Minna von Barnhelm im Deutschen Theater Berlin

"Minna von Barnhelm" - Deutsches Theater Photo: Holger Jacobs

Minna von Barnhelm im Deutschen Theater Berlin

 

Von Holger Jacobs

26.10.2022

Wertung: 🙂 🙂 🙂 🙂  (vier von fünf)

Ein überaus gelungenes Lustspiel in Zeiten des Krieges

Es ist schon erstaunlich, dass ein vor 250 Jahren geschriebenes Theaterstück uns heute noch so viel Vergnügen bereiten kann. Gerade die Dramen (z.B. „Nathan der Weise“) und Komödien von Gotthold Ephraim Lessing (*1729) erfreuen sich größter Beliebtheit. Während die anderen beiden großen Dichter aus dieser Epoche, Johann Wolfgang von Goethe (*1749) und Friedrich Schiller (*1759), zurzeit etwas in Vergessenheit geraten sind.

Auch ist erstaunlich, dass es nur wenige echte Komödien auf den deutschen Spielplänen gibt.
Ob es an den vielen Krisen liegt, die nun schon seit ein paar Jahren in Deutschland und in der übrigen Welt vorherrschen?

Ich könnte mir denken, dass diese geringe Anzahl gespielter Komödien wohl eher daran liegt, dass dieses Genre unglaublich schwer ist. Entweder es wird zum Schmieren-Boulevard, oder es wird so langweilig, dass es keiner sehen will.

Im Film ist es ähnlich. Auch hier dominieren in den Kinos hauptsächlich Action- und Abenteuerfilme mit viel Gewalt.
Und gute Komödien? Ganz selten! Die großen Ausnahmen waren Billy Wilder in den 50er und 60er Jahren und Woody Allen in den 70er- und 80er Jahren. Danach kam nur noch wenig.

„Some like it hot“, Billy Wilder, 1959

Handlung

Kurz nach dem 7-jährigen Krieg (1756 – 1763) weilt der unehrenhaft aus der Armee entlassene Major Tellheim mit seinem Diener Just in einem Berliner Gasthof. Weil der Major pleite ist verpfändet dieser bei dem Wirt seinen Verlobungsring. Gerade in dem Moment kündigt sich eine feine Dame namens Minna von Barnhelm im Gasthof an, auf der Suche nach ihrem im Krieg verlorenen gegangenen Verlobten Tellheim. Das überraschende Wiedersehen beider ist zunächst überschwänglich, doch Tellheim entzieht sich der heißen Umarmung seiner Braut mit dem Hinweis, er sei durch die Entlassung aus dem Heer entehrt und deshalb nicht mehr würdig zu heiraten.
Hinter dem Rücken ihrer Herrschaft versuchen der Diener Just und Minnas Kammerzofe Franziska die Situation zu retten, aber vergeblich.
Da fällt Minna ein Trick ein: Sie lässt durch Franziska die Kunde verlauten, dass sie durch widrige Umstände mittellos und verarmt sei.
Jetzt erkennt Tellheim, dass es seiner Braut so geht wie ihm selbst und er sich nicht mehr vor ihr schämen muss. Als er dann noch von seiner Rehabilitierung seitens der Heeresleitung erfährt, ist er nun doch zu einer Heirat bereit.

Gotthold Ephraim Lessing, Scherenschnitt, ca. 1780

Kritik

Viele Neuinszenierungen von Klassikern leiden daran, dass sie krampfhaft auf unsere Zeit getrimmt werden.
Regisseurin Anne Lenk, mittlerweile schon mit mehreren Inszenierungen am Deutschen Theater erfolgreich, wollte das, laut ihrer eigenen Aussage, unbedingt vermeiden. Also bleibt die Sprache original (ein Genuss für die Ohren!) und ebenso die Handlung.

Worum geht es?
Es geht um die Ehre, ohne die ein Mann kein Mann ist.
Aber auch das Geld ist natürlich wichtig, denn ohne den schnöden Mammon ist der Mann auch kein Mann.
Das war zumindest gestern so. Aber gilt das heute noch?

Regisseurin Anne Lenk meint „ja“.
Sie erzählt in einem Interview, dass wir bis heute in einem „binären Geschlechtersystem“ festhängen, bestimmt durch Macht, Geld und Krieg.
Anne Lenk sagt: „Geld und Patriachat im Schulterschluss – daraus speist sich im Prinzip alles.
Zum Beispiel: je mehr Geld, desto mehr Kraft, desto männlicher.“

Anne Lenk während der Proben, Photo: Holger Jacobs

Erstaunlich nur, dass es sich bei der „MINNA VON BARNHELM“ bei all dieser Problematik dennoch um ein Lustspiel handelt.
Warum? Nun, Lessing hält hier der Gesellschaft den Spiegel vor und zeigt, wie lächerlich solche Begriffe wie Ehre werden, wenn sie unser ganzes Leben bestimmen.
Dabei klagt Lessing nicht an – er führt es uns einfach nur vor und entlarvt dadurch unser starres System und macht es lächerlich. Erstaunlicherweise verstand dies ebenso die Gesellschaft des 18. Jahrhunderts, wie des 21. Jahrhunderts.
Haben wir denn innerhalb von zwei Jahrhunderten nichts gelernt?

Anscheinend nicht.
Sowohl die Ehe selbst ist bis heute unser heiligstes Gut, als auch die Stellung des Mannes muss, soll sie ehewürdig sein, gehoben, ohne Tadel und wohlhabend dastehen. Ein Porsche-Fahrer wirkt immer anziehender, als ein Golf-Fahrer – auch, wenn wir uns das natürlich nicht eingestehen wollen.

Auch eine zweite Tatsache ist bis heute gültig: Die Schlauheit der Frau!
Kann Sie nicht mit Fäusten siegen, so benutzt sie ihr Hirn. Gegenüber dem Manne bedeutet es, sie gibt ihm das Gefühl, er ist der Stärkere ist und zeigt sich schutzbedürftig. Schnell wird er sich als Held fühlen und die Frau vor jedem Ungemach retten. Minna wendet gegenüber Tellheim diesen Trick an, indem sie sich selber als verarmt und mittellos darstellt – und schon will Tellheim sie heiraten.

Auch das kannten die Zuschauer schon vor 250 Jahren und haben darüber geschmunzelt, genauso wie heute.
Und somit funktioniert die Komödie auch über 250 Jahre hinweg.

Trotz aller Hinwendung zur Originalvorlage hat sich das Team um Regisseurin Anne Lenk einiges einfallen lassen, um die Inszenierung modern und zeitgenössisch wirken zu lassen.
Erst einmal gibt es zwischen den Szenen einen Rap-Gesang von Sänger Fatoni. Da ich den Text aber kaum verstehen konnte, war dieser Einfall für mich weniger bedeutsam.
Viel interessanter fand ich die Arbeit der Bühnenbildnerin Judith Oswald und der Kostümbildnerin Sibylle Wallum.
Das Geschehen findet nämlich auf zwei Ebenen übereinander statt, wobei jede durch ein rechteckiges Leuchtband eingerahmt ist (siehe Fotos).

Applaus „Minna von Barnhelm“, Photo: Holger Jacobs

Über und über sind diese Ebenen mit purpurnem Samt ausgeschlagen, als wären die Figuren in einem abgeschlossenem Labor für menschliche Verhaltensweisen eingeschlossen (siehe dazu auch die Inszenierung von „Das Rheingold“ als Experimentallabor an der Staatsoper Unter den Linden).
Und die Kostüme sind einfach nur toll.
Kammerdienerin Franziska (Seyneb Saleh – ein Hingucker!) steht auf 30 cm Plateauschuhen, Minna (Natali Seelig) im eleganten Designerfummel und Tellheim (Max Simonischek) in einem lilafarbigen Anzug.
Dazu Diener Just (Bernd Moss, beste Performance des Abends) in einem schimmeligen Gammel-Look. Und Adjutant Paul Werner (Jeremy Mockridge) in einem froschgrünen Jumpsuit mit blondem Kranz im Haar sieht aus wie ein Crewmitglied des Raumschiffs Enterprise.
Ein besonderer und auch sehr gelungener Gag ist der Wirt des Gasthauses, der bei Anne Lenk zu einer sexy Wirtin mutiert, hervorragend gespielt von Lorena Handschin. Ihr lila Flatterfummel als Minikleid lässt ihre schlanken Beine hervorblitzen. Und zusammen mit ihren Pferdeschwänzen und langen Wimpern scheint sie direkt den 60er Jahren entsprungen.

Fazit: Sehenswert! Unbedingt hingehen. Ich garantiere Euch einen unterhaltsamen und vergnüglichen Abend mit durchaus intellektuellem Anspruch. Ein Abend fürs Auge und fürs Hirn!

MINNA VON BARNHELM“ von Gotthold Ephraim Lessing
Premiere war am 15.10.2022
Deutsches Theater Berlin
Regie: Anne Lenk, Bühne: Judith Oswald, Kostüme: Sibylle Wallum.
Mit: Natali Seelig (Minna von Barnhelm), Max Simonischek (Major von Tellheim), Bernd Moss (Just), Seyneb Saleh (Franziska), Jeremy Mockridge (Paul Werner), Lorena Handschin (Wirtin)

Bilderserie 20 Fotos der Theaterproduktion:

Natali Seelig (Minna), Seyneb Saleh (Franziska), „Minna von Barnhelm“, Deutsches Theater, Photo: Holger Jacobs

 

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

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