SIEGFRIED von Richard Wagner in der Deutschen Oper Berlin

SIEGFRIED - Deutsche Oper Berlin - Photo: Holger Jacobs

SIEGFRIED von Richard Wagner in der Deutschen Oper Berlin

 

Von Marty Sennewald

Marty Sennewald

16.11.2021

Nach über einem Jahr komplettiert sich die neue Inszenierung des Ring Zyklus´ in der Deutschen Oper Berlin.

Die Entbehrung der Liebe und des Menschlichen, allein um einer grenzenlosen Machtversessenheit den Vorzug zu geben.
Der Preis dieser Macht und die Notdürftigkeit eines Lebens, das der Liebe – oder um es in Wagnerscher Mittelalterromantik auszudrücken: der Minne – entbehrt:

Das ist das Thema vom Ring des Nibelungen.

Der Konflikt von Machtversessenheit und Menschlichkeit ist es, der auch 150 Jahre nach der Uraufführung von Wagners Ring des Nibelungen nichts an seiner Relevanz verloren hat.

Der Nibelung ist Alberich, ein herzloser Zwerg, der eben der Liebe entbehrt, aus den Untiefen des Rheins das Rheingold entbringt und aus seinem Golde einen Ring schmiedet.

Zu Beginn des Siegfrieds ist der Ring in die Hände des Riesen Fafners gefallen, und dieser – nun zu einem fürchterlichen Drachen verwandelt – wacht über den mächtigen Fingerschmuck.

Unweit wächst Siegfried in einer Schmiedehöhle unter der Obhut des intriganten Zwerges Mime auf.
Dieser will Siegfried benutzen, um selbst in den Besitz des Ringes zu gelangen, währenddessen Siegfried – der liebenswürdige, der die Furcht nicht kennt – selbst von allen Machtinteressen frei ist.

Am Ende fällt ihm der Ring freilich dennoch in die Hände, doch Siegfried steht auf der Seite der Liebe, der Menschlichkeit und drängt zu Brünnhilde, sie zu erwecken und in den Wonnen der Zweisamkeit das höchste Glück zu suchen.

Der amerikanische Heldentenor Clay Hilley verleiht der Siegfried-Figur  ein überschwänglich sinnliches und durchweg sympathisches Timbre. Im beeindruckenden Widerspiel mit dem aus Taiwan stammenden Mime-Tenor Ya-Chung Huang erspielt und ersingt sich das fulminante Duo einen mächtigen Applaus nach dem ersten Aufzug.

In den Pausengesprächen – unter Wagnerianer*innen – fühle ich mich als ein Fremder.
Das liegt zum einen daran, dass die Siegfried Inszenierung die erste ist, die ich sehe. Das liegt aber auch an einem durchweg mondänen Publikum, das eine gewisse Kühle in den Pausengängen nicht verbergen kann.
Die Luft ist Eau de Toilette geschwängert, die Beinkleider, Anzüge und Festgewänder maßgeschneidert.

Da mir Vergleiche mit anderen Wagner-Inszenierungen nicht anstehen, höre ich mich bei den Schwatzenden um (Die mehr als ausreichenden Pausenzeiten – einmal 45 und einmal gar 60 Minuten – geben mir dazu beste Gelegenheit).
Dass die Deutsche Oper als Winter-Bayreuth gelte, sagt man mir.
Seit 1912 führe man hier die große Wagnersche Tetralogie auf. Eine lange Tradition, der gegenüber sich eine neue Inszenierung zu verantworten habe. Und die vorangegangene Inszenierung habe ihre Spuren hinterlassen.

Gemeint ist natürlich die Götz Friedrich Inszenierung, die geschlagene 33 Jahre (die Premiere fand 1984 statt) im Haus auf der Bismarckstraße zu sehen war.

Die Meinungen auf den Pausengängen sind geteilt. Wird die musikalische Leitung von Dirigent Sir Donald Runnicles durchweg gelobt, dringt manch drastisches Wort über die Inszenierungsarbeit Stefan Herheims an meine Ohren.

Hier unser Video-Trailer der Siegfried-Inszenierung von Stefan Herheim:

Vor allem die politische Dimension der Inszenierung wird mit Argwohn gesehen.
Das Bühnenbild: Kofferberge, aus denen mit einiger technischer Finesse der Drache Fafner, die Schmiedehöhle Mimes und Brünnhildes Feuerkreis beschworen werden. Für mich ist das Imposant. Ich sehe die in die Lüfte steigenden Kofferdepots mit einiger kindlicher Faszination und bin beeindruckt.

Auf diesen Kofferbergen tummeln sich von Zeit zu Zeit Scharen von Flüchtlingen.
Als diese am Ende des dritten Aufzugs die Hüllen fallen lassen und in Feinripp-Unterwäsche zu den Liebesgesängen Siegfrieds und Brünnhildes auf der Bühne kopulieren, scheint das Maß der Duldung für die meisten Wagnerianer*innen voll.
Eine Unsitte, sagt man mir nach der Vorstellung. Der stetige Rekurs auf das Flüchtlingssujet nerve ganz ungemein. Geschmacklos!, ruft gar ein älterer weißer Mann an der Garderobe aus.

So konventionsfern Wagner einst seinen Zyklus erdacht hatte, als Utopie- und Revolutionsstück, so wäre Wagner vermutlich enttäuscht darüber, wie konservativ sein Publikum sich heutzutage gebärdet. Mir scheint, man nutze den Ring hier als Ausflucht und Eskapismus, als Möglichkeit, einmal nicht an die drängenden Fragen unserer Zeit denken zu müssen.

Dass Flüchtlinge das märchenhafte Schauspiel durchtränken und mahnend zu Reflektion aufrufen, ist den meisten hier ein Dorn im Auge.

Wagner selbst schreibt über seine Siegfried-Figur, sie sei der „Geist der ewig und einzig zeugenden Unwillkür, des Wirkens wirklicher Taten, des Menschen in der Fülle höchster, unmittelbarster Kraft und zweifellosester Liebenswürdigkeit.“ So ist Siegfried ein Mensch, der, um sein Leben zu bestehen, die Furcht nicht kennen darf. Mit dieser Eigenschaft ist er ein Fremder, inmitten seiner Welt, die sich aus Machtinteressen und Eigensinn speist. Als am Ende des dritten Aufzugs das Liebesspiel einsetzt, und statt seiner und Brünnhildes die Scharen der Flüchtlinge sich im Liebestaumel ergehen und kopulieren, wähne ich die Idee hinter Stefan Herheims Bezügen: Die Figur Siegfrieds kleidet heute nicht mehr das Ideal und Schicksal der Gäste und Zuschauenden: die Helden, die die Furcht nicht kennen dürfen, um das Leben zu bestehen sind andere, sind in der Not des Lebens befindliche, sind getriebene, flüchtende, Flüchtlinge, uns Fremde, weil auch sie einer fremden Welt gegenüberstehen. Eigentümliche Helden unserer Zeit.

Als ich die Oper verlasse und in der Tram davonbrause, fühle ich mich diesen Fremden sonderbar verbunden. Sei es, weil auch mich als Fremder inmitten konservativer Wagnerianer*innen empfand, sei es, weil Stefan Herheim sein Handwerk versteht oder mir die Verbindung zu gegenwärtigen Problemlagen mehr als nötig und richtig und nicht als geschmacklos erscheint.

„SIEGFRIED“ von Richard Wagner
Deutsche Oper Berlin
Premiere war am 12.11.2021
Musikalische Leitung: Sir Donald Runnicles, Inszenierung: Stefan Herheim, Bühne: Stefan Herheim/ Silke Bauer, Kostüme: Uta Heiseke, Video: Torge Moller
Mit: Clay Hilley (Siegfried), Ya-Chung Huang (Mime), Iain Paterson (Wotan), Jordan Shanaban (Alberich), Tobias Kehrer (Fafner), Judit Kutasi (Erda), Nina Stemme (Brünnhilde), Knabenchor der Chorakademie Dortmund

Nächste Vorstellungen: 19. November 2021, Tickets hier

Bildergalerie mit 20 Fotos der Produktion:

Mime (Ya-Chung Huang) und Wotan (Iain Paterson), SIEGFRIED, Photo: Holger Jacobs

 

Author: Marty Sennewald

Marty Sennewald promoviert zurzeit an der Humboldt-Universität zu Berlin im Fach „vergleichende Literaturwissenschaft“. 

Daneben ist er als freiberuflicher Schriftsteller und Musiker tätig, lebt und arbeitet in Berlin.

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