Neue Nationalgalerie – Die Sammlung 1945 – 2000
Von Holger Jacobs
02.11.2023
Wertung: 🙂 🙂 🙂 🙂 (vier von fünf)
Eine neue Ausstellung zeigt einen großen Teil der Sammlung mit Werken aus der Zeit nach dem 2. Weltkrieg
Es gibt in der Kunstgeschichte wohl kaum eine Periode, die so stark von den politischen und gesellschaftlichen Ereignissen beeinflusst wurde, wie das 20. Jahrhundert.
Während in den letzten 500 Jahren davor, in der Zeitspanne zwischen der Renaissance im 15. Jahrhundert und der Romantik im 19. Jahrhundert, Künstler fast ausschließlich für den Adel und die Kirche arbeiteten und dadurch unzählige nett anzusehende Portraits von hübschen Damen und noch mehr Bibelmotive entstanden, so änderte sich das schlagartig mit Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Motive kamen aus der Mitte der Gesellschaft, waren Stadtansichten, Landschaften und alltägliche Dinge des Lebens.
Und die hyperrealistischen Darstellungen verschwanden zugunsten von immer abstrakter werdenden Motiven.
Der Beginn des 1. Weltkriegs beendete erst einmal diesen künstlerischen Aufbruch. Nach 1918 gab es vereinzelte Versuche Neues zu beginnen (Surrealismus, Kubismus, Expressionismus), doch der Faschismus und der 2. Weltkrieg fegten wieder alle Hoffnungen dahin.
Das Jahr 1945 war dann eine Zäsur für Politik und Gesellschaft in vielen Teilen dieser Welt. Die Städte Europas und Japans lagen in Schutt und Asche und 60 Millionen Menschen waren auf den Schlachtfeldern und bei den Bombardierungen der Städte getötet worden.
Doch die Kunst hatte den 2. Weltkrieg überlebt und griff Stilrichtungen auf, die sich schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts angekündigt hatten.
Besonders die Abstraktion schien das geeignete Mittel zu sein, die Barbarei zu vergessen und die neue Zeit darzustellen. Denn sie zeigte – nichts.
Nur Punkte und Striche hatten das Grauen überlebt, wie bei JACKSON POLLOCK, CY TWOMBLEY (nicht in der Ausstellung vertreten), oder Farbfelder, wie bei MARK ROTHKO („Red No 5“, 1961), BARNETT NEWMAN („Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue“, 1970) oder JOSEF ALBERS („Hommage to the Square“, 1967).
Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre hatte sich eine neue wirtschaftliche Blüte in der westlichen Welt entwickelt und die Menschen versuchten die Vergangenheit im Konsumrausch zu vergessen.
Die Künstler griffen diesen Trend auf, indem sie die Dinge des Alltags zu Ihren Motiven machten: Die POP-ART war geboren.
ROBERT RAUSCHENBERG(„Pink Door“, 1954) malte auf weggeworfenen Türen und Matratzen, ANDY WARHOL vervielfältigte Konservendosen auf Lithografien oder übernahm bekannte Bildmotive aus Boulevard-Zeitungen („Multicolored Marilyn“, 1979).
ROY LIECHTENSTEIN (nicht in der Ausstellung vertreten) vergrößerte Ausschnitte aus Comic-Heften, die damals millionenhaft verkauft wurden.
Und GÜNTHER UECKER („Feld“, 1977) begann sein gesamtes (künstlerisches) Leben den Nägeln aus Baumärkten zu widmen…
Durch die Ausstellung in drei Minuten mit meinem Video-Trailer auf kultur24.TV:
Achtung: Das Video hat ein X-Rating!
Der gesellschaftliche Umbruch
Ein besonderes Augenmerk jedoch richtet die Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie auf die gesellschaftlichen Umbrüche der 60er bis zu den 2000er Jahren. Denn in dieser Zeit begannen die Menschen sich nach neuen Lebensformen zu sehnen und die Jugend der Nachkriegszeit wollte den Muff ihrer Eltern und deren spießiges Leben hinter sich lassen.
Autoritäre Erziehung, Keuschheit bis zur Heirat und ein von den Eltern vorbestimmtes Leben wurde vehement abgelehnt.
Freie Liebe, freie Sexualität und Gleichberechtigung der Geschlechter war das neue Ziel.
Künstlerinnen, wie Valie Export („Tastkino“, 1968) und Marina Abramovic („Freeing the Body“, 1976) beschäftigten sich mit genau diesen Themen.
Auch wenn diese Arbeiten schon 40 – 50 Jahre alt sind, so sind ihre Themen nach wie vor aktuell, denn auch in den folgenden Jahrzehnten wurden Fragen zu Weiblichkeit , Männlichkeit und Gender gestellt. Wie bei TRACEY EMIN („I‘ ve got it All“, 2000) oder WOLFGANG TILLMANS („The Cock”, 2002).
Einen weiteren Schwerpunkt möchte die Neue Nationalgalerie in der Parallelität der Kunst in Ost und West setzen. Doch dem kann ich nicht wirklich folgen. Denn die Kunst im Ostblock war zu sehr vom Staat, der Kommunistischen Partei und ihren Behörden bestimmt. Eine freie Kunstentwicklung war nicht möglich. Weshalb auch Gerhard Richter, A.R. Penck und viele andere in den Westen flüchteten. Die hier gezeigten Werke aus dem Ostblock können mich nicht wirklich überzeugen.
Fazit: Unbedingt ansehen
Neue Nationalgalerie
„Zerreißprobe. Kunst zwischen Politik und Gesellschaft. Sammlung der Nationalgalerie 1945 – 2000“
18.11.2023 – 28.9.2025
Di – So 10 – 18 Uhr, Do – 20 Uhr
Bilderserie mit Photos von 30 Werken der Ausstellung:
Author: Holger Jacobs
Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.