Interview zur Corona-Krise mit Sternekoch Tim Raue

Tim Raue - Colette Konstanz - Foto: Nils Hasenau

Interview zur Corona-Krise mit Sternekoch Tim Raue

 

Von Josefine Kammerer

19.08.2020

Unsere Food-Spezialistin Josefine Kammerer ( la.foodista auf Instagram ) befragte Sternekoch Tim Raue über die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Gastronomie im Allgemeinen, auf seine Restaurants im Besonderen und die Solidarität mit den anderen Restaurants in Berlin (Anm. d.Red.)

Josefine Kammerer: Wie wird sich die Gastronomie durch die Corona-Krise verändern? Werden Gastronomen mehr/anders haushalten, um Krisen besser bewältigen zu können?

Tim Raue: Grundsätzlich spekuliere ich nicht gerne, es bleibt einfach abzuwarten. Momentan ist die Auslastung in der Spitzengastronomie jedenfalls deutlich besser als in den „Casual Restaurants“, aber auch die werden aufholen, sobald Kindergärten und Schulen wieder öffnen und die Menschen nach und nach zu einem normalen Betrieb zurückfinden.

Restaurant Tim Raue Berlin, Foto: Nils Hasenau

Josefine Kammerer: Wie lange wird es vermutlich brauchen, bis sich die Gastronomie und Menschen von der Krise erholt haben? Wird sich das Geschäft langfristig erholen oder haben Leute ihr Konsumverhalten zu stark verändert?

Tim Raue: Als Koch und Unternehmer möchte ich dazu keine Mutmaßungen anstellen. Das überlasse ich Wissenschaftlern. Allerdings glaube ich, dass der Mensch grundsätzlich dazu neigt katastrophale Ereignisse schnell zu verdrängen – siehe 9/11 oder die Finanzkrise 2008/2009, beides hat den Konsum nur kurzfristig beeinträchtigt. Aktuell ist es eben mit dem Reisen etwas schwierig. Dieser Bereich hat in den vergangenen fünf Jahren so stark geboomt wie nie zuvor und erlebt jetzt einen brutalen Tiefpunkt.

Brasserie Colette Tim Raue Berlin, Foto: Nils Hasenau

Josefine Kammerer: Welche Einbußen haben Sie in den Monaten erlitten?

Tim Raue: Alle meine zehn Restaurantprojekte wurden teilweise recht kurzfristig geschlossen. Acht davon sind immer noch nicht in Betrieb. In unserem Stammhaus, dem Restaurant Tim Raue, haben Marie-Anne Raue – Geschäftsführerin und Inhaberin des Restaurants – und ich einen Lieferservice installiert. Im März und April war es trotzdem ein Verlustgeschäft. Der Mai lief etwas besser, aber immer noch durchwachsen. Trotzdem konnten wir allen Mitarbeitern volle Gehälter zahlen und haben in die Solidarität investiert. Außerdem hatten wir Glück: unser Vermieter war sehr entgegenkommend und auch die Kurzarbeits-Maßnahmen haben geholfen. Außerdem haben wir uns vorsorglich einen Kredit besorgt.

Brasserie Colette Tim Raue Berlin, Foto: Nils Hasenau

Die Villa Kellermann in Potsdam war beinahe zwei Monate geschlossen. Nach dem „Restart“ läuft es dort augenblicklich aber ganz gut. Und auch zwei von drei Colette Brasserien sind (Konstanz & München) seit dem 15. wieder geöffnet. Die vier Hanami-Konzepte auf der TUI Mein Schiff Flotte werden Schritt für Schritt wieder in Betrieb genommen. Allerdings hat es die Kreuzfahrtschiff-Branche hart getroffen, daher bleibt abzuwarten wie sich die Dinge hier entwickeln. Die Verunsicherung bei der Bevölkerung ist groß, mit so vielen anderen Menschen auf einem Schiff zu sein. Aber, was nur Wenige wissen: gerade auf s Kreuzfahrtschiffen sind die Hygieneverordnungen wesentlich umfangreicher und restriktiver als an Land!

Colette Tim Raue Konstanz, , Foto: Nils Hasenau

Josefine Kammerer: Was waren die größten Herausforderungen bei der Gestaltung der Liefermenüs? Schließlich eignet sich der Lieferdienst für manches Konzept besser als für ein anderes. Für welche Restaurants war es besonders herausfordernd?

Tim Raue: Während unsere Lieferservice-Zeit haben wir alle meine fünf kulinarischen Konzepte vereint und auf „Casual-Niveau“ geliefert. Im Prinzip kam dieses Projekt einer eigenen Restauranteröffnung ziemlich nahe. Es war nicht ganz unanstrengend, aber die Gäste waren sehr zufrieden und für diese temporäre Phase war das Konzept absolut sinnvoll. Trotzdem bin ich überzeugt, dass die Gastronomie von lebendigen Orten lebt und dem damit verbundenem Austausch der dort stattfindet. Aus diesem Grund ist es für uns kein zukunftsweisendes Konzept.

Tim und Anne Raue, Foto: Nils Hasenau

Josefine Kammerer: Wie war der Zusammenhalt unter den Gastronomen?

Tim Raue: In Berlin gab es einen regen Austausch. Mit dem „Berlin Food Kollektiv“ haben wir einen Zusammenschluss definiert, der individuelle Restaurateure*innen & Gastronomen*innen zusammengebracht hat.

Josefine Kammerer: Mussten auch aktuell (seit Wiedereröffnung) Gerichte angepasst werden aufgrund von Hygiene-Maßnahmen?

Tim Raue: Nein.

Josefine Kammerer: Welche Hygiene-Maßnahmen sind für die Küche im laufenden Betrieb besonders anspruchsvoll umzusetzen?

Tim Raue: In meinen Küchen ist der Hygiene-Standard seit jeher groß. Nun kommt das Tragen des Mundschutzes hinzu sowie die regelmäßige Desinfektion der Hände. Beides setzen alle Mitarbeiter*innen gerne um.

Colette Tim Raue München, Foto: Nils Hasenau

Josefine Kammerer: Was halten Sie von der Umsatzsteuer-Hilfe für die Gastronomie?

Tim Raue: Jede Hilfe ist willkommen. Ich finde es anmaßend zu schreien, wir seien die einzige Branche der so geholfen wurde. Die behördlichen Schließungen hätten aus meiner Sicht aber auch dazu führen müssen, dass die kompletten Kosten der Unternehmer gedeckt werden.

Restaurant Tim Raue Berlin, Foto: Nils Hasenau

Josefine Kammerer: Größtes Learning der Corona-Krise?

Tim Raue: Im Restaurant Tim Raue haben wir definitiv große Flexibilität gezeigt, wie man auf Krisen reagiert.

Josefine Kammerer: Welche positiven Nebeneffekte hatte die Krise vielleicht auch?

Tim Raue: Für mich keine.

Restaurant Tim Raue Berlin, Foto: Nils Hasenau

Josefine Kammerer: Welches ist Ihr persönliches Lieblingsgericht (generell) und auf welches Ihrer Gerichte sind Sie besonders „stolz“? Und wieso?

Tim Raue: Ich liebe jedes Gericht, denn jedes einzelne zeigt eine Facette meiner Persönlichkeit.

Josefine Kammerer: Vielen Dank für das Gespräch und gutes Gelingen – und bleiben Sie gesund!

Restaurant Tim Raue
Rudi-Dutschke-Straße 26
10969 Berlin
Tel. 030 25937930
www.tim-raue.com

Brasserie Colette Tim Raue Berlin
Passauer Str. 5-7
10789 Berlin
Tel. 030 21992174

Und hier 5 Gerichte der Brasserie Colette, Tim Raue, gesammelt aus 5 Ländern:

5 photos: Avocado, Blaubeere und Fenchel, aus Peru, Foto: Yves Sucksdorff

 

Author: Josefine Kammerer

Josefine Kammerer arbeitet bei einem Incubator von Unternehmen in Berlin und ist Besitzer des neuen israelischen Restaurants AVIV 030 in Berlin-Neukölln. Während eines Sabbatical besuchte sie eine Kochschule in Südamerika und betätigt sich in Berlin als Foodguide für das online Kulturmagazin kultur24.berlin.

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