Mutter Courage im Maxim Gorki Theater

Nutter Courage - Maxim Gorki Theater © kultur24.berlin

Mutter Courage im Maxim Gorki Theater

 

Von Holger Jacobs

23.06.2022

Das richtige Stück zur richtigen Zeit

Es ist schwer KRIEG zu begreifen.
Natürlich weiß jeder, was Krieg ist. Schon ein Kind lernt schnell, was Auseinandersetzung bedeutet. Sei es, dass die Eltern sich streiten oder es Zurechtweisungen der Eltern an das Kind gibt, welches traurig wird, weil es nicht alles darf, was es will. Oder später im Kindergarten, der Kampf um die besten Spielsachen oder wer der erste an der Rutsche ist. Und erst Recht in der Schule. Wer ist der Coolste, der Klügste, der Schnellste und wer die hübschesten Mädchen kriegt – das Leben ist ein einziger Kampf.

Krieg bedeutet aber einen großen Unterschied zum Kampf des Einzelnen:
Es ist nicht der Mensch selbst, der sich für Krieg entscheidet, sondern eine höhere Instanz, mit der man häufig wenig zutun hat. Ein Kaiser, ein König oder ein Zar entscheidet sich und der Mensch muss folgen.

Zur Zeit der Proteste gegen den Vietnam Krieg Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre, kursierte ein Satz, der sehr viel über den Krieg aussagt:
STELL DIR VOR ES IST KRIEG UND KEINER GEHT HIN.
Wäre dies wirklich möglich – „keiner geht hin“ – gäbe es nie Kriege.

Doch die Verweigerung scheint unmöglich.
Sei es, dass ein Mensch sich schon vor Kriegsausbruch als Soldaten verpflichtet hat, sei es, er wird durch Teil- oder Generalmobilmachung (wie gerade in Russland geschehen) dazu gezwungen. Plötzlich findet er sich im Kugelhagel wieder, sieht sterbende Kameraden neben sich und Leichenteile durch die Luft fliegen. Das Grauen wird alltäglich, jede Empathie geht flöten und der Mensch wird zum Tier – ohne, dass er es jemals gewollt hätte.

„Les Grandes Misérables“, Jacques Callot, 1633 cc Wikimedia Commons

Genauso ein Kampf war der Dreißigjährige Krieg von 1618 – 1648, von dem BERTOLT BRECHT in seinem „Mutter Courage“ erzählt.
Dieser begann als Religionskonflikt zwischen den Katholiken mit dem deutschen Kaiser auf der einen Seite und den Protestanten auf der anderen und wurde schließlich zum Territorialkrieg zwischen den einzelnen Königreichen in ganz Europa.
Irgendwann kämpfte jeder gegen jeden und keiner wusste mehr so genau, wer eigentlich noch Freund und wer Feind war. Marodierende Banden zogen durchs Land, töteten wahllos Menschen, vergewaltigten Frauen und verschleppten Kinder.
Es war die Hölle auf Erden.
Am Ende war die Hälfte der gesamten Bevölkerung Europas ausgelöscht.

Als BERTOLT BRECHT 1938 an dem Drama „MUTTER COURAGE UND IHRE KINDER“ schrieb war er 40 Jahre alt und bereits 5 Jahre zuvor aus Nazi-Deutschland geflüchtet. Im schwedischen Exil vollendete er 1939 das Werk (1941 in Zürich uraufgeführt), kurz vor Beginn des 2. Weltkriegs.

Bertholt Brecht, 1954, Bundesarchiv cc Wikimedia Commons

Handlung

In 12 sogenannten „Bildern“ (Kapiteln) erzählt Bertolt Brecht die Geschichte der Marketenderin „Mutter Courage“, die in den Jahren 1624 – 1636 mit einem finnischen Regiment, welches auf Seiten der protestantischen Schweden kämpft, durch Ost-und Mitteleuropa zieht. Sie hat drei Kinder, alle von verschiedenen Männern gezeugt. Ihr Geld verdient sie mit Waren, die sie bei Bauern oder in der Stadt kauft, um sie an die Soldaten weiterzuverkaufen. Im Folge der Jahre verliert Mutter Courage alle drei Kinder, als sie von Soldaten umgebracht werden. Ihr Sohn Eilif wird sogar von den eigenen Leuten erschossen, weil er in einer kurzen Zeit des Friedens weiter getötet und geplündert hatte – doch in Friedenszeiten gilt das als Mord und Diebstahl. – Kurze Zeit nach seiner Erschießung aber geht der Krieg weiter…

1. Weltkrieg, die belgische Stadt Ypern 1919 cc Wikimedia Commons

Kritik

Der Regisseur Oliver Frljic hat sich für diese überaus gelungene Inszenierung ein paar sehr einfallsreiche Ideen ausgedacht.
Zunächst hat er das von Brecht auf 19 Personen angelegte Theaterstück auf 10 reduziert und lässt diese von 6 Schauspielerinnen darstellen. Maryam Abu Khaled, Yanina Ceron, Lea Dräger, Kenda Hmeidan, Abak Safaei-Rad und Cigdem Teke übernehmen nach einander nicht nur die Rolle der Mutter Courage, sondern auch alle weiteren 9 Rollen, wie z.B. ihre Kinder Eilif, Kattrin und Schweizerkas. Aber auch die Rollen der Yvette, des Feldpredigers, des Feldwebels, des Kochs u.s.w.

„Mutter Courage“, Maxim Gorki Theater, Photo: Holger Jacobs

Dieser Trick konzentriert das Stück ungemein auf wenige Personen.
Zweitens hat es den Effekt, dass klargemacht wird, dass eigentlich jeder im Krieg auch jeder andere sein könnte – denn alle sind auf gleiche Weise durch die Umstände betroffen. Der Krieg macht bei keinem Halt, egal ob ich der Feldwebel bin oder nur eine einfache Marketenderin.
Auch der Tod kann jeden und in jeder Situation ereilen.
Zudem wird deutlich, dass der Krieg eine Eigendynamik erfährt, wo der Tod und das Grauen zum Normalzustand mutiert.
Es geht sogar soweit, dass der Feldwebel behauptet, nur der Krieg böte ein gewisses Maß an Ordnung, der Frieden aber bedeutet Unordnung. Im Krieg gäbe es schließlich klare Strukturen, im Frieden nur unklare Verhältnisse.
Und neben den armen Teufeln, die niedergemetzelt werden, gibt es natürlich auch Kriegsgewinnler. So wie Mutter Courage, die ihren Lebensunterhalt mit Verkauf von Waren an die Soldaten verdient. Was hier nicht erwähnt wird, aber noch in einem viel größeren Maßstab stattfindet, ist der Gewinn der Waffenhändler und Waffenhersteller.
Im siebten Bild lässt sich Mutter Courage sogar zu dem Satz hinreißen: „Ich lass mich durch Euch den Krieg nicht madig machen“.
Denn würde dieser beendet, wüsste sie wohl nicht mehr, womit sie noch ihr Geld verdienen könnte.

Es scheint, dass der Krieg einfach zur Menschheitsgeschichte dazugehört. Es geht wohl nicht ohne ihn. Meine Mutter sagte mal, als wir an zwei wild miteinander kämpfenden Männern vor einer Kneipe vorbeigingen und lautes Geschrei die Straße erfasste, „es hat schon lange keinen Krieg mehr gegeben“.

Dass wir nach 77 Jahren Frieden in Europa wieder Krieg mit Tausenden von Toten in der Ukraine haben zeigt nur allzu gut, wie brüchig jeder Frieden ist.
Es bedarf nur ein Paar (oder auch nur eines Einzelnen) wildgewordenen Machtmenschen, um Morden und Vergewaltigen zur Tagesordnung werden zu lassen.

Anmerkung: Alle sechs Schauspielerinnen haben unterschiedliche ethnische Hintergründe. Eine spricht sogar nur gebrochen Deutsch, was gut darauf hinweist, dass Krieg in der Regel Nationen übergreifend auftritt und damit alle ein gemeinsames Schicksal haben.
Als zwei von Ihnen (Kenda Hmeidan und Maryam Abu Khaled) plötzlich ein arabisches Lied anstimmen entsteht ein ganz besonderer Moment im Maxim Gorki Theater.

Fazit: Eine ausgezeichnete Regiearbeit mit überzeugenden Schauspielerinnen. Sehenswert!

„Mutter Courage und ihre Kinder“ von Bertolt Brecht
Premiere am 9. Oktober 2022
Maxim Gorki Theater Berlin
Regie: Oliver Frljic, Bühne: Igor Pauska, Kostüme: Katrin Wolfermann, Musik: Paul Dessau
Mit: Maryam Abu Khaled, Yanina Ceron, Lea Dräger, Kenda Hmeidan, Abak Safaei-Rad, Cigdem Teke

Bilderserie mit 20 Fotos „Mutter Courage“:

„Mutter Courage und ihre Kinder“, Bertolt Brecht, Maxim Gorki Theater, Photo: Holger Jacobs

 

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

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