Iphigenie auf Tauris im Deutschen Theater
Von Holger Jacobs
20.10.2016
Intro:
Wenn gleich am Anfang Iphigenie die Frage stellt: „Kann uns zum Vaterland die Fremde werden?“ muss ein Mensch des Jahres 2016 zunächst an das gerade stattfindende größte Flüchtlingsdrama nach dem 2. Weltkrieg denken. Doch bei seiner Veröffentlichung 1787 ging es dem Dichter Johann Wolfgang von Goethe um etwas ganz anderes.
Handlung
König Agamemnon sollte das griechische Heer in den Trojanischen Krieg führen, doch kein Wind regte sich über dem Meer. Um die Götter günstig zu stimmen, übergab der König seine Tochter Iphigenie der Göttin Diana, um sie zu opfern. Diana aber rettete das Kind und brachte es auf die Insel Tauris und machte sie zu ihrer Priesterin.
Mit den Jahren wurde die Sehnsucht Iphigenies nach ihrer Heimat Griechenland immer größer. Der König von Tauris aber, Thaos, möchte sie bei sich behalten und sie sogar ehelichen. Währendessen kommt ihr Bruder Orest mit seinem Freund Pylades auf die Insel, um sich vor den Furien zu retten, die ihn verfolgen, seit er seine Mutter Klytämnestra und deren Liebhaber ermordet hat. Doch sie werden entdeckt. Da die Griechen die Feinde Tauriens sind, sollen sie im Tempel geopfert werden. Als Iphigenie in Orest ihren Bruder erkennt, wollen zunächst alle drei heimlich von der Insel fliehen.
Doch Iphigenie entschließt sich König Thaos die Wahrheit zu sagen. Sie möchte ihn mit ihren Worten überzeugen allen drei die Freiheit zu geben. Was unmöglich erscheint wird wahr: Alle drei können in Frieden gehen.
Als Teaser ein kurzes Video auf kultur24.berlinTV:
Kritik
Iphigenie auf Tauris gilt als Höhepunkt des klassischen Dramas in Deutschland. Humanismus und Edelmut sei die größte Tugend. Sicher auch beeinflusst von der Zeit der Aufklärung. Die französische Revolution sollte nur 2 Jahre später, 1789, losbrechen. Doch wie verstehen wir dieses Drama 230 Jahre später?
Der bulgarische Regisseur und Autoren Ivan Panteleev, der mit 30 Jahren nach Deutschland kam und seitdem zahlreiche Stücke auf deutschen Bühnen inszeniert hat, lässt Goethes Text sehr viel Raum. So viel, dass die Schauspieler sich zwei Stunden lang kaum bewegen und nur minimale Handlungen vollziehen. Das Gefühl einer Meditation überkommt den Zuschauer und die weiße Farbe auf schwarzer Wand und die weißgeschminkten Gesichter erinnern an japanischen Butho Tanz.
Es ist schön mal wieder nur den reinen, originalen Text eines Autoren zu hören. Es scheint, als bräuchte es einen Nicht-Deutschen um die Deutsche Sprache mal wieder so explizit in den Vordergrund zu bringen (-spielen). Ungefähr eine Stunde bin ich fasziniert, doch dann ermüde ich. Goethes Sprache ist immer noch voller Schönheit, aber ein gewisses Schau – Spiel ist dennoch vonnöten, um den Zuschauer mit in die Handlung zu ziehen. Dies gelingt hier nicht.
Die reine Seele, das Gute im Menschen, der Humanismus. Ich tue mich schwer damit angesichts dessen, was um mich herum in der Welt passiert. Während ich diese Zeilen schreibe, sitzen gerade Angela Merkel, Wladimir Putin und Francois Holland im Kanzleramt beieinander und sprechen über den Syrienkrieg. Mit bisher 250.000 Toten. Geht es dabei um Edelmut? Humanismus? Nein, nur um Macht!
Die gute Tat von König Thaos, seinen Feinden die Freiheit zu geben und selbst Verzicht zu üben scheint heute undenkbar.
Aber selbst vor 230 Jahren war das sicherlich nur ein Traum.
Deutsches Theater Berlin
Schumannstr. 13a
10117 Berlin
nächste Vorstellungen: 28. Oktober, 8., 21. und 28. November 2016
Author: Holger Jacobs
Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
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Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.