einen gemeinsamen Tod mit dem Geliebten auf dem Schafott entscheidet. Ihre Arie „Mamma Morta“ wird noch lange in Erinnerung bleiben. In der Berci von J´Nai Bridges hat sie eine attraktive Partnerin, mit der sie auf Augenhöhe zusammen singt und spielt.

Am Ende des Abends aber ist Jonas Kaufmann der Star, weil er sich durch seine mitreißende Stimme, die sich mit vulkanischer Energie aus der dunklen Wärme in das strahlende Feuer der hohen Töne emporschwingt und seinen Mut zur Emotionalität gegen die Regiezumutungen behauptet. Die kleinen Schachteln als Spielstätten nehmen ihm zwar Raum, um sich spielerisch zu entfalten, aber sie geben ihm auch die Chance, das verzweifelte Aufbäumen eines intellektuellen, für die Grobheit der Politik völlig unbegabten Künstlers eindrucksvoll   auszudrücken.

Jonas Kaufmann spielt und singt einen Menschen, der unangepasst , wie aus der Zeit gefallen zu sein scheint und der uns gerade deshalb ganz nah ist. Das Schlussduett von ihm und Anja Harteros zeigt die vollkommene Verschmelzung zweier Liebenden, die in einer Amour Fou zueinander finden und sich in diesem Leben nicht mehr voneinander lösen können und wollen. Das Dreamteam der Münchner Oper macht daraus ein unvergessliches Ereignis.

Die Frage, wie geschmackvoll der Schluss mit der zirkusverdächtigen Enthauptung ist, erübrigt sich. Das Stück hat da schon längst seinen Höhepunkt und seinen tief bewegenden Schluss gefunden. Trotz aller Einschränkungen am Regiehandwerk gelingt es der Inszenierung dank der großartigen Sängerdarsteller , die Lehren aus der Vergangenheit in die Gegenwart zu übertragen: Die Sehnsucht nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit wird noch immer mit denselben brutalen Mitteln erkämpft wie vor Jahrhunderten.

Dagegen steht die Macht der Liebe – und letztlich ist sie es, die den Sieg davon trägt. Gut so!

Musikalische Leitung: Omer Meir Wellber, Regie: Philipp Stölzl, Bühne: Heike Vollmer, Philipp Stölzl, Kostüme: Anke Winckler

Es singen:
Andrea Chénier: Jonas Kaufmann, Carlo Gérard: Luca Salsi, Maddalena di Coigny: Anja Harteros, Bersi, Mulattin: J’Nai Bridges, Gräfin von Coigny: Doris Soffel, Madelon: Elena Zilio, Roucher: Andrea Borghini, Pierre Fléville: Nathaniel Webster, Fouqier-Tinville: Christian Rieger, Mathieu: Tim Kuypers

Bayerische Staatsoper
Max-Joseph-Platz 2
D – 80539 München

Nächste Vorstellungen: 18., 22. und 30 März, 2. April 2017

17 Bilder: „Andrea Chénier“, Bayerische Staatsoper © Willy Hoesl

Author: Karin Jacobs-Zander

Karin Jacobs-Zander, Dramaturgin und Autorin der Bücher „Lebenslotsen“ und „Wo München am schönsten ist“ aus dem Ellert & Richter Verlag, lebt in München als freie Journalistin

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