„Draussen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert im Berliner Ensemble

Draussen vor der Tür - Wolfgang Bochert © kultur24.berlin

„Draussen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert im Berliner Ensemble

 

Von Holger Jacobs

31.03.2022

Wertung: 🙂 🙂 (zwei von fünf)

Kein anderes Theaterstück ist so aktuell für diese katastrophale politische Situation, in der wir uns heute befinden.

Als ich Mitte März auf dem Spielplan des Berliner Ensembles die Ankündigung für die Premiere zu „DRAUSSEN VOR DER TÜR“ von Wolfgang Borchert las, war ich ganz aufgeregt: Hatte doch mein Autor für die monatlichen Bücher Tipps, Jörg Braunsdorf von der Tucholsky Buchhandlung, genau dieses Buch für den Monat März empfohlen – obwohl seine Veröffentlichung schon 75 Jahre her ist.

Wolfgang Bochert 1945 -cc- Wikimedia Commons

Worum geht es?

Nach traumatischen Kriegserfahrungen und mehrerer schwerer Erkrankungen war der Schriftsteller und Schauspieler WOLFGANG BORCHERT am 10. Mai 1945 in seine Heimatstadt Hamburg zurückgekehrt. Körperlich und seelisch völlig erschöpft, versuchte er sich wieder als Schauspieler und Kabarettist.
Doch eine Gelbsucht, ständige Fieberanfälle und eine schwere Fußverletzung auf Grund einer Erfrierung 2. Grades während eines Kampfeinsatzes an der russischen Front, erlaubten ihm nicht auf der Bühne zu stehen.

Die meiste Zeit musste er das Bett hüten. So begann er wieder vermehrt zu schreiben. Sein erster umfangreicher Prosa Text war „DIE HUNDEBLUME“, über seine Erlebnisse im Militärgefängnis von Nürnberg, wo er wegen „wehrzersetzenden Reden“ 1942 einige Monate einsitzen musste. Der Text wurde anschließend in der Hamburger Freien Presse veröffentlicht.

Ein Krankenhausaufenthalt im Jahre 1946 brachte ihm letztlich keine Besserung, Penicillin stand in Deutschland so kurz nach dem Krieg nicht in ausreichender Menge nicht zur Verfügung (zum Thema Antibiotika-Mangel und Penicillin-Panscherei nach dem 2. Weltkrieg empfehle ich den Film „Der dritte Mann“ von Carol Reed mit Orson Wells, welcher im Wien des Jahres 1949 spielt).

Zum Ende des Jahres 1946 schrieb Wolfgang Borchert in nur wenigen Tagen das Drama „DRAUSSEN VOR DER TÜR“. Er deklamierte es anschließend seinen Freunden aus der Theater-und Künstlerszene. Große Begeisterung machte sich breit und am 13. Februar 1947 wurde es im Radio im Nordwestdeutschen Rundfunk ausgestrahlt. Auch verschiedene Theater fingen an sich dafür zu interessieren.

Jedem war klar, dass es zu dieser Zeit keinen besseren Text gab, um die Situation der Menschen in Deutschland, insbesondere der heimkehrenden Soldaten, besser zu beschreiben.
Ida Ehre, damalige Intendantin der Hamburger Kammerspiele, brachte das Drama am 21. November 1947 zur Uraufführung – einen Tag, nachdem Wolfgang Borchert in einem Schweizer Sanatorium in Basel an seinen Krankheiten gestorben war. Das Publikum, wie auch seine Eltern, erfuhren vom Tod des Autoren erst während der Uraufführung.

Kriegsheimkehrer 1950 cc- Wikimedia Commons

Draussen vor der Tür

Im Zentrum der Handlung steht der Soldat Beckmann, der eben aus einer dreijährigen Kriegsgefangenschaft in Sibirien nach Hamburg heimgekehrt ist. Körperlich lädiert, frierend und hungernd, steht er auf einem Ponto an der Elbe und stürzt sich ins Wasser. Am Ufer stehen Gott und der Tod und beobachten Beckmann. Gott bejammert sein Versagen in den letzten Jahren, der Tod aber freut sich, denn sein Geschäft blüht.

Im Traum erscheint Beckmann die Elbe, die ihn zurückweist mit dem Hinweis, er sei noch nicht bereit für den Tod, erst solle er noch einmal richtig leben.
Bei Blankenese wirft die Elbe Beckmann an das Ufer. Ein Fremder kommt auf ihn zu, der sich der „Andere nennt und ein Optimist sei, der das Gute bejaht. Als Beckmann ihn zurückweist kommt ein Mädchen auf ihn zu, die Mitleid mit ihm hat und ihn mit zu sich nach Hause nimmt. Doch dort taucht deren Freund auf, ein humpelnder Soldat mit nur einem Bein und wirft ihn raus. Als Beckmann wieder in die Elbe springen will, hält ihn der „Andere“ zurück.

Danach besucht Beckmann seinen ehemaligen Oberst, um ihn an dessen Gräueltaten im Krieg zu erinnern. Doch dieser lacht ihn nur aus, er solle doch mit dieser Nummer zum Zirkus gehen.

Danach besucht Beckmann einen Kabarettdirektor, der ihn aber genauso abweist, wie Frau Kramer, die jetzt in seinem ehemaligen Elternhaus wohnt. Sie erzählt ihm, dass seine Eltern als alte Nazis gemeinsam Selbstmord begangen hätten.

Am Ende liegt Beckmann verzweifelt und entkräftet am Boden und alle Protagonisten des Stücks ziehen noch einmal an ihm vorbei. Mit letzter Kraft fragt er nach dem Sinn des Lebens und verlangt nach Antworten. Doch keiner will ihm eine Antwort geben.

Uraufführung am 21.11.1947 -cc- Wikimedia Commons

Kritik

Auf Grund dieses emotional äußerst berührenden Textes sitze ich in der Premiere gespannt in meinem Sitz (ausverkauftes Haus, selbst Wirtschaftsminister Robert Habeck war trotz seiner vielen Termine gekommen) und warte auf die Dinge, die da kommen mögen.

Der Vorhang (mit aufgemalter Friedenstaube) geht auf und ein Meer an bunten Glühbirnen erleuchtet die Bühne. Eine Frau tritt auf und schreit in die Menge. Ein Liliputaner stellt Gott (Peter Luppa) dar und der Tod (Jonathan Kempf) kommt in einem Fatsuit (ein Anzug, der den Darsteller künstlich dick machen soll).

Die Inszenierung folgt im Großen und Ganzen der Handlung des Dramas.
Die Elbe (Josefin Platt), ein Mädchen (Philine Schmölzer), der Einbeinige (Oliver Kraushaar), der Oberst (Veit Schubert), der Kabarettdirektor (Tilo Nest) und Frau Kramer (Bettina Hoppe) treten nacheinander auf. Nur die Glühbirnen bleiben bis zum Schluss die gleichen, wechseln nur manchmal ihre Farben.

Leider konnte mich die Inszenierung nicht überzeugen.
Den Beckmann (Kathrin Wehlsch) mit einer weiblichen Schauspielerin zu besetzen ist für mich nicht stimmig, denn im 2. Weltkrieg gab es noch keine weiblichen Soldatinnen. Gleichzeitig spielt sie auch noch den „Anderen“, indem sie ihre Stimme verstellt und unangenehme, kreischende Laute von sich gibt. Gott als Kleinwüchsigen zu zeigen finde ich auch etwas daneben und der Tod in einem Fatsuit sieht eher lächerlich, als furchterregend aus.

Auch die Kostümierung der Schauspieler gefiel mir nicht. Viel zu stylisch, zu modern und zu viel Show. Und die Glühbirnen, die wohl die gestorbenen Seelen des Krieges darstellen sollen, sehen mehr nach der Beleuchtung eines Zirkuszeltes aus.

Deshalb wirkt jede Szene auch eher wie eine Zirkusnummer.
Das herzzerreißende Drama, welches WOLFGANG BOCHERT auf so wunderbare Weise literarisch zu Papier brachte, das Dunkle, das Grauen, ist für mich in keiner Sekunde zu spüren. Es kommt mir eher vor wie eine große Show des Regisseurs Michael Thalheimer.

Fazit: Die Tragik von Krieg und Tod hat diese Inszenierung nicht auf die Bühne bringen können. Schade.

DRAUSSEN VOR DER TÜR von Wolfgang Borchert
Premiere war am25. März 2022
Berliner Ensemble

Regie: Michael Thalheimer, Bühne: Olaf Altmann, Kostüme: Nehle Balkhausen.
Mit: Kathrin Wehlisch (Beckmann/ der Andere), Jonathan Kempf (der Tod), Peter Luppa (Gott), Josefin Platt (die Elbe), Philine Schmölzer (ein Mädchen), Oliver Kraushaar (der Einbeinige), Veit Schubert (ein Oberst), Tilo Nest (ein Kabarettdirektor), Bettina Hoppe (Frau Kramer)

Bilderserie mit 10 Fotos der Theaterproduktion:

Kathrin Wehlisch, Jonathan Kempf, „Draussen vor der Tür“, Berliner Ensemble, Foto: Matthias Horn

 

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

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