Lesbische Liebe und queere Kunst in der Berlinischen Galerie

Tabea Blumenschein - Ulrike Ottinger - Berlinische Galerie © kultur24.berlin

Lesbische Liebe und queere Kunst in der Berlinischen Galerie

 

Von Holger Jacobs

31.08.2022

Die Ausstellung „Zusammenspiel – Tabea Blumenschein – Ulrike Ottinger“ zeigt die künstlerischen Arbeiten eines Liebespaares im Berlin der 70er und 80er Jahre.

Berlin in den 70er und 80er Jahren

Dass es in Berlin in den grauen Tagen der Mauerzeit auch sehr kreativ zugehen konnte wissen wir, seit die Gruppe der JUNGEN WILDEN, auch Neue Wilde oder Moritzboy’s (wegen der Galerie am Moritzplatz im Jahre 1977) genannt, international immer mehr Bedeutung gewinnt.
Erst in diesem Sommer zeigte der Galerist Marcus Deschler eine umfangreiche Schau mit Werken von RAINER FETTING, ELVIRA BACH, LUCIANO CASTELLI, SALOMÉ und HELMUT MIDDENDORF.

Artwork by Elvira Bach, Galerie Schmalfuss, Berlin, Photo: Holger Jacobs

Und Berlins Musikszene war in den 70er und 80er Jahre ebenfalls sehr lebendig.
Gruppen wie TANGERINE DREAM, ELEMENT OF CRIME, BEATSTEAKS, DIE ÄRZTE, EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN, TON – STEINE – SCHERBEN und NINA HAGEN wurden über Deutschlands Grenzen hinweg bekannt.

Aber nicht nur in Sachen Kreativität, sondern auch in Bezug auf die sexuelle Orientierung und sexuelle Neigungen, heute allgemein als LGBTQ-Bewegung bekannt, war Berlin schon damals sehr experimentierfreudig.

David Bowie (große Retrospektive „DAVID BOWIE“ 2014 im Martin-Gropius-Bau) probierte während seines Aufenthaltes in der Mauerstadt von 1976 – 1978 verschiedene Persönlichkeiten aus, darunter auch eindeutig homoerotische, die in der Verkörperung der Fantasie-Figur ZIGGY STARDUST mündete.
Mit Mick Jagger und Iggy Popp, die sich ebenfalls eine Zeit lang in Berlin aufhielten, soll David Bowie das Bett geteilt haben…

Davis Bowie „Ziggy Stardust“, Ausstellung Gropius-Bau, Photo: Holger Jacobs

Tabea Blumenschein und Ulrike Ottinger

Genau in dieser Zeit kamen zwei junge Künstlerinnen, Tabea Blumenschein (*1945) und Ulrike Ottinger (*1942) nach Berlin.
Sie kannten sich aus gemeinsamen Künstlerkreisen in ihrer Heimatstadt Konstanz.
Die 10 Jahre ältere Ottinger hatte schon einen mehrjährigen Paris-Aufenthalt hinter sich. Doch beide wollten jetzt dem Mief der Provinz am Bodensee entfliehen und Berlin schien ihnen die richtige Stadt für außergewöhnliche Menschen zu sein.

Artwork by Ulrike Ottinger, Tabea Blumenschein und Jean Matelot, 1975, Berlinische Galerie

ULRIKE OTTINGERS Interesse galt der Fotografie und dem Film.
Ihre ersten filmischen Experimente realisierte sie entsprechend mit ihrer Freundin Tabea Blumenschein, die eine besondere äußere Schönheit besaß.
So entstanden mehrere Filmprojekte:
1975 „Die Betörung der blauen Matrosen“ in dem Tabea sowohl eine weibliche wie auch eine männliche Rolle verkörpert; 1978 „Madame X – eine absolute Herrscherin“; 1979 „Bildnis einer Trinkerin“ über die lesbische Liebe einer jüngeren Frau zu einer älteren (u.a. mit Nina Hagen); 1981 „Freak Orlando“ nach dem berühmten Buch „Orlando“ von Virginia Wolf über eine Geschlechterwandlung; 1984 „Dorian Gray im Spiegel der Boulevardpresse“, u.a. mit Veruschka von Lehndorff als gelackter Dandy.

Im Jahre 2020 erhielt Ulrike Ottinger die BERLINALE KAMERA der 70. Berlinale.

Das künstlerische Werk von TABEA BLUMENSCHEIN ist nicht so eindeutig zu definieren.
Zwischen 1968 und 1972 hatte sie an der Bodensee Kunstschule studiert, bevor sie die Geliebte und Muse von Ulrike Ottinger wurde und in mehreren ihrer Filme die Hauptrolle spielte.
In Berlin wird sie neben ihrer Schauspieltätigkeit Kostümbildnerin für Film und Theaterproduktionen. 1981 erhält sie für „Looping. Der lange Traum vom kurzen Glück“ den Deutschen Filmpreis. Außerdem fertigt sie Illustrationen für die deutsche Ausgabe des INTERVIEW Magazins von Andy Warhol an.
1985 ist sie zusammen mit ihrer neuen Freundin Isabell Weiß auf dem Titelbild des STERN Magazins zum Thema „Frauen die Frauen lieben“.

Der Absturz beginnt, als sie bei Dreharbeiten zu ihrem eigenen Film „ZAGARBATA“ (über die Berliner Punk- und Skinhead-Szene, lief 1985 im ZDF in der Reihe „Kleines Fernsehspiel) einen Typen aus der Neonazi-Szene kennen lernt und sich in ihn verliebt. Daraufhin zieht sie sich komplett zurück und beginnt ihrer alten Leidenschaft der Zeichnung nachzugehen.
Da sie damit aber kein Geld verdient landet sie Anfang der 90er Jahre als Obdachlose auf der Straße. Schließlich kommt sie in ein Obdachlosenheim in Schöneberg, später in Adlershof.
Ab 1999 wird ihr eine Ein-Zimmer-Wohnung in Berlin-Marzahn zur Verfügung gestellt.
Am 2. März 2020 stirbt Tabea Blumenschein im Alter von 67 Jahren.

Die Berlinische Galerie zeigt in ihrer Ausstellung Fotografien von Ulrike Ottinger und die späten Zeichnungen von Tabea Blumenschein.

„ZUSAMMENSPIEL – Tabea Blumenschein und Ulrike Ottinger“
Vom 17. Juli – 31. Oktober 2022
Berlinische Galerie
Alte Jakobstraße 124 – 128
10969 Berlin
Mi – Mo 10 – 18 Uhr

Bildergalerie mit Fotos der Arbeiten von Tabea Blumenschein und Ulrike Ottinger:

Artwork by Ulrike Ottinger, Tabea Blumenschein „l’heure bleue“, 1975, Berlinische Galerie, Photo: Holger Jacobs

 

 

 

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

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