„Ödipus der Tyrann“ in der Schaubühne

PREMIERE von „Ödipus der Tyrann“ von Sophokles/ Hölderlin am 6.3.2015 in der Schaubühne Berlin.

Wertung: 🙂 🙂 🙂         (drei von fünf möglichen)

Von Holger Jacobs (Text und Fotos)

10.3.2015. Zunächst ist alles schwarz und man erkennt nur schemenhaft auf der Bühne Ordensschwestern eines Klosters, die Sterbenden ihre letzte Ölung geben. Eine gefühlte halbe Stunde lang wird nichts gesprochen, nur Bauten hin-und hergeschoben, man sieht die Ordensschwestern in einem imaginären Gemüsegarten, beim Beten, beim Behandeln von Kranken, beim Abtransport von Toten. Bei minimaler Beleuchtung und hinter schwarzem, nur halbdurchsichtigem Gaze-Stoff . Eine ziemlich klaustrophobe Stimmung macht sich breit.

Worum geht es?

Vielleicht hat der eine oder andere von Euch ja schon die Ödipus Sage in der Schule durchgenommen haben. Selbst wenn nicht, kennt fast jeder den Namen, oder besser den Begriff „Ödipus“. Und der eine oder andere hat vielleicht auch schon einmal den Film „Ödipussy“ von Loriot im Fernsehen gesehen. Sigmund Freud bezog den Begriff auf die krankhafte Liebe des Sohnes zur Mutter: den Ödipus-Komplex. Der Ursprung ist eine Sage des griechischen Dichters Sophokles (400 vor Christi Geburt), der die Geschichte des Königs Ödipus von Theben erzählt. Dieser tötete, ohne es zu wissen, seinen leiblichen Vater und nahm sich, wieder unwissend, seine eigene Mutter zur Frau. Die Moral der Geschichte: Du kannst deinem Schicksal nicht entgehen, wenn er von den Göttern vorbestimmt ist.

Die Handlung: Im Königreich Theben ist die Pest ausgebrochen und es wird vermutet, dass ein Fluch auf der Stadt liegt. Man nimmt an, das es mit dem gewaltsamen Tod des Vorgängers von König Ödipus , König Laios, zusammenhängt, dessen Umstände nie aufgeklärt wurden. Ödipus (Ursina Lardi) befragt auf Geheiß seines Stellvertreters Kreon (Jule Böwe) den Seher Teiresias (Bernardo Arias Porras), der mehr über die Geschichte wissen soll, als er zugibt. Zunächst will er nicht darüber sprechen, verrät dann aber unter Drohungen, dass es wohl Ödipus selbst war, der Laios umbrachte. Ödipus glaubt dem Seher nicht, bezichtigt Kreon der Verschwörung und will ihn umbringen lassen. Die Chorleiterin (Angela Winkler) versucht zu schlichten. Auch die neue Frau von Ödipus und ehemalige Gemahlin des Laios, Iokaste (Iris Becher), tritt hinzu. Ein Bote kommt und erzählt, dass Ödipus nicht wie angenommen, der Sohn des Polybos, des Königs von Korinth ist, sondern von ihm, dem Boten, als Säugling zu Polybos gebracht wurde. Der Bote habe das Kind von einem Hirten bekommen. Als der Hirte ebenfalls geholt wird, stellt sich heraus, dass dieser das Kind von König Laios und dessen damaliger Frau Iokaste überreicht bekam, um es im Gebirge sterben zu lassen. Das Elternpaar wollte den Neugeborenen deshalb töten lassen, weil ein Orakel genau das vorhergesagt hatte, was schließlich eingetroffen ist. Als die Wahrheit ans Licht kommt, erhängt sich Iokaste und Ödipus sticht sich die Augen aus.

Rezension: Der Regisseur, Romeo Castellucci, Jahrgang 1960, tauschte die männlichen Rollen gegen weibliche Schauspieler (bis auf den Seher). Die Sprache Hölderlins wäre „so weiblich“, was auch immer er damit meinen möge. Für mich sind die Texte Hölderlins sehr romantisch, was aber nicht gleichbedeutend mit weiblich sein muss. Ich denke Castellucci arbeitet einfach lieber mit Frauen zusammen (wie auch schon in seinen früheren Inszenierungen), vor allem, wenn es sich um solche attraktiven Hauptdarstellerinnen handelt wie hier Ursina Lardi, die zeitweise mit entblößter weiblicher Brust den männlichen König Ödipus spielt. Der schauspielerischen Leistung von Ursina Lardi kann man allerdings nur höchstes Lob aussprechend: echte Tränen rollen über ihre Wangen, wenn sich das Drama dem Höhepunkt nähert. Ein besonderes Highlight ist sicher das Auftreten einer alten Bekannten der Theaterbühne: Angela Winkler. Wie gut es tut, sie wieder einmal zu sehen! Und sie sieht blendend aus. Von ihrer Präsenz auf den Brettern, die die Welt bedeuten, hat sie nichts verloren. Nur eines trübt den Theatergenuss gewaltig: Die Langsamkeit der Inszenierung. Die halbe Stunde ohne Sprache in der ersten Szene habe ich schon erwähnt. Aber selbst wenn im zweiten Teil nicht nur die Sprachlosigkeit ihr Ende findet, sondern auch das Bühnenbild (ebenfalls Romeo Castellucci) komplett von Schwarz auf Weiß wechselt, kann das Stück nicht wirklich mitreißen. Sekundenlange Pausen zwischen den Dialogen, unendlich langsame Bewegungen, starre Gesichtsausdrücke. Das einzige, was wirklich überzeugen kann, ist das Bühnenbild. Man merkt, dass der Regisseur aus der Bildenden Kunst kommt. Besonders raffiniert auch die sich wandelnden Bauten, die fast unmerklich und wie schwerelos immer neue Formen bilden (in der ersten Kloster-Szene). Schauspielführung und Sprache scheinen Castelucci’s Sache nicht zu sein. Von seinen früheren Inszenierungen weiß man, dass er auch gerne mal den Text ganz weglässt…

Der Seher Tiresias (Bernardo Porras) ahnt Schreckliches

42 Bilder, hier: Der Seher Tiresias (Bernardo Porras) ahnt Schreckliches

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

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