DAS RHEINGOLD in der Staatsoper Unter den Linden

Das Rheingold - Staatsoper Berlin - Photo: Monika Ritterhaus

DAS RHEINGOLD in der Staatsoper Unter den Linden

 

Von Marty Sennewald

03.10.2022

Auftakt zum ersten Zyklus der Neuinszenierung aller vier Opern des „Ring des Nibelungen“ an der Staatsoper Unter den Linden

Prolog

Wagner ist ungeduldig.
Lange kann er seine neuen Ideen nie für sich behalten. Er erzählt seinem Dresdner Theaterkollegen Eduard Devrient davon. Dieser schreibt in sein Tagebuch: Um fünf Uhr holte mich Wagner ab; wir gingen durch den großen Garten. Er erzählte mir einen neuen Opernplan aus der Siegfriedsage.

Das war am 1. April 1848. Doch die Arbeit am Ring wird eine Tortur ohne Vergleich. Sie wird mehr als 26 Jahre dauern. Immer wieder legt Wagner die Arbeit nieder, wendet sich anderen Stoffen zu, schreibt andere Opern, das europäische Schicksal der Mairevolution 1849 treibt ihn quer durch Europa. Nach Zürich, Paris, Wien. Selten wird er länger als ein Jahr bleiben. Bis der Ring 1874 in Bayreuth zur Erstaufführung kommt, ist nichts mehr wie es war. Wagner, Deutschland und Europa haben sich unwiederbringlich verändert.

1848: Wagner ist 35 und Hofkapellmeister in Dresden. Dort hat er bereits den Tannenhäuser und Lohengrin verfasst und zur Aufführung gebracht. Es sind Stücke für das Dresdner Theater. Ein Provinztheater, wie Wagner findet. Er will mehr. Er will den großen Erfolg. Und er sieht sich in Dresden zum Provinzkapellmeister degradiert. Überhaupt zeigt er sich unzufrieden mit der Oper seiner Zeit, einer aristokratischen Oper, die für ihn nichts weiter als seichte Unterhaltung und Effekthascherei ist. Er begehrt auf, politisiert sich zunehmend, schreibt für das revolutionäre Volksblatt und beteiligt sich schließlich am Dresdner Mai Aufstand 1849.

Doch der Aufstand wird zerschlagen und Wagner steckbrieflich gesucht. Er flieht nach Zürich in die Schweiz. Seine Entwürfe für die Siegfried-Oper nimmt er mit. Die Umstände der Zeit fließen ins Werk ein. Der tosende Kampf um Macht und Geld, unter dem jede Liebe leidet, wird zum bindenden Sujet im Ring des Nibelungen.

Die Einführungsrunde

Im feisten Apollosaal der Staatsoper ist eine Einführungsrunde angedacht. Wagnerianer unter sich. Ein kleiner Personenkult. Alles wird mit goldener Zunge gelobt. Die schöne Handschrift des Meisters, die Dramaturgie seiner Stücke, überhaupt, ein Werk für die Ewigkeit.

Eine ältere Dame sitzt neben mir und zeigt mit ihrem Finger in das Programmheft. Bühnenmeister*innen steht dort geschrieben. Das lasse ja schon einiges Negatives vermuten, konsterniert sie.

Unterdessen kommt der Vorredner auf die Inszenierung selbst zu sprechen. Experiment sei das Stichwort der Stunde, sagt er, und so spiele die neue Inszenierung von Dmitri Tcherniakov eben in einer Forschungsanstalt. Genauer, in einer Anstalt für Experimente über menschliches Verhalten. Staunende Gesichter. Das kann ja was werden, sagt die Frau neben mir, die sollten mich mal fragen, ich würde einen ganz anderen Ring machen. Warten wir es erst einmal ab, sage ich.

Unter huldigenden Worten endet der Vortrag. Dass Wagner eine durchaus ambivalente Figur ist, seine Züricher Schriften – allen voran das Judentum in der Musik – Unbehagen bereiten, bleibt heute unerwähnt.

Die Aufführung

Bei geschlossenen Augen ist sie ein Genuss. Saftig und vollmundig. An einigen Stellen träumerisch untermalend, an anderen temperamentvoll und intensiv, dabei immer dem Gesang den Vorrang einräumend: Das ergibt eine herrlich textverständliche Aufführung. Von der hellen Aufregung, die in den Tagen vor der Premiere im Orchester geherrscht hatte, keine Spur. Der angedachte musikalische Leiter Daniel Barenboim war kurz vor der Premiere aus gesundheitlichen Gründen ausgefallen. In letzter Minute hat Christian Thielemann den Dirigentenstab übernommen, und mit Bravour durch den ersten Abend geführt.

Augen auf. Ein sowjet-russisches Interieur aus den 60er Jahren. Die Forschungsanstalt E.S.C.H.E. (eine Anspielung auf die Lebensesche? Hier aber Experimental Scientific Center for Human Evolution).
Alberich (Johannes Martin Kränzle) ist ein Versuchskaninchen, festgegurtet und fixiert, wird er von den Rheintöchtern in den lüsternen Wahnsinn getrieben. Die Rheintöchter (Evelin Novak, Natalia Skrycka, Anna Lapkovskaja) tragen weiße Kittel und Klemmbretter in den Händen. Doch sie treiben ihr Spiel zu weit.
Alberich reißt die Gurte los und entwischt mit einem Kabelwirrwarr (dem Rheingold?) unter dem Arm.

Hier unser Video-Trailer von der Neuinszenierung „Das Rheingold“:

Szenenwechsel.
Institutschef Wotan (souverän: Michael Volle), sitzt im Besprechungsraum.
Alles in grau und beige. Jeder raucht Zigaretten.
Die Tür wird aufgestoßen und die Riesen Fafner (Peter Rose) und Fasolt (Mika Kares) treten ein. Sie haben die Burg (also das Forschungszentrum) gebaut, jetzt wollen sie ihren Lohn. Als Pfand war die Angestellte Freia ausgemacht.
Doch Wotan kann/ will die Riesen nicht bezahlen.

Da kommt Wotans Berater Loge (Rolando Villazon) auf eine Idee:
Er singt vom ausgebrochenem Versuchskaninchen Alberich. Dieser ist ja noch im Besitz des Kabelwirrwarrs (des Rheingoldes). Und irgendwie scheint das Kabelwirrwarr etwas wert gewesen zu sein. Alberich hat daraus durch Mime (Stephan Rügamer) einen Ring und eine Tarnkappe basteln lassen.
Warum also nicht die Riesen mit dem Rheingold, dem Ring und der Tarnkappe entlohnen?
Die Riesen nehmen den Deal an!

Die Inszenierung bekommt aber einen eigentümlichen doppelten Boden.
Die aufgedrückte Kulisse will dem Text nicht ganz entsprechen. Was ist Versuchsanordnung? Was nicht? Das Experiment von Dmitri Tcherniakov droht zu kippen.
Als Institutschef Wotan dem ausgebrochenen Alberich den Ring und die Kappe abnimmt (Wotan und Loge fahren dazu in einem Fahrstuhl drei Etagen tiefer in einen Keller, der hier als Nibelheim dient), wird hinter dem Rücken des Zwerges gelacht.
Der dumme Alberich steckt ja noch in seiner Versuchsanordnung, weiß nicht, dass er Gefangener in einem unmenschlichen Spiel ist.
Der Ring wird durch einen Trick Loges dem Alberich geraubt, aber kein Riesenwurm ist zu sehen und auch keine Kröte, alles nur Alberichs Einbildung.
Und die Riesen wollen unbedingt diesen Schatz, diese Kappe, diesen Ring. Und erschießen sich am Ende noch gegenseitig dafür.
Das macht, gelinde gesagt, wenig Sinn und will dem Ring eine Geschichte entlocken, die das Libretto nicht hergibt.

Und der über weite Strecken respektlose Umgang mit den weiblichen Rollen (Freia ist ja kaum mehr als ein inhaltsleeres Status- und Sexobjekt) gerät durch die Verschiebung in unsere Zeit zu einer makabren Patriachatshow.

Vielleicht ist die gestiftete Verwirrung auch gewollt.
Es ist schließlich der Vorabend des Ring-Zyklus. Ein kurzer Einstieg.
Die ersten zweieinhalb von insgesamt fünfzehn wuchtigen Stunden Spielzeit. Vielleicht löst sich am Ende alles auf.
Jedenfalls stellt sich nach dem ersten Abend der Verdacht ein, dass Dmitri Tcherniakov seine Inszenierung etwas zu experimentierfreudig angegangen ist.
Darunter leiden ein Libretto und eine Geschichte, die mehr zu bieten haben.

„DAS RHEINGOLD“ von Richard Wagner
Premiere am 02.10.2022
Staatsoper Unter den Linden
Musikalische Leitung: Christian Thielemann
Inszenierung +: Bühnenbild: Dmitri Tcherniakov
Kostüme: Elena Zaytseva
Mit: Michael Volle (Wotan), Rolando Villazon (Loge), Johannes Martin Kränzle (Alberich), Stephan Rügamer (Mime), Claudia Mahnke (Fricka), Anna Kissjudit (Erda), Mika Kares (Faselt), Peter Rose (Fafner), Lauri Vasar (Donner), Siyabonga Maqungo (Froh).
Die Rheintöchter: Evelin Novak (Woglinde), Natalia Skrycka (Wellgunde), Anna Lapkovskaja (Flosshilde).

Bilderserie mit 11 Fotos der „Rheingold“-Produktion:

Alberich und die Rheintöchter im Versuchslabor, Staatsoper Berlin, Photo: Monika Ritterhaus

 

Author: Marty Sennewald

Marty Sennewald promoviert zurzeit an der Humboldt-Universität zu Berlin im Fach „vergleichende Literaturwissenschaft“. 

Daneben ist er als freiberuflicher Schriftsteller und Musiker tätig, lebt und arbeitet in Berlin.

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