„The Great Repair“ in der Akademie der Künste
Von Holger Jacobs
17.10.2023
Um den Klimawandel zu stoppen müssen wir nicht nur die Mobilität und die Energieversorgung mit fossilen Brennstoffen erheblich reduzieren, sondern auch die Architektur und die Stadtplanung neu überdenken.
Als ich zum ersten Mal von der Ausstellung „The Great Repair“ in der Akademie der Künste hörte, konnte ich mit dem Titel zunächst nicht viel anfangen.
Es würden „Raumpraktiken {gezeigt}, in denen Reparatur als neues Gestaltungsparadigma greifbar wird“, hieß es im Pressetext.
Nun ja, dieser etwas intellektuell hochgestochene Satz zeigt, wie schwer es selbst der Kommunikations-Abteilung der Akademie fiel, die vielen Aspekte der Ausstellung in Worte zu fassen.
Weniger Häuser abreißen und weniger neue Häuser bauen
Deutlich zugänglicher und begreifbarer wurde es, als einer der Kuratoren der Ausstellung, Dr. Florian Hertweck von der Universität Luxemburg einen Tag nach der Eröffnung einen Vortrag hielt.
Sein Thema war, dass ein massiver Ausstoß an CO2 Gasen durch den Bau neuer Häuser und Straßen entsteht.
Nämlich ca. 40 % aller produzierten CO2 Gase weltweit.
Konsequenz: Weniger neue Häuser bauen, sondern vielmehr versuchen, bereits existierende Bauten wiederzubeleben oder neu zu nutzen.
Weiterhin müssen wir aufhören unsere Städte zu erweitern und dadurch immer mehr Flächen zu versiegeln.
Laut dem Statistischen Bundesamt liegt der Grad des Flächenverbrauchs (Umwidmung von unbebauten, natürlichen Flächen in Siedlungs- und Verkehrsflächen) zurzeit bei ca. 50 ha pro Tag. Zwischen den Jahren 1997 bis 2007 lag er sogar noch bei über 120 ha pro Tag. Bis zum Jahr 2030 soll dieser Verbrauch auf 30 ha heruntergefahren werden.
Vermutlich müsste er eines Tages auf null gesetzt werden!
Von diesen Flächen werden ca. 45 % komplett versiegelt. Besonders diese Zahl ist bedrohlich, da sie Flächen bezeichnet, die entweder mit Beton oder Asphalt vollständig geschlossen werden. Doch naturbelassene Flächen sind unbedingt notwendig, um große Mengen an Regenwasser aufnehmen zu können und gleichzeitig durch die Pflanzen CO2 in Sauerstoff umzuwandeln. Daher ja auch die große Sorge vor immer mehr Abholzung des Regenwaldes am Amazonas – die grüne Lunge unserer Welt!
Die Konsequenz hieße aber, dass der Wunsch vieler Familien auf ein eigenes Heim möglichst im Grünen nicht mehr verwirklicht werden könnte. Als im Wahlkampf 2021 die Grüne Partei kurzzeitig diese These als Wahlthema proklamierte gab es heftige Proteste von allen Seiten. Worauf die Kampagne schnell wieder eingestellt wurde.
Umnutzung
Dr. Florian Hertweck suchte mit seinen Studenten der Architektur der Universität Luxemburg nach einem Lösungsansatz, um weniger Flächen zu versiegeln, bzw. bereits versiegelte Flächen wieder zu renaturieren.
Zunächst einmal wurde am Beispiel der Stadt Berlin versucht die Flächen aller freier Parkplätze in der Hauptstadt zu erfassen.
Ergebnis: Von der 891 km2 Gesamtfläche aller 12 Stadtbezirke in Berlin sind ca. 9.5 km2 (zumeist versiegelte) Parkplätze. Wobei hier nur die gruppierten Parkplätze gerechnet wurden, nicht die linearen entlang einer Straße.
Mögliche Lösung: Entweder die Parkplätze ganz entfernen und darauf Häuser mit Tiefgaragen bauen, oder diese Parkplätze stehen lassen und darüber Gebäude errichten.
Das Ziel: Weitere Versiegelung natürlicher Flächen vermeiden und trotzdem mehr Wohnraum schaffen.
Heilung
Im Jahre 2029 schrieb die Stadt Luxemburg einen internationalen Wettbewerb für Konzepte aus, mit denen das Land seinen hohen CO2 Ausstoß (der höchste ökologische Fußabdruck pro Person in Europa) verringern könnte.
Prof. Florian Hertweck und seine Studierenden nahmen sich daraufhin das größte Gewerbegebiet Luxemburgs (nahe der Stadt Foetz) vor und entwickelten in vier Schritten Konzepte, wie aus diesem ökologischen Supergau eine zum Teil renaturierte Fläche mit Wohnen, Arbeiten und Grünanlagen entstehen könnte.
Dieses Konzept ließe sich auch auf viele der über Tausend in Europa existierenden Gewerbegebiete übertragen.
Tagebau Garzweiler
Insgesamt werden in der Ausstellung 40 Arbeiten gezeigt.
Alle Präsentationen befinden sich an der Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft.
Wobei die rein künstlerischen Positionen mich nicht sehr überzeugten.
Dafür aber umso mehr die anderen.
Besonders beeindruckend ist ein 3 x 4 Meter großes Modell der Landschaft um das Braunkohle Abbaugebiet GARZWEILER mit dem HAMBACHER FORST und dem Ort LÜTZERATH (zuletzt überall in den Medien, als Umweltaktivistin GRETA THUNBERG im Januar 2023 zum letzten Streik gegen den Abbau kam).
Auf einem knapp 12 qm großen Architekturmodel (gestaltet von den Studierenden der Universität ETH Zürich) wird in der Ausstellung diese Gegend mit riesigen Einschnitten in die Landschaft gezeigt.
Kohlebagger (im realen Leben so groß wie Hochhäuser) graben hier Tag für Tag Tausende von Tonnen Gestein aus der Erde, nur um an die für uns bis heute so wichtige Kohle zur Energiegewinnung zu kommen.
Die Einschnitte in dieses bemerkenswerte Model sehen wie große Wunden aus, die mit einem gigantischen Messer einer lebenden Figur zugefügt wurden.
Nicht nur, dass das Endprodukt uns alle vergiftet und die Menge der Treibhausgase vergrößert, sondern auch der Raubbau an der Natur und der tägliche Entzug von 1500 Liter Grundwasser (damit sogar der bis zu 190 Meter tiefe Baggergraben noch trocken bleibt) sind eine ökologische Katastrophe.
Selbst wenn der Tagebau ab 2030 dort beendet werden soll, werden die Schäden an der Natur noch lange bestehen bleiben.
Wenn diese Wunden überhaupt jemals wirklich geheilt werden können…
„THE GREAT REAPAIR“
14.10 2023 – 14.01.2024
Akademie der Künste im Tiergarten
Hanseatenweg 10
10557 Berlin
Di – Fr 14 – 19 Uhr
Sa & So 11 – 19 Uhr
Bilderserie mit 11 Fotos der Ausstellung:
Author: Holger Jacobs
Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.