IN MY ROOM im Maxim Gorki Theater

IN MY ROOM - Maxim Gorki Theater Photo: Andreas Wilcke

IN MY ROOM im Maxim Gorki Theater

 

Von Holger Jacobs

06.01.2020

Wertung: 🙂 🙂 🙂 🙂 (vier von fünf)

English text below

Ein Generationenkonflikt mit tragischen Ende und einem neuen Shooting Star.

Probleme von Kindern mit ihren Eltern sind nicht neu. Jeder von uns hat sie erlebt.
Es ist einerseits der ganz normale Wunsch seinen Sprösslingen so viel Hilfe und Anleitung wie möglich auf dem langen Weg des selbstständigen Lebens mitzugeben.

Andererseits werden in die Nachkommen auch sehr viele Wünsche projiziert.
Väter und Mütter wollen sich gerne in ihren Kindern wiederkennen und wünschen sich eine Fortsetzung ihrer eigenen Werte und Lebensweisen. Besonders intensiv scheint dieses Bestreben in muslimischen Familien, wie uns zwei der Darsteller dieses außergewöhnlichen Theaterabends mitteilten.

Noch schwieriger ist es, wenn nicht nur abweichende Berufswünsche und unerwünschte Ehepartner gewählt werden, sondern auch noch eine andere sexuelle Orientierung existiert.

Homosexualität bei ihren Kindern zu ertragen fällt Eltern immer besonders schwer. Ein Kind zu haben, dass nicht der Norm entspricht, in welcher Form auch immer, ist kaum zu akzeptieren.

Der Autor und Regisseur des Stücks „IN MY ROOM“, Falk Richter, scheint genau diese Erfahrung in seinem Elternhaus gemacht zu haben und entwickelte daraus ein halb-autobiografisches Stück.
Speziell die fehlende Anerkennung des Vaters scheint ihn sein Leben lang gequält zu haben.
Dabei ist das Schlimmste gar nicht einmal eine Missbilligung oder Missachtung, sondern schlichtweg die fehlende Auseinandersetzung mit dem Erzeuger. Genau wie vielen Kindern meiner Generation war es den Vätern, die noch vor dem 2. Weltkrieg geboren wurden, unmöglich sich mit ihrem Nachwuchs normal zu unterhalten, gar gleichberechtigte Diskurse zu führen.

So wird auch der Schlussakt bei Falk Richters „In My Room“ zu einem Drama: Der Vater stirbt, ohne dass der Sohn sich jemals mit ihm aussprechen konnte.

Aber bleiben wir in der Chronolgie:

Der Abend beginnt mit Schauspieler Jonas Dassler, der in einem imaginierten Raum mit ein paar Möbeln und mehreren schwarzen Skulpturen sitzt (Bühne: Wolfgang Menardi) und nachdenkt. Langsam steht er auf und erzählt die Schwierigkeiten, die er (Falk Richter) mit seinem Vater hatte, der die meiste Zeit schweigend dasaß und nur in manchen dunklen Momenten plötzlich ausbrach und von den grausamen Kriegserlebnissen erzählte, während er schreiend zu Boden sank.
Wie sollte man mit so jemanden auch noch über die eigene Homosexualität sprechen?

Fast unmerklich schwenkt Jonas Dassler dann in seine eigene Biografie über und erzählt, wie sein Vater (Verwaltungsangestellter in Remscheid) ihn ab und zu in Berlin besucht und sie dann gemeinsam Musik machen, der Vater am Schlagzeug, der Sohn an der Gitarre.
Oder wie sein Vater nach der Premiere ihm gratulierend auf die Schulter klopft und meint, dass wäre doch wohl sehr viel Text gewesen…
Jonas Dassler spielt diese Anfangsszene so brilliant und überzeugend, dass jeder im Saal spürt, hier spielt gerade ein ganz großes Schauspieltalent. Dabei besteht Jonas Dasslers größte Qualität darin, dass er eigentlich gar nichts tun muss – einfach seine Anwesenheit und Blick reichen aus, um den Zuschauer zu faszinieren. Wie einst Marlon Brando. Aber das ist eine andere Geschichte…

Jonas Dassler (*1996) kenne ich seit der Inszenierung von „Danton“ an der Schaubühne Berlin 2016. Peter Kleinert inszeniert dort regelmäßig mit Studenten der Ernst Busch Schauspielschule und zeigt damit die zukünftigen Talente der deutschen Theaterszene.
Mit Jonas Dassler hatte er auf jeden Fall schon damals ins Schwarze getroffen.

Premiere Dantons Tod in der Schaubühne Berlin am 03.12.2016 mit Schülern der Ernst Busch Schauspielschule Berlin. Mit Jonas Dassler als Danton © Holger Jacobs

Bei der Berlinale 2019 zeigte Fatih Akin im Wettbewerb seinen Film „Der Goldene Handschuh“ über den Serienmörder Fritz Honka. In der Hauptrolle: Jonas Dassler.
Auf kultur24 TV könnt Ihr die Pressekonferenz mit Fatih Akin und Jonas Dassler sehen.

Bei der Berlinale 2020 wird Jonas Dassler zum European Shooting Star mit 9 weiteren Schauspielern aus ganz Europa gekürt.

Aber an diesem Abend im Maxim Gorki Theater sind auch alle anderen Schauspieler hervorragend.
Benny Claessens und Knut Berger sprechen über ihre Homosexualität, die sie dem Vater entweder nie sagen konnten, oder auf völlige Ablehnung stießen.
Emre Aksizoglu und Taner Sahintürk sprechen über ihre türkischen Väter, die auf Grund der harten Arbeit in den Kohleminen im Ruhrpott der 60er Jahre vor Erschöpfung kein Ohr mehr für ihre Kinder hatten.
Ganz zu schweigen von den patriarchalischen Konventionen in einer türkischen Familie.

Einer der besten Szenen ist die mit Knut Berger und Jonas Dassler, bei der beide ein schwules Liebespaar darstellen, dass über die vielen Jahre ihrer Beziehung die sexuelle Lust aneinander verloren haben. Knut Berger beschwert sich darüber, dass er sich nicht mehr begehrt fühlt – nicht anders, als es auch in langjährigen heterosexuellen Beziehungen passieren kann.

Fazit:
Einige Szenen waren etwas zu lang, besonders die Sterbeszene am Schluss.
Dennoch ein gelungenes Stück mit einer Bravour-Leistung aller Darsteller, wofür es am Schluss völlig zu Recht Standing Ovations des Publikums gab.

„IN MY ROOM“ von Falk Richter und dem Ensemble (ca. 130 Min.)
Premiere am 15.01.2020
Maxim Gorki Theater
Text und Regie: Falk Richter, Bühne: Wolfgang Menardi, Kostüme: Andy Besuch, Musik: Nils Ostendorf
Mit: Jonas Dassler, Knut Berger, Benny Claessens, Emre Aksizoglu, Taner Sahintürk

Nächste Vorstellungen: 19. + 23. Januar 2020

21 Photos: Jonas Dassler in „IN MY ROOM“ von Falk Richter, Maxim Gorki Theater, Photo: Andreas Wilcke

English text

IN MY ROOM at the Maxim Gorki Theater
By Holger Jacobs
01/06/2020
Rating: 🙂 🙂 🙂 🙂 (four out of five)

A generation conflict with a tragic ending and a new shooting star.
Children’s problems with their parents are not new. Each of us has experienced it. On the one hand, it is a perfectly normal wish to give your children as much help and guidance as possible on the long road to independent living.
On the other hand, a lot of wishes are projected into the offspring. Fathers and mothers want to recognize each other in their children and wish to continue their own values ​​and ways of life. This endeavor seems particularly intense in Muslim families, as two of the actors of this extraordinary theater evening tell us.
It is even more difficult if not only different career choices and unwanted spouses are chosen, but also another sexual orientation exists.
It is always particularly difficult for parents to endure homosexuality in their children. Having a child that doesn’t conform to the norm is hard to accept.
The author and director of the play „IN MY ROOM“, Falk Richter, seems to have had exactly this experience in his parents‘ house and developed a semi-autobiographical piece from it. In particular, the father’s lack of recognition seems to have tormented him throughout his life. The worst thing is not even disapproval or disregard, but simply the lack of engagement with the father. Just like many children of my generation, it was impossible for fathers who were born before World War II to have a normal conversation with their offspring, even to hold equal discourses.
The final act of Falk Richter’s „In My Room“ thus becomes a drama: the father dies without the son ever being able to speak to him.

But let’s stay in chronology:
The evening begins with actor Jonas Dassler, who sits in an imagined room with a few pieces of furniture and several black sculptures (stage: Wolfgang Menardi). Slowly he gets up and tells of the difficulties he (Falk Richter) had with his father, who sat silent most of the time and only suddenly broke out in some dark moments and told about the cruel war experiences when he sank to the ground screaming. How should you talk to someone like that about your own problems with homosexuality?
Almost imperceptibly, Jonas Dassler then pans over into his own biography and tells how his father (clerk in Remscheid) visits him from time to time in Berlin and then they make music together, the father on the drums, the son on the guitar. Or how his father taps him on the shoulder encouragingly after the premiere and thinks that there would have been a lot of text …
Jonas Dassler plays this opening scene so brilliantly and convincingly that everyone in the hall senses that a very great acting talent is playing here.  Jonas Dassler’s greatest quality is that he really doesn’t have to do anything – his presence and gaze are enough to fascinate the viewer. Like Marlon Brando once. But this is another story…
I have known Jonas Dassler (* 1996) since the production of „Danton“ at the Schaubühne Berlin 2016. Peter Kleinert regularly stages there with students from the Ernst Busch Drama School and shows the future talents of the German theater scene. With Jonas Dassler he had definitely hit the mark even then.

Premiere Dantons Tod in der Schaubühne Berlin am 03.12.2016 mit Schülern der Ernst Busch Schauspielschule Berlin. Mit Jonas Dassler als Danton © Holger Jacobs

At the Berlinale 2019, Fatih Akin showed his film „The Golden Glove“ about the serial killer Fritz Honka in competition. Starring in the main role: Jonas Dassler. You can watch the press conference with Fatih Akin and Jonas Dassler on kultur24 TV.
At the Berlinale 2020, Jonas Dassler will be named European Shooting Star with 9 other actors from all over Europe.
But that evening at the Maxim Gorki Theater, all the other actors are excellent too.
Benny Claessens and Knut Berger talk about the problem of their homosexuality, which they either could never tell the father or met with total rejection.
Emre Aksizoglu and Taner Sahintürk talk about their Turkish fathers, who, due to the hard work in the coal mines in the Ruhr area in the 1960s, had no ear for their children. Not to mention the patriarchal conventions in a Turkish family.
One of the best scenes is the one with Knut Berger and Jonas Dassler, in which both represent gay lovers that over the many years of their relationship have lost sexual pleasure to each other. Knut Berger complains that he no longer feels to be desirable – not differently than it can happen in long-standing heterosexual relationships.
Conclusion: Some scenes were a bit too long, especially the death scene at the end.  But still a successful piece with a brilliant performance by all actors, for which there was a standing ovation by the audience at the end.
„IN MY ROOM“ by Falk Richter and the ensemble (approx. 130 min.)
Premiere on January 15th, 2020
Maxim Gorki Theater
Text and direction: Falk Richter, stage: Wolfgang Menardi, costumes: Andy Visiting, music: Nils Ostendorf,
With: Jonas Dassler, Knut Berger, Benny Claessens, Emre Aksizoglu, Taner Sahintürk
Next performances: January 19 + 23, 2020

21 Photos: Jonas Dassler in „IN MY ROOM“ von Falk Richter, Maxim Gorki Theater, Photo: Andreas Wilcke

 

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

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