The New York Diary

© Oleg Chursin

The New York Diary

 

Von Klaus Honnef

NEW YORK – 11. Februar 2015

Es gab viele Gründe, nach über einem Dutzend Jahren wieder einmal nach New York zu fliegen. Genauer nach Manhattan, wo ich viele unvergessliche Stunden verbracht und viele wunderbare Menschen kennen gelernt und getroffen habe: Künstlerinnen und Künstler, Kunsthändler, Kuratoren, Kritiker und Sammler. Der äußere Anlass war eine Einladung des Guggenheim Museum zur Preview der Ausstellung „On Kawara: On Silence“. Doch unter einem ganz anderen Etikett als bisher, als „collector“ nämlich. Weil On Kawara mir vierzehn Telegramme mit der ständigen Bemerkung „I am still alive“ für mein Buch „Concept Art“ (1971) geschickt hat, und Jeffrey Weiss, Kurator des Guggenheim sie in seiner umfassenden Ausstellung zeigen wollte, war ich auf einmal unter die Sammler geraten. Es bedurfte dieses äußeren Anstosses. Denn lange Zeit verspürte ich keinerlei Lust mehr, in die Stadt, der ich so viel verdanke, zurückzukehren. Zumal die meisten meiner Freunde und Bekannten längst gestorben sind, und On Kawara die Eröffnung der grandiosen, ja überwältigenden Retrospektive auf sein einzigartiges Werk ebenfalls nicht mehr erlebt hat. Entsprechend schwierig und auch etwas symbolisch gestaltete sich die Ankunft auf JFK. Dichtes Schneetreiben über der Stadt und ihrer weitläufigen Umgebung verlängerte den Flug von Berlin auf über neun Stunden, Flug um Flug musste sorgfältig eingefädelt werden. Schwerstarbeit für den Tower. Bei der Einwanderung verlief alles viel unkomplizierter als erwartet (und als früher!). Doch das Wetter machte das Taxifahren für die meisten Passagiere so attraktiv, dass Gabi und ich eine halbe Stunden in einer Schlange (fast so typisch für NYC wie für die verblichene DDR) und bitterer Kälte auf ein Cab in die City warten mussten. Und dann wurde alles ganz anderes. Fortsetzung folgt.

©Leeroy

New York Downtown ©Leeroy

NEW YORK – 12. Februar 2015

Der Schneefall hörte auf, als wir auf dem Weg nach Midtown Manhattan waren, und wir konnten die Skyline erkennen. Allerdings nicht den neuen Tower, der anstelle der Twins errichtet worden ist. Im Vergleich zu den chinesischen Megastädten erschien mir New York bei der Wiederbegegnung auf einmal wie eine Spielzeugstadt, bescheiden in den Ausmaßen, ja fast europäisch. Die Einreiseprozeduren verliefen fast sogar reibungsloser als in Old Europe trotz Fingermarkierung, und der Beamte der Einwanderungsbehörde wünschte uns einen interessanten Aufenthalt. Als ich im Februar 1972 zum ersten Mal nach New York kam, hatte die Angelegenheit noch drei Stunden gedauert. Willkommen schienen die Ankommenden nicht, und wir alle mussten vor dem Zoll unsere Koffer vollständig auspacken. Heute, las ich später, ist NYC die Stadt mit den meisten Besuchern in der Welt. Gabi hatte uns im Waldorf Astoria untergebracht. Eine Offerte in einem einschlägigen Internetportal, die nicht gleich die ganzen Reisespesen aufzehrte. In diesem Hotel hatte ich schon immer wohnen wollen, für eine kurze Zeit, und nie hätte ich gedacht dass es möglich würde. Ein wunderbares altes Hotel, das nicht mehr zu den Favoriten des Jetsets zählt, aber in allen Fasern noch so etwas wie Kultur atmet. Vor allen Dingen aber mit den alten Apparaturen im Badezimmer und Beleuchtungseinrichtungen ausgestattet, zu deren Bedienung man nicht gleich ein Ingenieurstudium absolvieren muss. Der „amerikanische Traum“ trug bei mir mitunter Früchte. Obwohl der Flug strapaziös war, fühlte ich mich weit weniger zerschlagen als je zuvor und die Zeitanpassung, die Verlängerung des Tages um sechs Stunden, bereitete mir – vorerst – nicht die geringsten Schwierigkeiten. Vergessen hatte ich jedoch, dass man bei den Abrechnungen eines Restaurantbesuches auf die angegebene Summe für die Speisen und Getränke stets noch ein Drittel draufschlagen muss: Erstens Steuer und zweitens die Verdoppelung eben dieser Summe als Entgeld für den Service, dessen Gehalt mehr oder minder aus dem „Tip“ besteht. Am nächsten Tag nach Kaffee und Croissant in einem inzwischen auch in Deutschland weit verbreiteten Unternehmen ging´s bei eisigem Gegenwind Uptown ins Metropolitan Museum. Die überall gepriesene Ausstellung „Cubisme“ aus der Leonard A. Lauder Collection, die als Geschenk an das Museum vorgesehen ist, zog mich an. Und in der Tat, ungeachtet der hohen Erwartungen, die ich hatte, war ich von dem, was innerhalb der antiken Sammlung in einem geschlossenen Raumkomplex gezeigt wurde, schier überwältigt. Diese Sammlung ist einzigartig. Nirgendwo auf der Welt gibt es eine bessere und kenntnisreicher zusammengestellte Sammlung über den Kubismus als hier. Fortsetzung folgt.

NEW YORK – 15. Februar 2015

Obwohl die „Kubismus“-Ausstellung eine gute geistige Vorbereitung war, um sich in den verschachtelten Räumen und verwinkelten Wegen des Metropolitan zurecht zu finden, landen wir erst nach einigen Fehlversuchen und Nachfragen in einem der vielen Cafés des Museums. Er ist das teuerste, wie sich hinterher herausstellt, mit herrlichem Blick auf den schneebedeckten Central Park unter blauem Himmel. Den scharfen Wind sieht man nicht. Wir essen beide das Angebot des Tages, eine Suppe oder einen Salat, hochtrabend als Antipasti angepriesen, und ein Stückchen etwas zu trockenes Lachsfilet – für 30 $ pro Menü. Mit Mineral- und Tonicwasser sowie Steuer und Service beläuft sich das Vergnügen auf knapp 90 $. Ja, der Blick muss bezahlt werden. Dabei ist der Eintrittspreis ins Museum mit 25 $ auch schon für europäische Verhältnisse reichlich happig. Andererseits ist, was das Museum bietet, nicht einmal in mehreren Tagen zu bewältigen. So steuern wir nach der Pause die Sonder-Ausstellung „Madame Cézanne“ an, welche die meisten der Zeichnungen und Bilder, inklusiver vieler Skizzenbücher, versammelt, die der Maler von seiner Frau angefertigt hat. Darunter sämtliche Beispiele der „Porträts“ in rotem Kleid. Sie erweisen den Maler als einen Experten der Farbe Rot. Ich bin der einzige Maler, so hat er gesagt, der mit Rot umgehen kann. Keinesfalls überheblich. Madame Cézanne war sein preiswertestes und offenbar auch geduldigstes Modell. Diese fabelhafte Ausstellung eröffnet darüber hinaus einen instruktiven Blick in die Arbeitsweise des Malers. Und man erkennt, dass nicht die Darstellung des Sichtbaren im Zentrum seiner künstlerischen Bestrebungen stand, sondern die Art und Weise, wie sie optisch wahrgenommen wird, zerstreut, bi-fokal und entgegen der Flüchtigkeit der Eindrücke kompakt. Trotz ihres Anspruchs erzeugt „Madame Cézanne“ das Verlangen auf weitere Bilder des Meisters und seiner Zeitgenossen. Und davon hält das Metropolitan fürwahr eine stattliche Menge erster Garnitur vor. Wer die französische Malerei von der Zeit 1870 bis 1940 in ihrem vollen Glanz studieren will, muss nach New York oder Chicago reisen. (Paris ist weniger wichtig.) Hier befinden sich die besten Beispiele. Allein im Metropolitan eine unglaubliche Anzahl von Gemälden Manets und Degas´. Beides grössere One-Man-Shows. Die Augen gehen einem über. Kein Wunder, dass der Schlussgong des Museums um 5.15 p.m. uns plötzlich überrascht. Zu Fuß gehen wir die Fifth Avenue zurück Richtung Waldorf Astoria. Ich will noch bei Doubelday halt machen, um mir „Zagat“, den informativen Fressführer für Manhattan, zu kaufen. Doch wo sich früher die Buchhandlung Doubleday befand, preist jetzt ein Klamottenladen seine Ware an. Weil ich nicht schlecht essen will und wir auch zu erschöpft jetzt sind, um noch zur. 8. und 9. Avenue zu den Thais rüber zu laufen, wird es wohl wieder eine teure kulinarische Angelegenheit in mid-town. Fortsetzung folgt.

New York © Erik Heddema

New York © Erik Heddema

NEW YORK – 17. Februar 2015

Die bislang umfangreichste Übersicht von Matissens Scherenschnitten im Museum of Modern Art ist ungeheuer erfolgreich. Viele, viele Menschen tummeln sich hier, schauen, reden miteinander, verweilen, gehen weiter, und alle sind guter Dinge. Das Gewimmel stört angesichts der Bildwerke überhaupt nicht. Im Gegenteil, es korrespondiert ihrer frappierenden Frische und Lebendigkeit. Die Ausstellung widerlegt auch die Behauptung, der Künstler habe seiner verkalkten Hände wegen den Pinsel aus der Hand legen müssen und zur Schere gegriffen. Die zu handhaben, ist im Übrigen viel schwieriger. Wie souverän und flott er sie handhabte, zeigen Filmbeispiele. Ich bin vielmehr der Überzeugung, dass Matisse, der den Dialog mit Picasso nie aufgegeben hat, mit seinen Scherenschnitten zwar spät, doch geistreich und verblüffend sinnlich auf die Herausforderung des kubistischen Entwurfs geantwortet hat. Die Facettierung und Multiperspektivität der Bildfläche ersetzte er durch den Wechsel von Figur und Grund, positiv und negativ, in Permanenz. Damit öffnete er das Tor für einen neuen Abschnitt in der unendlichen Geschichte der Malerei. Erstaunlich, wie variantenreich sein auf relativ wenige Farben und Formen reduziertes Bildprogramm ist, und trotz vieler Wiederholungen keine Spur von Langeweile. Ein Triumph der künstlerischen Phantasie. Diese Ausstellung erzeugte bei uns geradezu die Lust, mehr zu sehen. Sie ist außerdem ein wunderbares Zeugnis dafür, dass große Kunst und Unterhaltung keine Widersprüche sein müssen. Nun hat sich die Reise bereits doppelt gelohnt.

Vor der Matisse-Ausstellung hatten wir noch die außerordentliche Thomas Walther Collection im MoMA besucht. Das Museum hat sie vor einiger Zeit angekauft und seinen fotografischen Inkunabeln eine Reihe höchst ungewöhnlicher und obendrein ausgezeichneter Bilder hinzugefügt, die den Kanon der fotografischen Kunst entscheidend erweitern. Manche schienen mir weit prägnanter, als manche kanonische und immer wieder reproduzierte Fotografien. Endlich sah ich auch einmal eine Folge von Bildern Willy Ruges: Sozusagen ein Selbstversuch. Der Fotograf beim Fallschirmsprung. Phase für Phase fotografiert, Anfang der dreißiger Jahre. Ruge, leidenschaftlicher Flieger, Freund Udets und Lehrmeister Hajek-Halkes war einer der großen deutschen Fotojournalisten und ist inzwischen so gut wie unbekannt. Ein Teil seiner Bilder liegt im Ullstein-Archiv, unaufgearbeitet. Das Meiste ist wohl verschollen. Ruge ist nicht emigriert, wurde sogar unter den Nazis Chef der legendären „Berliner Illustrierten“, offensichtlich aber nicht glücklich, sondern bald von Lechenperg abgelöst. Die Walther-Collecton birgt einen ganzen Schatz von nie gesehenen, ausgezeichneten Bildern. Und ist Beweis, dass die Geschichte der Fotografie noch keineswegs „geschrieben“ ist.

New York © Dorothee Hübner

New York © Dorothee Hübner

Klaus Honnef 6

Manchmal ist es nur ein winziges Detail, das aus einem nichts sagenden Bild ein anschauliches Ereignis macht. Im rot-schwarzen Gemälde des amerikanischen Künstlers Matt Conners ist es ein kleiner roter Fleck am linken Rand des schwarzen Bildfelds. Man muss es sehen, um zu erleben, wörtlich verstanden, wie plötzlich eine plane Fläche zu pulsieren beginnt. Selbst eine bessere fotografische Reproduktion als meine kann das Seherlebnis unmöglich wiedergeben. Später hatte ich angesichts eines Porträts von Velasquez im Metropolitan eine vergleichbare Erfahrung. Nur ein grauer Fleck in einer schwarzen, schwach differenzierten Fläche liess aus dieser einen Arm auftauchen. Der Fleck war genau auf die Beugung des Armes platziert, so dass die Vorstellungskraft prompt den rechten Ärmel eines Wams des abgebildeten spanischen Noblen auf schwarzen Grund realisierte. Connors´ Gemälde befindet sich in einer sehenswerten Ausstellung des MoMA auf derselben Etage wie die Scherenschnitte von Matisse, die der zeitgenössischen Malerei gewidmet ist. Ich habe zunächst gezögert, sie anzuschauen, doch Gabi gab den Impuls, und ich war doch überrascht, wie lebendig die Malerei nach wie vor ist; Totgesagte leben wirklich länger. Drei deutsche Malerinnen sind hier vertreten.

New York Diary – Fünfte Sendung, vierter Teil
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The Forever Now“ ist der treffende Titel der Ausstellung über „Contemporay Painting in an Atemporal World“ im MoMA. Treffend, weil er genau bezeichnet, was Malerei ausmacht. Natürlich schwankt die ästhetische Qualität der Beiträge. Doch diese ausgezeichnete und sorgfältig zusammengestellte Schau von nicht unbedingt nur Riesenformaten dementiert anschaulich, dass kundigen und ihrer Technik sicheren Malerinnen – letztere sind hier in der Überzahl – und Malern immer noch etwas einfällt, dass der Wahrnehmung neue Herausforderungen bietet. Bezeichnend ist vielleicht für die Bilder fast aller Beteiligten die unfixierbare, flache Räumlichkeit der Gemälde mit vielen Ausblicken (wie bei Pieter de Hoogh) und Blickblockaden (wie im Kubismus), demzufolge ihre scheinbare Widersprüchlichkeit, die sich nur in der Plausibilität der malerischen Realisierung aufhebt. Wie Jean Purcel im frühen Mittelalter Anregungen Duccios aufnahm, anders kombinierte und daraus etwas Eigenes schuf, das ihn zur Schlüsselfigur der frühneuzeitlichen Malerei erhob, so entwickeln die in der Ausstellung gezeigten Maler aus überlieferten Einzelheiten des Repertoirs der Malerei eigenwillige und anregende Bildentwürfe – und in der Anwendung der Technik sind sie hervorragend.

Author: Klaus Honnef

Klaus Honnef ist ein deutscher Kunsthistoriker, Kunstkritiker, Ausstellungskurator und Theoretiker für künstlerische Fotografie. Er ist Autor zahlreicher Bücher zur zeitgenössischen Malerei und Fotografie (Wikipedia). Er kuratierte u.a. für die DOKUMENTA 6 (1977) die Abteilungen Malerei und Fotografie. Er war Professor an mehreren Hochschulen und Mit-Autor u.a. des Buches „Die Kunst des 20. Jahrhunderts“ aus dem Taschen Verlag.

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