Die Bücher Tipps im April 2021

Die Bücher Tipps im April 2021 © kultur24.berlin

Die Bücher Tipps im April 2021

 

Von Jörg Braunsdorf

09.04.2021

Fiktion + Fakten – Wach, Mittendrin und Unsterblich – Veränderung in kurzer Zeit – Home-Office versus Wood-Office – Zauber des Erzählens

„Alba Nera“ Giancarlo de Cataldo, Folio VerlagIch bin in einem der früheren Bücher tipps an dieser Stelle schon einmal auf die Qualität einiger höchstgeschätzter italienischer Kriminalromanautoren eingegangen, deren beruflicher Erfahrungsschatz als Staatsanwälte, Richter, Anwälte, Abgeordnete und Schriftsteller sie zu kongenialen literarischen Begleitern der italienischen Zeitgeschichte seit den 70er Jahren macht.
Giancarlo de Cataldo startete 2002 (deutsche Übersetzung 2010) mit Romanzo Criminale und seitdem empfehle ich alle Romane über die römische Gesellschafts- und Politikkriminale Realität.
Fakten + Fiktion! Nach „Romanzo Criminale“, „Suburra“, „Die Nacht von Rom“, „Der Vater“ und „Der Fremde, „Der Agent des Chaos“ nun „Alba Nera“.
Die Polizistin Alba Nera nimmt nach 10 Jahren die Spur eines Serienkillers wieder auf, alle Fakten eines neuen Mordes weisen auf ihn hin, der eigentlich schon seit 10 Jahren tot sein sollte. E
ine klassische Serienmördergeschichte wäre nicht de Cataldos Ding. Der Roman besticht durch gesellschafts- und staatspolitische Analyse hart an der Realität, überzeugende Personen und einen spannend-fiktionalen Erzählstil.

„Alba Nera“ von Giancarlo De Cataldo © Folio-Verlag

 

„Hard Land“ Benedict Wells, Diogenes VerlagDer unabhängige Buchhandel wählte seinen Roman „Vom Ende der Einsamkeit“ zum Lieblingsbuch im Jahr 2016.
Danach erschien der Erzählungsband“ Die Wahrheit über das Lügen“ und im Jahr 2021 „Hard Land“.
Wach, Mittendrin und Unsterblich ist ein Zitat aus der Neuerscheinung und charakterisiert gleichzeitig diese letzten drei erschienenen Romane.
Um es vorweg zu sagen, „Hard Land“ ist in diesem Jahr sicher mehr als ein Geheimfavorit für das Lieblingsbuch des unabhängigen Buchhandels 2021.
Im Mittelpunkt dieser Coming-of-Age Story steht Sam und der magische Sommer nach dem Tod seiner Mutter.
Jedes Kapitel, jeder Absatz spiegelt die intensive Auseinandersetzung Wells mit den Personen und ihren Erlebnissen wider. Da führt keine Schreibschule die Feder, alles kommt aus einem feinen Gespür für die Figuren im Roman und deren Erleben, sozusagen von tief innen – Seele und Herz.
Musik-, Film- und Literaturerinnerungen bereichern die Romanhandlung und wecken Erinnerungen. Wells dockt mit diesem Roman an Adoleszenz-Werke der Weltliteratur wie Salingers „Catcher in the Rye“ an.
Es muss noch gesagt werden: „Hard Land“ ist aufgrund der genialen Erzählung ein Roman für alle Altersgruppen. Ihn auf Coming-of-Age  zu reduzieren würde ihm nicht gerecht werden.

„Hard Land“ von Benedict Wells © Diogenes Verlag

 

„Richtung Süden“ Nils Trede, Secession Verlag Ein wunderschön gestaltetes Buch von 80 Seiten.
Der Titel suggeriert eine mediterrane Reise- und Kulturerzählung. Doch plötzlich halten wir ein Feuerwerk in den Händen!
Einen radikalen Text, der als philosophischer Roman Zwischenreden über den Zustand unserer Welt führt, auf jeder Seite mit Methapern spielt oder wütet, uns den Spiegel langweilig-urbanen Versagens vorhält und der menschlichen Singularität die Kultur der Bienen vorhält:
„Wie die Bienen sollte man es machen. Sich gemeinsam, mit Achtung füreinander organisieren“.
Stattdessen stellt der namenlose Erzähler fest, dass alle verlieren, die die Spielregeln nicht einhalten. Wessen Spielregeln? Von wem? Für wen definiert? Und wer sie nicht einhält, ist selbst schuld!?
„Oben links hängt ein Bildschirm, ein Typ singt, „Halt die Fresse – shut your mouth“, Orwells 1984 lässt grüßen.
Veränderung in kurzer Zeit. Und was ist die Lösung?
Die Kathedrale (Welt) sprengen, Altes restaurieren, Neues aufbauen?
Etwas ist entstellt in dieser Welt, etwas, das die eigentliche Ursache des Unglücks ist.
Ein phänomenales Buch zur richtigen Zeit!

„Richtung Süden“ von Nils Trede © Secession Verlag

 

„Das kleine Licht“ Antonio Moresco, Septime Verlag
Zauber des Erzählens!
Dieser philosophische Roman ist ein erzählerisches Wunder! Ein Mann lebt in völliger Einsamkeit in einem verlassenen Bergdorf.
Ein Licht gegenüber am Hang führt ihn zu einem kleinen Jungen, der ebenfalls einsam im Wald lebt.
Ein Text, der sparsam mit Handlung umgeht, ein Text, der von einer verlassenen Welt erzählt, nach der wir uns in den heutigen wirren Zeiten, in der Sehnsucht nach Geborgenheit, sehnen mögen, ein Text, der den persönlichen Stellenwert sucht, ein Text, der mutig parallele Existenzen, Galaxien, Lichtuniversen zulässt und deren Wirklichkeit in einer archaischen Bergrealität wiedererkennt.
Dieser Roman ist ein kleines Naturwunder, in dem sich die Frage nach der Existenzberechtigung der Einzeller, der Pflanzen, der Insekten und der Menschen im Verhältnis der Krümmung von Raum und Zeit stellt.
Und:
Es ist ein Text, den ich gar nicht mehr zur Seite legen konnte, erst nach Seite 156 – der letzten dieses wunderbaren Buches.

„Das kleine Buch“ von Antonio Moresco © Septime Verlag

Jörg Braunsdorf
Tucholsky Buchhandlung
Tucholskystr. 47
10117 Berlin
030/27577663

Author: Jörg Braunsdorf

Jörg Braunsdorf ist Inhaber der 2010 gegründeten Tucholsky-Buchhandlung in der Tucholskystraße 47 in Berlin-Mitte.
Auszeichnungen: 4-maliger Gewinner des Deutschen Buchhandlungspreises, zuletzt für das Jahr 2020

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