LUISA NEUBAUER – gegen Ohnmacht und Gleichgültigkeit

"Gegen die Ohnmacht" - Luisa Neubauer © kultur24.berlin

LUISA NEUBAUER – gegen Ohnmacht und Gleichgültigkeit

 

Von Holger Jacobs

07.12.2022

Gestern Abend las die Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer aus ihrem neuen Buch „Gegen die Ohnmacht“ in der Tucholsky-Buchhandlung in Berlin-Mitte.

Das Umweltbewusstsein

Mein erstes Erlebnis, welches ich mit grüner Politik und Ökologie verbinde, geht auf das Jahr 1979 zurück:
Ich war zu den Internationalen Filmfestspielen nach Berlin gereist. Dort wurden Sticker von der Berlinale verteilt, die ich fortan stolz auf meinem Revers trug. Zwei Wochen später machte ich mit einer Freundin einen Spaziergang am Starnberger See (Bayern), als ein Mann wutentbrannt auf mich zustürmte, auf meinen (grünen) Sticker zeigte und mit lauter Stimme fragte: „San’ sie bei den Grünen?
Die Aggression, die mir dabei entgegenschlug, kann ich heute noch spüren.

Berlinale 1979, offizieller Sticker der Filmfestspiele © Holger Jacobs

Ende der 70er Jahre war Umweltbewusstsein für viele noch ein Fremdwort.
Doch eine neue Generation von jungen Menschen war in Deutschland herangereift, die begann sich mehr und mehr Gedanken zu machen über die Zerstörung der Umwelt.
Die massiven Demonstrationen gegen den Bau der neuen Startbahn West des Frankfurter Flughafens Ende der 70er Jahre waren dazu das Startsignal.
Denn 129 Hektar Wald sollten deswegen gerodet werden. Im Jahre 1978 gründete sich eine Bürgerinitiative gegen das Bauprojekt.
Am 14. November 1981 kam es mit 120.000 Teilnehmern zu der bisher größten Demo in Deutschland zum Thema Umwelt.
Einer der Demonstranten war der spätere Außenminister Joschka Fischer von der Grünen Partei.

Joschka Fischer in meinem Studio, 2009, Photo: Holger Jacobs

Doch der Rest der deutschen Bevölkerung zeigte gegenüber den damaligen Umweltaktivisten noch kein Verständnis.
Sie wurden als Spinner abgetan.
Selbst eine TV-Sendung des Wissenschaftsjournalisten Hoimar von Dittfurth im Jahre 1978, in dem er einem breiten Publikum von dem schädlichen Treibhausgas CO2 erzählte und ein bedrohliches Umweltszenario für die Zukunft vorstellte, änderte an der Meinung der meisten Menschen nichts.
Auch nicht die wenig später stattfindende 1. Weltklimakonferenz im Jahre 1979 in Genf.
Hoimar von Dittfirths Behauptung, dass die globale Temperatur der Erde bis zum Jahre 2050 auf 2,5 Grad ansteigen würde, gilt heute mehr als wahrscheinlich.
Aber um genau das zu verhindern, wurde auf der UN-Klimakonferenz in Paris im Jahre 2015 (COP 21) das Ziel ausgegeben alles zu tun, um einen Anstieg auf mehr als 1,5 Grad zu verhindern.

Unterschrift zum Pariser Klimaabkommen 2015 -CC- Wikimedia Commons

Da auch diese Initiative der UN nicht wirklich etwas zu bewegen schien, setzte sich die damals 15-jährige schwedische Schülern GRETA THUNBERG am 20. August 2018 mit einem Schild „Skolstrejk för klimatet“ (Schulstreik für das Klima) vor das Schwedische Parlament.

Greta Thunberg vor dem Schwedischen Parlament in Stockholm 2018 -CC- Wikimedia Commons

Daraus entwickelte sich die globale Bewegung „Fridays for Future“.
Nur ein Jahr später, am 20. September 2019, demonstrierten Millionen Menschen auf der ganzen Welt im Namen von „Fridays for Future“ für mehr Klimaschutz, in Berlin allein ca. 250.000.

Global Climate Strike Day, 20.Sept. 2019, Photo: Holger Jacobs

Luisa Neubauer

Sie gilt heute als das deutsche Gesicht der „Fridays for Future“ Bewegung.
Am 21. April 1996 in Hamburg geboren, begann sie sich früh für soziale Projekte zu engagieren. Nach einem Entwicklungshilfeprojekt in Tansania und der Arbeit auf einem Biobauernhof in England begann Luisa Neubauer ein Studium der Geologie in Göttingen. Während des Studiums trat sie mehreren NGO’s bei, die sich um die Rechte zukünftiger Generationen kümmern und gegen die miserable Situation von hungernden Menschen in der Welt kämpfen.
Bei dem Weltklimagipfel im Dezember 2018 im polnischen Kattowitz traf LUISA NEUBAUER erstmals auf GRETA THUNBERG, die bereits 4 Monaten nach Beginn ihres wöchentlichen Schulstreiks eine weltweite Bekanntheit erreicht hatte.

Luisa Neubauer am 6. Dez. 2022 in der Tucholsky Buchhandlung, Photo: Holger Jacobs

Fridays for Future

Am 8. September 2018 hatte GRETA THUNBERG auf sozialen Medien angekündigt, dass sie ihren Unterrichtsboykott an jedem Freitag so lange fortsetzen würde, so lange das Schwedische Parlament keine entscheidenden Klimaschutzmaßnahmen verabschiedet, um die Einhaltung der Klimaziele des Pariser Abkommens von 2015 zu erreichen.
Sie verwendete dabei den Hashtag #fridaysforfuture
Danach verwendeten Schüler auf der ganzen Welt diesen Hashtag fridaysforfuture, um z.B. Klima-Demos und Schülerstreiks zu organisieren.
Auf Instagram folgen mittlerweile 470.000 dem internationalen fridays for future Account, der deutsche Ableger hat sogar 535.000 Follower.
Und LUISA NEUBAUER folgen 387.000 auf Instagram.
Die Fridays for Future Bewegung ist weder ein eingetragener Verein noch eine Personengesellschaft, GmbH oder ähnliches.
Sie versteht sich als „Personenvereinigung“ mit gemeinsamen Zielen aber ohne rechtliche Struktur, weshalb es auch keinen Geschäftsführer, Vorstand oder Sprecher gibt.
Wer von den Mitgliedern in den Medien auftritt und für die Bewegung spricht, wird also nicht durch die Bewegung selbst, sondern nur durch das einzelne Mitglied, bzw. letztlich durch die Medien bestimmt.
Dabei war LUISA NEUBAUER von Anfang an das bevorzugte Ziel der Medien, da sie sehr sprachgewandt mit viel Überzeugung die Botschaften vermitteln kann und dabei medial auch eine starke Ausstrahlung entwickelt.
Unzählige Auftritte im Deutschen Fernsehen, besonders in den Talkshows von MARKUS LANZ oder bei Anne Will, zeugen davon.

Luisa Neubauer und Bernd Ulrich in Berlin zur Buchvorstellung von „Noch haben wir die Wahl“ 2021, Photo: Holger Jacobs

„Gegen die Ohnmacht – Meine Großmutter, die Politik und ich“

Am 6. Dezember 2022 veranstaltete der Buchhändler JÖRG BRAUNSDORF (der den Lesern von kultur24.berlin regelmäßig interessante Bücher Tipps gibt) eine Lesung mit LUISA NEUBAUER anlässlich ihres neuen Buches „Gegen die Ohnmacht – Meine Großmutter, die Politik und ich“.
Zu Anfang fragte JÖRG BRAUNSDORF nach ihrer Reise zum kürzlich durchgeführten Klimagipfel in Ägypten (COP 27), bei der LUISA NEUBAUER teilgenommen hatte. Sie erzählte von ihrer beschwerlichen Reise dorthin, die eigentlich nur mit (umweltfreundlichen-) Bussen und Bahnen erfolgen sollte, wegen der gefährlichen Situation in Syrien aber dann doch mit einem Flieger von Istanbul nach Scharm-El-Scheich endete.
Zu einem Ort, der, wie sie vielsagend betonte, in der Nähe des Berges liege, wo Moses vor über 2500 Jahren die Gesetzestafeln von Gott empfangen habe…
Der Klimagipfel selber wäre eher enttäuschend verlaufen, aber dennoch wichtig gewesen, da gerade viele Länder aus Afrika sonst vielleicht nicht die Gelegenheit gehabt hätten zu kommen.
Ein kurzes Gespräch mit Olaf Scholz bei einem Bierchen wäre auch nicht sehr ergiebig verlaufen.

Luisa Neubauer in der Tucholsky Buchhandlung, Photo: Holger Jacobs

Danach begann LUISA NEUBAUER aus verschiedenen Kapiteln ihres neuen Buches zu lesen.
Zunächst erzählte sie die überaus humorvolle Geschichte ihrer Großmutter Dagmar, wie diese vor vielen Jahren, als Luisa noch ein Kund war, verzweifelt versucht hatte, ihren Nachbarn davon abzuhalten, im Herbst einen Laubbläser zu benutzen, um das Laub der Bäume aufzusammeln.
Daraus stellten sich damals folgende Fragen:
1. Wäre es nicht viel umweltschonender (wegen Lärm und Abgasen) wieder Besen, Harke und Schaufel zu nehmen, um diese Arbeit zu verrichten?
2. Sollte die Priorität des Menschen eher in einem perfekten Rasen oder in einer umweltschonenden Lebensart liegen?
Heiteres Gelächter machte die Runde bei den zahlreichen, gut aufgelegten Zuhörern.
LUISA NEUBAUER erzählte, welches enge Verhältnis sie zu ihrer Großmutter Dagmar Reemtsma (war verheiratet mit Feiko Reemtsma aus der bekannten Hamburger Reemtsma-Unternehmer-Familie) hatte.
Fast jeden Mittag kam sie nach der Schule zur Großmutter (Luisas Eltern arbeiteten beide als Leiter*in eines Altenheims) in das nahegelegene Blankenese, welches als das Reichen-Viertel von Hamburg bezeichnet wird.
Mit riesigen Villen und parkähnlichen Gartenanlagen.
Dagmar Reemtsma war laut LUISA NEUBAUER immer eine streitlustige Person, wenn es um ihrer Meinung nach falsche Verhaltensweisen von Mitbürgern ging. Auch Luisas eigene Mutter engagierte sich, so z.B. in der Anti-Atomkraft-Bewegung. Auf die Frage von Luisa an beide, warum sie in ihrem Engagement nicht weitergegangen wären, hätten sie geantwortet, dass irgendwann die Familie und der Beruf zu viel Raum eingenommen hätten. Luisa hat noch zwei Geschwister.
Das nächste Kapitel ging über „Fossilität“, mit welchem LUISA NEUBAUER die gesamte Problematik unseres heutigen Lebens auf dieser Erde zusammenfasst. Denn es geht nicht allein um die Reduzierung von Treibhausgasen durch weniger fossile Brennstoffe, sondern auch um die Erhaltung der Arten (zurzeit findet gerade in Montreal die Weltnaturschutzkonferenz über unsere Biodiversität statt), um biologischen Anbau ohne Pestizide, um weniger fleisch-intensive Ernährung, um weniger Plastik in den Weltmeeren und vor allem um weniger Raubbau an der Natur.
So wie es bereits 1972 vom Club of Rome mit „Die Grenzen des Wachstums“ klar definiert wurde.
Der Bekleidungsriese H&M zum Beispiel produziert jährlich geschätzte 400 Millionen Kleidungsstücke.
For what?

Nach der Lesung kam es noch zu einer kleinen Fragerunde. Eine Dame wollte z.B. wissen, wie sie ihre Wut gegen all die Missstände kanalisieren könnte, eine andere stellte sich als weiteres Mitglied der Fridays for Future Community vor.
Meine Frage an LUISA NEUBAUER war, wann für sie das, was sie selbst als  „supi“-Leben ihrer Kindheit definierte zu Ende ging und sie begann sich Fragen zu stellen.
Sie erwiderte, dass es der tragische Tod ihres Vaters war, der viel zu früh (an Lungenkrebs) verstarb, als LUISA NEUBAUER gerade einmal 19 Jahre alt war.
Und danach war nichts mehr so wie vorher…

„Gegen die Ohnmacht – Meine Großmutter, die Politik und ich“
Tropen Verlag

Tucholsky Buchhandlung
Jörg Braunsdorf
Tucholskystraße 47
10117 Berlin
Tel. 030 275 77 663

„Gegen die Ohnmacht“, Luisa Neubauer und Dagmar Reemtsma © Tropen Verlag

 

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

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