Elfriede Jelinek: „Angabe der Person“ im Deutschen Theater

"Angabe der Person", Elfriede Jelinek - Deutsches Theater - Photo: Andreas Wilcke

Elfriede Jelinek: „Angabe der Person“ im Deutschen Theater

 

Von Marty Sennewald

18.12.2022

Der Fiskus und ein großes Theater

Ich traf Elfriede Jelinek an der Bar.
Sie bestellte Wein und Bier, auch eine Brezel.
Entschuldigen Sie, dass ich mich aufdränge, aber, eine Frage.
Ja, bitte?
Und dann tritt deutlich das viel zu junge Gesicht vor mich hin, diese markante  Jugendstimme, und ihr Arm segelt durch die Luft und grüßt jemanden am anderen Ende des Raums.

Elfriede Jelinek 2004 -CC-Wikimedia Commons

Ich sage, ich wisse zu wenig.
Im Allgemeinen, aber auch das Stück betreffend, worauf sich Jelinek (oder Fritzi Haberlandt oder Linn Reusse oder Susanne Wolff, suchen Sie sich jemanden aus) ein verschmitztes Lächeln abringt und nach ihren Freundinnen sieht.

Spaß beiseite.
Das Buch, der Text, ist das für das Theater geschrieben?
Oder ist das ein Roman?
Aber vorne im Buch steht nichts. Kein Genre. Keine Eingrenzung. Keine Abgrenzung. Ein Personenbericht, sagen Sie?
Ganz richtig, eine persönliche Angabe. Angabe der Person.
Persönliches Aufbegehren ist das und ein Abrechnen mit denen, die so lange rechnen, bis etwas dabei rauskommt, reinkommt.
Ich höre also von diesem Doppelsteuerabkommen. Von einer Wohnungs-durchsuchung.
Von Beschlagnahmungen und Beschuldigungen.
Das tut mir natürlich leid. Nur gut, dass am Ende nichts dabei herausgekommen ist.
Nun, herausgekommen ist schon etwas.
Dieser Text von Elfriede Jelinek eben.
Und bei einer Literaturnobelpreisträgerin ist das schon allerhand.

Drama „Die Schutzbefohlenen“ von Elfriede Jelinek am Wiener Burgtheater 2015, Foto: Michelides

Von Elfriede Jelinek gibt es heute Abend drei.
Regisseur Jossi Wieler, der schon seit über dreißig Jahren Jelinek-Texte auf die Bühne bringt, lässt Fritzi Haberlandt, Linn Reusse und Susanne Wolff zur Stimme, zum Text, lässt die drei Schauspielerinnen Jelinek werden.
Die Besetzung funktioniert. Das Schauspiel überzeugt.

Linn Reusse gibt den Einstieg, lässt einen dicken Aktenordner auf den Boden knallen. „So, bauen wir mal meine Lebenslaufbahn.“
Ein wenig forsch, ein wenig keck.
Ein mechanisches Klavier steht am Rand und umkreist manche Passagen mit Moll-Harmonien.
Dann geht das Wort an Fritzi Haberland; humoresk und spitzfindig.
Zeit zum Auflockern und Durchatmen.
Durch die Reihen auf dem Parkett geht ein Kichern.
Aber nur bis Susanne Wolff den dritten Akt übernimmt und getragen von ihrem eigenen Klavierspiel einige Wortgeschosse auf die Justiz niederprasseln lässt und diesmal nachdrücklich ernst den Jelinek-Text zu dem ihren macht.
Der Saal ist übervoll.
Voll von diesen mäandernd klagenden Angaben einer  Person.

Von der Schriftstellerin aber fehlt jede Spur.
Die hatte sich nach der Zuerkennung des Nobelpreises 2004 aus aller Öffentlichkeit zurückgezogen, lehnt alle Interviews ab und nur hie und da tauchen diese eigenartigen Textflächen auf.
„Angabe der Person“ heißt der neuste Text, der vergangenen Monat als Buchdruck erschienen ist und der nun im Deutschen Theater zu seiner ersten Aufführung kam.

Eine Hausdurchsuchung der deutschen Steuerbehörde nimmt Jelinek zum Anlass für ihren knapp 190 Seiten langen Text, der mal ironisierend und selbstüberschätzend, meistens anklagend und dabei von einer entwaffnenden Ehrlichkeit durchzogen ist.
Ein Text, der  sich immer wieder selbst in Frage stellt.

Ich verwechsle leider auch andre Personen ständig, schon wenn es ans Grüßen geht, deswegen teile ich mein Sprechen ja nicht auf sie auf, ich wüsste nie, wer welcher ist und was er vorhin gesagt hat, und das ist gar nicht gut im Theater, man sollte sie immer unterscheiden können.“

Dann tauchen Fragmente einer Vergangenheit auf.
Die Textfläche wirkt an manchen Stellen wie eines dieser alten Wimmelbilder, die den Kindern in den 80ern unter den Weihnachtsbaum gelegt wurden.
In jedem Absatz scheinen sich die abgeschiedenen Giganten der Vergangenheit zu verstecken, zu necken und Anlass für Revision zu geben. Nietzsche, Heidegger, Wagner, Jesus, Boris Becker, alle tauchen sie auf, alle nehmen sie Wörter in den Mund und Jelinek zieht sie ihnen wieder raus und dreht sie um.

Angabe der Person ist ein hoch dramatischer, hoch dramaturgischer Text, der ohne Handlung, ohne Dialog und ohne vermeintliche Höhepunkte funktioniert.
Das minimalistische Bühnenbild, zurückhaltend vorsichtige dramaturgische Eingriffe geben dem Text in der Inszenierung allen Raum.
Da flackert nur die deutsche Schuldenuhr unter dem Fragment eines rotierenden Zimmers, in dem allein eine Toilette steht.
Und das reicht.

Hier lässt eine Frau die Worte von der Leine.
Und Regisseur Jossi Wieler vollbringt eine großartige Inszenierung.
Bei herausragenden Zutaten zeigt sich nämlich für Küche und Theater gleichermaßen – eine dezente Zurückhaltung oft als raffiniert kluge Entscheidung.

„Angabe der Person“ von Elfriede Jelinek
Premiere war am 16.12.2022
Deutsches Theater Berlin
Regie: Jossi Wieler
Bühne und Kostüm: Anja Rabes
Mit: Fritzi Haberlandt, Linn Reusse, Susanne Wolff, Bernd Moss

Bilderserie mit 7 Fotos aus „Angabe der Person“:

Susanne Wolff, Fritzi Haberland, Linn Reusse, „Angabe der Person“, Elfriede Jelinek, Deutsches Theater, Photo: Andreas Wilcke

 

Author: Marty Sennewald

Marty Sennewald promoviert zurzeit an der Humboldt-Universität zu Berlin im Fach „vergleichende Literaturwissenschaft“. 

Daneben ist er als freiberuflicher Schriftsteller und Musiker tätig, lebt und arbeitet in Berlin.

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