The Cool and the Cold – Kunst im Kalten Krieg
Von Holger Jacobs
14.10.2021
Wertung: 🙂 🙂 🙂 🙂 (vier von fünf)
Der Martin-Gropius-Bau in Berlin zeigt bis Anfang nächsten Jahres Kunst aus USA und Russland von 1960 – 1990.
Die Kunst hinter dem Eisernen Vorhang blieb in Zeiten der Sowjetunion für die meisten hier im Westen verborgen.
Das lag an zwei Gründen:
– Ersten konnte man bis 1992 nicht so einfach mal nach Moskau oder St. Petersburg fliegen, um sich eine Kunstausstellung anzuschauen.
– Zweitens richtete sich der Focus kunstinteressierter Menschen aus der westlichen Hemisphäre hauptsächlich auf die eigenen Künstler in Europa und Amerika, wo die zeitgenössische Kunst in den 50er- und 60er Jahren geradezu explodierte.
Hinzu kam, dass die Kunst im Sowjetreich als reine Propaganda des totalitären Regimes angesehen wurde, freies Kunstschaffen schien nicht möglich. Nicht umsonst kehrten Gerhard Richter und A.R. Penk und andere der DDR den Rücken und zogen nach Düsseldorf, der Hauptstadt der Kunst nach dem 2. Weltkrieg in Westdeutschland.
Einzig das Ehepaar Ludwig sammelte in den vier Jahrzehnten vor dem Mauerfall Kunst aus West und Ost.
Aus dieser Sammlung sind jetzt in der Ausstellung 125 Werke von 80 Künstlern im Martin-Gropius-Bau zu sehen.
Ohne private Kunst-Mäzene keine öffentlichen Museen
Fast alle großen Industriellen legen sich im zunehmenden Alter eine Kunstsammlung zu. Sei es aus rein spekulativen Gründen, sei es aus Angeberei („bei mir hängt ein Monet im Wohnzimmer“) oder aus echter Leidenschaft zur Kunst.
Alle öffentlichen Museen sind auf Schenkungen reicher Kunst-Mäzene angewiesen.
Sei es die Sammlung des Berliner Industriellen HEINER PIETSCH (1930 – 2021), von dem 60 Arbeiten aus der Zeit der Klassischen Moderne, von René Magritte, über Joan Miro, Salvador Dali, Max Ernst, Hans Bellmer bis Balthus der Sammlung der Neuen Nationalgalerie geschenkt wurden.
Für das zukünftige Museum des 20. Jahrhunderts, welches gerade von den Stararchitekten Herzog de Meuron (Elbphilharmonie) gleich neben der Neuen Nationalgalerie gebaut wird, sollen noch einmal 150 Werke dazukommen.
Sei es die Sammlung des Unternehmers ERICH MARX (1921 – 2020), der 1996 über 100 Arbeiten so bedeutender Künstler wie Joseph Beuys, Anselm Kiefer, Andy Warhol oder Cy Twombly als Dauerleigabe an das Museum Hamburger Bahnhof vergab.
Sei es die Sammlung des Kunsthändlers HEINZ BERGGRUEN (1914 – 2007), der nach seinem Tode der Stadt Berlin seine gesamte Sammlung, die aus über 200 Arbeiten der bedeutensden Künstler der Klassischen Moderne besteht, wie Pablo Picasso, Henri Matisse, Paul Klee, Alberto Giacometti und vielen anderen, für den Schnäppchenpreis von 250 Millionen D-Mark (die Sammlung wird heute auf knapp 1 Milliarde Euro geschätzt) im Jahre 2000 überließ.
Oder sei es das Archiv des Fotografen Helmut Newton (1920 – 2004), der im Jahre 2004 seine gesamte Fotosammlung mit Negativen der Stadt Berlin schenkte – woraus dann später die Helmut-Newton-Stiftung am Bahnhof Zoo entstand.
Die Sammlung Ludwig
Peter (1925 – 1996) und Irene Ludwig (1927 – 2010), geb. Monheim, waren im ausgehenden 20. Jahrhundert das wohl aktivste Sammlerpaar Deutschlands, wenn nicht weltweit.
Um die Größe dieser Sammlung verstehen zu können, muss man wissen, dass allein 14 Museen in der ganzen Welt ausschließlich oder doch überwiegend aus Bildern der Sammlung Ludwig gegründet wurden.
Im Jahre 2001 vermachte Irene Ludwig nach dem Tode ihres Mannes über 700 Arbeiten Picassos an das Ludwig Museum in Köln. Damit besitzt das Museum in Köln die drittgrößte Sammlung mit Werken des Jahrhundert-Künstlers Pablo Picasso nach den Museen in Barcelona und Paris.
Peter Ludwig hatte durch seine Frau in die Monheim AG in Aachen eingeheiratet, die er zur weltweit führenden Schokoladenmarke (Trumpf-Schokolade) ausbaute.
Über 40 Jahre, von Anfang der 60er Jahre, bis zum Tod von Peter Ludwig, im Jahre 1996, sammelte das Ehepaar zeitgenössische Kunst.
Das Besondere: sie kauften nicht nur Arbeiten westeuropäischer und amerikanischer Künstler, sondern auch Werke aus Russland, Teil der damaligen Sowjetunion.
Die Ausstellung „The Cool and The Cold“
Der Martin-Gropius-Bau (gehört seit 2002 zu der bundeseigenen Berliner Festspiele – Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin, KBB GmbH), direkt an der ehemaligen Zonengrenze zu Ostberlin und der Berliner Mauer gelegen, wollte zum ersten Mal die Kunst dieser beiden politischen Blöcke in einer Ausstellung nebeneinander zeigen.
Wie schon zu erwarten war, sieht der Besucher auf der sowjetischen Seite überwiegend Propaganda-Motive (Lenin, Kosmonauten, fröhliche Landarbeiter), bei denen sich der Künstler auf Grund seiner Motiv-Wahl erhoffen konnte, von der offiziellen russischen Administration gekauft zu werden.
Ganz anders die Bilder aus den USA. Hier sind die Helden keine Politiker oder fleissige Industriearbeiter, sondern Stars der Pop- und Medienkultur (Elvis Presley, Jacky Kennedy).
In der westlichen Hemisphäre zählte und zählt allein der kommerzielle Erfolg, wie er im Kapitalismus üblich ist. Nur dass westliche Künstler von Warhol bis Rauschenberg am Beginn ihres Schaffens natürlich nicht ahnen konnten, dass sie überhaupt einmal Erfolg haben würden.
Warhol kam aus der Werbe-Grafik. Da lag es nahe, dass seine Arbeiten Themen aus der Werbung und Alltagskultur aufgriffen. Robert Rauschenberg kombinierte Alltagsgegenstände mit Malerei. Roy Lichtenstein zeigte Ausschnitte aus Comic-Heften, die damals in den USA millionenfach verkauft wurden.
Diese Tendenzen fehlten im Ostblock gänzlich, da es dort weder signifikante Werbung noch Popkultur oder Comics gab.
Eine weitere Kunstrichtung, die Abstraktion, ein großes Thema in der Malerei nach dem 2. Weltkrieg in Europa und den USA, fand im Ostblock nach 1945 fast gar nicht mehr statt. Dabei war durch die Russische Avantgarde mit ihrem Konstruktivismus (Kasimir Malewitsch,Wladimir Tatlin, Alexander Rodtschenko) in den 1910er Jahren die gegenstandslose Malerei quasi erfunden worden.
Doch der Arbeiter- und Bauernstaat wollte Bilder von sichtbar fröhlichen Arbeitern, die glücklich im Kommunismus leben.
Umso interessanter, dass die Ausstellung im Martin-Grpius-Bau auch Arbeiten sowjetischer Künstler zeigt, die zumindest versucht haben, sich aus der Enge der politisch vorgegebenen Richtung zu befreien.
Vor allem im letzten Jahrzehnt der Sowjetunion, in den 80er Jahren, werden die russischen Themen gewagter und auch abstrakter.
Doch eines kann über die Kunst im ehemaligen Ostblock sicher gesagt werden: herausragende Technik und künstlerische Qualität waren auf jeden Fall vorhanden. Das zeigt die Ausstellung sehr deutlich.
Ohne die politischen Restriktionen, unter denen die Kunstschaffenden in der UDSSR leben und arbeiten mussten, hätten sich die osteuropäischen Künstler genauso erfolgreich entwickeln können, wie ihre westeuropäischen und amerikanischen Kollegen.
Fazit: Sehenswert
„THE COOL AND THE COLD“
Malerei aus den USA und der UDSSR 1960 – 19190
Sammlung Ludwig
24.09.2021 – 09.01.2022
Martin-Gropius-Bau
Niederkirchnerstrasse 7
10963 Berlin
Mi-Mo 10-19 Uhr, Di geschlossen
Eintritt: 15 Euro, nur mit online Buchung, Tickets hier
Unsere Bilderserie mit 19 Fotos der Ausstellung:
English text
The Cool and the Cold – Art in times of the Cold War
By Holger Jacobs
10/14/2021
Rating: 🙂 🙂 🙂 🙂 (four out of five)
The Martin-Gropius-Bau in Berlin will show art from the USA and Russia from 1960-1990.
The art behind the Iron Curtain remained unknown to most of us in the West during the times of the Soviet Union.
This was due to two reasons:
First, until 1992, you couldn’t just fly to Moscow or St. Petersburg to see an art exhibition.
Second, the focus of those interested in art from the western hemisphere was mainly on their own artists in Europe and America, where contemporary art exploded in the 1950s and 1960s.
After the Second World War, NEW YORK replaced the art metropolis PARIS after almost 100 years of French domination.
While painters and sculptors such as Picasso, Matisse, Braques, Leger, Rodin and Giacometti still ruled the art world at the beginning of the 20th century, it was after 1950 to Jackson Pollock, Jasper Johns, Andy Warhol, Roy Liechtenstein and Robert Rauschenberg to be the heros of the new contemporary art scene. And all of them settled in NEW YORK CITY.
In addition, art in the Soviet empire was viewed by us as pure propaganda of the totalitarian regime.
Free and independent art did not seem possible. So it was understandable that artists like Gerhard Richter and A.R. Penk and others went out of the GDR (East-Germany, occupied by the soviets) and moved to Düsseldorf, the capital of the art scene in West Germany after World War II.
Only the Ludwig couple collected art from West and East in the four decades before the fall of the Berlin Wall.
From this collection, 125 works by 80 artists can now be seen in the exhibition in the Martin-Gropius-Bau.
No public museums can exist without private art donations
Almost all rich entrepreneurs all over the world acquire art collections.
That could be for purely speculative reasons or to show off their fortune (“I have a Monet in my living room”) or because of a real passion for art.
Almost all public museums are dependent on donations from wealthy art collectors.
– For example the Berlin entrepreneur HEINER PIETSCH (1930-2021), who donated 60 artworks by René Magritte, Joan Miro, Salvador Dali, Max Ernst, Hans Bellmer and Balthus to the collection of the Neue Nationalgalerie. And for the future Museum of the 20th Century, which is currently being built by the star architects Herzog de Meuron (Elbphilharmonie) right next to the Neue Nationalgalerie, another 150 works from the PIETSCH collection will be added.
– For example the entrepreneur ERICH MARX (1921 – 2020), who donated in 1996 over 100 works by such important artists as Joseph Beuys, Anselm Kiefer, Andy Warhol or Cy Twombly to the Museum Hamburger Bahnhof as permanent donation.
– For example the art dealer HEINZ BERGGRUEN (1914 – 2007) who, after his death, gave the city of Berlin his entire collection, which consists of over 200 works by the most important artists of the Classical Modernism, such as Pablo Picasso, Henri Matisse, Paul Klee and Alberto Giacometti and many others for the bargain price of 250 million Deutsch-Marks (the collection is now estimated at just under 1 billion Euros).
– For example the famous fashion photographer Helmut Newton (1920 – 2004), who in 2004 donated for free his entire photo collection with negatives to the city of Berlin – from which the Helmut Newton Foundation at Bahnhof Zoo was later created.
The Ludwig Collection
Peter (1925 – 1996) and Irene Ludwig (1927 – 2010), born Monheim, were probably the most active collector couple in Germany and in the entire world at the end of the 20th century.
In order to understand the size of this collection, you have to know that 14 museums all over the world were founded exclusively or at least mainly from pictures from the Ludwig Collection.
In 2001, after the death of her husband, Irene Ludwig donated 700 works by Picasso to the Ludwig Museum in Cologne.
This means that the museum in Cologne now has the third largest collection of works by the artist of the century, Pablo Picasso, after the museums in Barcelona and Paris.
Peter Ludwig married into the Monheim AG enterprise in Aachen through his wife, which he developed into the world’s leading chocolate brand (Trumpf-Schokolade).
For over 40 years, from the early 1960s until the death of Peter Ludwig in 1996, the couple collected contemporary art.
What is special: they not only bought works by Western European and American artists, but also works by artists from Russia, the former Soviet Union.
The exhibition
The Martin-Gropius-Bau (since 2002 part of the German government owned Berliner Festspiele – Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin, KBB GmbH), located directly on the former zone border to East Berlin and the Berlin Wall, wanted to show the art of these two political blocks.
As it was to be expected, the visitor sees on the Soviet side mainly propaganda motifs (Lenin, cosmonauts, happy farm workers), which the artist could hope to sell to the official Russian administration.
The pictures from the USA are completely different.
Here the heroes are not politicians or workers, but stars of the pop and media culture (Elvis Presley, Jacky Kennedy).
In the western hemisphere only commercial success counts and counted, as it is common in the capitalism.
Except that at the beginning of their career, western artists as Warhol or Rauschenberg could not know that they would one day be successful.
Warhol came from advertising graphics. So it made sense that his work picked up on topics from advertising and everyday culture.
Robert Rauschenberg combined everyday objects with painting.
Roy Lichtenstein showed excerpts from comic books that were sold millions of times in the USA at the time. These tendencies were completely absent in the Eastern Bloc, as there was no significant advertising, pop culture or comics there.
Another art movement, the Abstraction, a major theme in painting after World War II in Europe and the USA, almost ceased to exist in the Eastern Bloc after 1945.
The Constructivism of the Russian Avant-garde (Kazimir Malevich, Vladimir Tatlin, Alexander Rodtschenko) nearly „invented“ the non-figural painting in the 1910s!
But the Soviet state wanted pictures of visibly happy workers who live happily under communism.
Thats why it is all the more interesting that the exhibition in the Martin-Gropius-Bau also shows works by Soviet artists who have at least tried to free themselves from the narrowness of the politically prescribed direction.
Especially in the last decade of the Soviet Union, in the 80s, the Russian topics became more daring and also more abstract.
But one thing can be said for sure about art in the former Eastern Bloc: outstanding technique and artistic quality were definitely there.
The exhibition shows that very clearly.
Without the political restrictions under which the artists in the USSR had to live and work, the Eastern European artists could have developed just as successfully as their European and American colleagues.
Conclusion: worth seeing
„THE COOL AND THE COLD“
Paintings from the USA and the USSR 1960 – 19190
Collection Ludwig
09/24/2021 – 01/09/2022
Martin-Gropius-Bau
Niederkirchnerstrasse 7
10963 Berlin
Wed-Mon 10 a.m.-7 p.m., closed Tuesdays
Admission: 15 euros, only with online booking, Tickets hier
Our picture series with 19 photos of the exhibition:
Author: Holger Jacobs
Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.