Fräulein Julie nach Strindberg am Deutschen Theater

Fräulein Julie - Deutsches Theater Foto: Arno Declair © kultur24.berlin

Fräulein Julie nach Strindberg am Deutschen Theater

 

Von Holger Jacobs

Holger Jacobs

13.08.2021

Wertung: 🙂 🙂 🙂  (drei von fünf)

Strindbergs Drama als Bühnenkrimi des 21. Jahrhunderts

Die Sprache

Wer schon häufiger meine Rezensionen gelesen hat weiß, dass ich Neuschreibungen von klassischen Bühnendramen eher skeptisch gegenüberstehe. Denn nur sehr selten gelingt es das Niveau der alten Autoren zu erreichen. Zumal wenn, wie im Fall des russischen Regisseurs Timofej Kuljabin, der zusammen mit seinem Partner Roman Dolzhanskij diese Neufassung zu „Fräulein Julie“ geschrieben hat, von Sprache nicht so viel hält, wie er in einem Interview (zu lesen im Programmheft) freimütig zugibt.

Das sehe ich ganz anders. Für mich ist die Bühnensprache entscheidend, um ein Stück für den Zuschauer auf ein spannendes, intellektuelles Niveau zu heben. Erst dann werden meine Gehirnzellen stimuliert.

Die Handlung

Wenn Sprache also nicht so wichtig ist, muss die Handlung alles rausreißen. Hier hält sich Timofej Kuljabin im Wesentlichen an das Original. Mit ein paare modernen Applikationen, wie Überwachungskameras, Smartphones und Selfies für’s Instagram-Profil.
Es geht um die Umkehrung von Machtpositionen, die die Protagonisten durch ihren gesellschaftlichen Stand innehaben – oder auch nicht.
Und es geht um Sex, Erotik, Manipulation und Gewalt.

Das Theaterstück von August Strindberg wurde 1888 als dermaßen skandalös bezeichnet, dass gleich die erste Aufführung in Kopenhagen von der Polizei verboten wurde.
Erst am 14. März 1989 konnte es als geschlossene private Veranstaltung im Studentenheim der Universität von Kopenhagen gezeigt werden. Danach wurde es nur noch selten gespielt, und wenn ja, dann mit erheblichen Kürzungen (welche schon der Verlag beim Erstdruck verlangt hatte). 1951 wurde zum ersten Mal eine vollständige Version in Stockholm aufgeführt.

Was war so skandalös?

Erstens die knisternde Erotik, die sich durch das Spiel und Sprache der Hauptpersonen ergibt.
Jean, Diener in einem adligen Herrenhaus, wortgewandt, gebildet und gut aussehend, ist fasziniert von der Tochter des Grafen, Fräulein Julie. Diese weiß von der heimlichen Leidenschaft ihres Angestellten und spielt entsprechend mit ihm.
In einer Mitsommernacht aber passiert es: Julie gibt sich Jean hin, sowohl aus Lust am Spiel wie auch aus Lust am Sex.

Danach allerdings drehen sich die Machtverhältnisse.
Nun ist plötzlich Jean der Überlegene, denn er weiß, dass Julie mit ihrer Einwilligung zum Liebesakt eine Grenze überschritten hat, die in einer Gesellschaft, die streng nach gesellschaftlichen Ständen getrennt ist, nicht geduldet wird.
Geschickt weiß er sie zu manipulieren, bis sie keinen Ausweg mehr sieht und Selbstmord begeht.

Die Inszenierung

In der „Fräulein Julie“ Version von Timofej Kuljabin ist Jean der Fahrer eines reichen Geschäftsmannes und Julie die Tochter des Hausherrn. Neu ist das Hinzufügen eines ehemaligen geschassten Verlobten von Julie, Thomas, der mittels einer heimlich aufgestellten Kamera und Audioübertragung ins Ohr von Jean eine peinliche Situation mit Julie filmen will, die er dann ins Netz stellen und somit Julie bloßstellen kann.
Das wirkt leider ziemlich gestelzt und wenig überzeugend. Der Zuschauer fühlst sich erinnert an unzählige Fernsehfilme, die mittlerweile zeigen, wie Jugendliche in der Schule gemobbt werden durch heimlich aufgezeichnete Sex-Videos, die dann im Netz kursieren.

Interessanter wird es, wenn Jean nicht mehr auf seinen Knopf im Ohr hört und selbst die Regie übernimmt.
So kommt es dann auch zum Liebesakt, den der Verlobte so nicht gewollt hat.
Als dann auch noch die Verlobte von Jean erscheint, ebenfalls eine Hausangestellte, eskaliert die Situation und ein ungeordnetes Chaos bricht aus. Der zweite Teil ist also wesentlich spannender, als der erste.

Fazit:

Wer einen Strindberg erwartet sollte zu Hause bleiben. Wer eine kultivierte Sprache erwartet, der sollte auch zu Hause bleiben. Wer allerdings ein modernes Stück über Liebe, Laster und allerhand Manipulationen sehen möchte, der ist hier richtig.
Das Ensemble, besonders natürlich die beiden Hauptdarsteller Linn Reusse als Julie und Felix Goeser als Jean, machen ihre Sache gut, ohne mich vollständig zu überzeugen. Linn Reusse ist nicht die Femme fatale, die sie zumindest im ersten Teil sein müsste und Felix Goeser, als einer vom Ex-Verlobten manipulierter Diener, ist dabei eher komisch als dramatisch.
Im zweiten Teil passen die Ausstrahlung und Spiel der beiden Schauspieler dann eher wieder zu ihrer Rolle.

„Fräulein Julie“ nach August Strindberg
Neue Fassung von Timofej Kuljabin und Roman Dolzhanskij
Premiere war am 12. August 2021
Regie: Timofej Kuljabin, Bühne/ Kostüme: Oleg Golowko
Mit: Linn Reusse (Julie), Felix Goeser (Jean), Franziska Machens (Kristin), Božidar Kocevski (Thomas, Ex-Verlobter)

Nächste Aufführungen: 14., 29. und 30. August 2021

Hier 3 Fotos der Theaterproduktion:

„Fräulein Julie“ nach August Strindberg, Foto: Arno Declair

 

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

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