Reisen in Zeiten von Corona – ein Erfahrungsbericht

Innenstadt von Salzwedel - SYLT, Foto: Karin Jacobs

Reisen in Zeiten von Corona – ein Erfahrungsbericht

 

Von Karin Jacobs-Zander

17.10.2020

Eine Herbstreise durch ein fremdes Land

Von einer Fahrt durch unbekannte Landschaften, irritierten Menschen hinter Plexiglasscheiben und von einer Insel in Dauersaison.

Beherbergungsverbot!
Wer darf noch wohin, mit oder ohne Test und Quarantäne? Auch nach der dramatisch angekündigten Ministerpräsidentenkonferenz mit der Bundeskanzlerin bleiben Fragen und Unsicherheiten. Nichts ist mehr sicher. Die roten Flecken der Risikogebiete innerhalb Deutschlands werden immer mehr. Die Landkarte schaut aus, als hätten sich die Masern über das Land verteilt. Besuche von Freunden und Familie, Kurzreisen ins Umland, Erholungszeiten im Gebirge oder am Meer – was vor wenigen Wochen noch möglich und verlockend erschien, sieht im Licht der neuen Corona-Welle fast schon wie eine Erinnerung an gute alte Zeiten aus. Wer sich tat sächlich aufmacht, der erlebt das Gewohnte in fremden Kleidern. Es ist eine merkwürdig verwirrende Zeit für jeden, der sein Zuhause verlassen will.

Hier unser Podcast mit eingesprochenem Text von Karin Zander:

 

Ein halbes Jahr lang hatten wir Grünwald und seine Umgebung nicht verlassen, mit Ausnahme von ein paar Tagen im August in Kärnten. Wir wollten die Sommerferien abwarten, um danach in ruhigerer Zeit unsere Insel Sylt wieder zu besuchen. Natürlich ahnten wir, dass in Zeiten der Pandemie Ungewohntes auf uns zukommen würde. Schon die Hin- und Rückfahrt wollten wir diesmal nicht mit Zug oder Flugzeug, sondern mit dem Auto quer durchs Land von Süd über Ost (Leipzig) bis zur Nordspitze Deutschlands bewerkstelligen.

Es wurde eine Reise in fremden Zeiten durch ein eigenartig fremdes Land auf eine Insel, die sich trotzig zu wehren versucht gegen einen Virus, das sie so ganz anders, stiller und unsichtbarer als jede Sturmflut bedroht.

Deutsch-Deutsche Grenze bei Hof, Foto: Karin Zander

Wir erlebten Hotels, in denen man hinter Plexiglasscheiben und Masken mit den Regeln vertraut gemacht wurde, die in diesem Ort oder Bundesland herrschten.

Leipzig, Blick vom Hotel Westin, Foto: Karin Zander

In den Zimmern waren TV-Fernbedienungen und Bademäntel keimfrei verpackt, in der einen Stadt gab es Frühstücksräume mit riesigen Abständen zwischen den Tischen, in der anderen Stadt die Bitte, doch den Zimmerservice in Anspruch zu nehmen, wir beobachteten mühsam auf Freundlichkeit bedachte Rezeptionisten in Kurzarbeit, die herauszufinden versuchten, ob Gäste aus einem Hotspot kamen, gingen durch volle Fußgängerzonen und besuchten leere Geschäfte.

Leipzig, Innenstadt, Foto: Karin Zander

Die meisten Menschen taten so, als sei alles in Ordnung und versuchten dabei verunsichert, genervt und angestrengt so gut es ging, Distanz zwischen sich und die anderen zu bringen. Aber wie schwer ist Freundlichkeit, wenn schon ein mitfahrender Mensch im Aufzug zur Bedrohung wird!

Leipzig, Innenstadt, Foto: Karin Zander

Abseits der überfüllten Autobahnen fuhren wir weite Strecken über Landstraßen durch Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Thüringen und bewunderten die unterschiedlichen Schönheiten der Landschaften und Dörfer in Ost und West.

Salzwedel, Sachsen-Anhalt, Foto: Karin Zander

So anstrengend die langen Stunden im Auto auch waren, sie öffneten uns doch die Augen für viele Eindrücke, die wir in normaleren Zeiten wohl nie bekommen hätten. Das unbekannte Deutschland ist es wert, wahrgenommen zu werden.

Salzwedel, Sachsen-Anhalt, Foto: Karin Zander

SYLT empfing uns mit Sommerwetter und herrlichen Sonnenaufgänge über dem Wattenmeer.

Sylt früh morgens am Wattenmeer, Foto: Karin Zander

Auf stundenlangen Spaziergängen an weitgehend menschenleeren Stränden erlebten wir die Insel so, wie wir sie seit Jahrzehnten kennen und lieben.

Sylt, Weststrand, Foto: Karin Zander

Doch die Ruhe in der immer herbstlicher werdenden Natur war nur die eine Seite. Vollkommen anders als an der Flutkante ging es in den Inselorten zu. Autoschlangen schoben sich durch die engen Straßen, einen schnellen Parkplatz konnte nur der Frühaufsteher oder Ortskundige finden. Als gäbe es keine Nachsaison, schien die Insel verrückt zu spielen. In Westerland, List und Hörnum und an manchen Tagen sogar in unserem beschaulichen Keitum herrschte Hochsaisons-Treiben.

Restaurant Gosch in List, Katharina Zander, Foto: Karin Zander

War Corona hier einfach abgesagt worden? Im Gegenteil, stellten wir schnell fest. Die Insulaner taten alles, was nur möglich war, um sich und die Gäste vor Ansteckungen zu schützen. Es wurde desinfiziert selbst dort, wo es vollkommen sinnlos war, Plexiglasscheiben zwischen den Restauranttischen und endlose Warteschlangen auf den Straßen vor den kleinen Läden hielten die Menschen voneinander getrennt, so gut es eben ging.
So war es nicht überall, aber doch meistens.

Sylt, Weststrand, Foto: Karin Zander

Nichts war mehr einfach, alles wollte überlegt sein.

Das Kirchenjuwel ST.SEVERIN in Keitum, geliebt, sturmerprobt, über fast tausend Jahre hin warmgebetet, blieb den Besuchern während der Woche verschlossen.

Kirche St. Severin in Keitum, Foto: Karin Zander

Die Notwendigkeit, sich tagelang vorher im Pastorat zum Gottesdienst anmelden zu müssen, damit die Besucher aus ganz Deutschland im Falle eines Infektionsausbruchs gefunden werden können, vermittelte nicht das Gefühl, mit offenen Armen immer und jederzeit willkommen zu sein. Im Gottesdienst, der sonst die alten Mauern und die Herzen der Menschen mit Lebensenergie und Glaubenshoffnung erfüllt, blieb die Freude am Miteinander, am Singen, an fühlbarer Verbundenheit weitgehend auf der Strecke. Fast leer wirkte die Kirche, als die Pastorin Susanne Zingel auf die kleinen Freuden im distanzierten Miteinander aufmerksam machte und das begeisternde Orgelspiel von Alexander Ivanow ein fast vergessenes Jubelgefühl in die belastete Gegenwart zurückholte. Wie ermunternd war es, dass jedenfalls beim Abschied vor der Kirchentür „Behüte uns Gott, bewahre uns Gott, sei mit uns auf unseren Wegen“ gesungen zum Himmel klingen durfte.

Ja, nicht alles auf dieser Reise war schwierig, nicht jede Erfahrung nur mühsam. Manchmal tat es auch gut, Platz zu haben und nicht bedrängt zu werden. Manchmal konnte man sich hinter der Maske verstecken.

Aber letztlich war es ein fremdes Land, eine in Teilen auch fremde Insel, die wir erlebten. Es lässt sich nicht leugnen: Wir sind gerade dabei, ein großes Stück ärmer zu werden, was Zuwendung und Nähe betrifft.

Was aber bleibt, ist die Freude an jedem Sonnenaufgang, an Himmel, Erde, Wind und Meer und an dem kleinen Augenzwinkern über der Maske beim zufälligen Treffen auf der Straße.

Sylt am Wattenmeer, Foto: Karin Zander

Auch der Herbst und Winter wird vergehen, die Pandemie wird irgendwann nur noch eine Erinnerung sein. Vielleicht, hoffentlich, kommen wir dankbarer aus dieser Zeit der Zumutungen heraus und erinnern uns dann an die Sehnsucht und den Wert jeder Umarmung, die wir heute vermissen.

Hamburg, Hagenbeck’s Tierpark, Foto: Karin Zander

 

Author: Karin Jacobs-Zander

Karin Jacobs-Zander, Dramaturgin und Autorin der Bücher „Lebenslotsen“ und „Wo München am schönsten ist“ aus dem Ellert & Richter Verlag, lebt in München als freie Journalistin

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