ULRIKE MARIA STUART im Deutschen Theater Berlin

Ulrike Maria Stuart - Polizei Fahndungsfoto

ULRIKE MARIA STUART im Deutschen Theater Berlin

 

Von Marty Sennewald

29.02.2024

Erschießt die Frauen zuerst

Als ich nach dem feierlich angekündigten Ende der Geschichte im (thüringischen) Geschichtsunterricht saß – irgendwann nach dem Millennium, in dieser komischen Zeit, als jeder Angst hatte, alle Computer der Welt würden gemeinschaftlich um Mitternacht abstürzen – da erinnere ich noch die rauschenden Fotografien, die man uns im Unterricht zeigte.
In schwarz-weiß getünchte Warnungen.
Grobkörnige Fratzen. Ein bisschen unheimlich.
Als kulminiere da irgendwas in den Pupillen von der Meinhof.
Als hätte sich der Teufel hinter ihrer Stirn verbarrikadiert.
Das Böse schlechthin.
Prägt es euch gut ein!

„Ulrike Maria Stuart“

Eingeprägt habe ich mir dann auch bei der Vorstellung im Deutschen Theater Berlin am vergangenen Mittwoch diesen schwebenden Glaskasten, der baumelnd in der Mitte der Bühne über den Dingen  hängt.
Die Gefängniszelle in Stammheim, aus der die Klagerufe der ULRIKE MEINHOF dringen.
Dumpf und stumpf. Die Sprachgeflechte von ELFRIEDE JELINEK, die keinen Ort kennen, keine Zuordnung.
Zwischen Glaubenskrieg und Überzeugungskampf. Aber nur wenige Minuten.

„Ulrike Maria Stuart“, Deutsches Theater, ph: Eike Walkenhorst

Heute wird kurzer Prozess gemacht.
Schon grummelt es von der Bühne herab, die Geister der Vergangenheit erheben sich aus ihren Gräbern, kopulieren mit Mini-Vul(va)kanen und stürzen das Stück in einen Horror-Slapstick-Movie.
Die sollen sich in ihrer eigenen Scheiße wälzen, hatte JELINEK von ihren eigenen Figuren gefordert. Und das machen sie auch.

Aber noch einmal ganz von vorne:
Die Welt gehört den Männern. Sie haben sie sich genommen. Wie unflätige Gäste sich ein schlecht bestücktes Geburtstagsbuffet einverleiben. Beharrlich. Ausdauernd. Übergriffig. Die Männer. Haben alles unter ihre Gewalt gebracht. Auch die Gewalt selbst.

Nicht nur die staatlich regulierte Gewalt.
Auch die deviante. Abweichende. Wenn Männer Gewalt ausüben, ist das trauriger weise normal.
Wenn Frauen Gewalt ausüben, dann ist die Ordnung gestört, und nicht nur die Rechtsordnung.

Dass die Hälfte aller RAF-Terrorist*innen Frauen waren, löste in den Herren der Schöpfung den blanken Horror aus (siehe Bühnenbild).
Schließlich platzt es CHRISTIAN LOCHTE, dem ehemaligen Leiter des Hamburger Verfassungsschutzes, Anfang der Siebziger Jahre heraus:
„Erschießt die Frauen zuerst“.
Er spricht aus, was viele denken. Er ist das Symptom im Unbehagen seiner Zeit. Erschießt die Frauen zuerst.

„Ulrike Maria Stuart“, Deutsches Theater, ph: Eike Walkenhorst

Und dieser verächtliche Ausspruch wird von der damaligen (männlichen) Spiegel-Redaktion weiter aufgeladen.
Von „phallischen Weibern“ ist die Rede, von „Weibergewalt“, von „weiblichen Supermännern“, schließlich wird von einer „makaber hervorgebrachten Rolle der Frauen“ berichtet, womit man(n) gleich die gesamten Bemühungen gegen die Erniedrigung alles Weiblichen zu diskreditieren suchte. Dass ein Andreas Baader aus seiner Rolle herausgefallen sei, sucht man natürlich vergebens.

Interessant, dass der Spiegel nach der Premiere des Stücks „Ulrike Maria Stuart“ 2006 keinerlei Bezug zu seiner (w)irren Berichterstattung der siebziger Jahre sucht und lieber von einem heiteren Abgesang auf die politische Linke spricht, den man schon „ziemlich oft gehört habe“.
Von einer tragisch-lächerlichen ULRIKE MEINHOF ist im Spiegel die Rede und davon, dass die „Auflehnungsobjekte“ heute auch nicht mehr das seien, was sie einmal waren (Chapeau).

Ulrike Meinhoff Ende der 60er Jahre, Foto privat

Kritik

Auf der Bühne wird also der verschüttete (und schmerzhafte) Mythos um die RAF buchstäblich aus dem Grabe gehoben.
Regisseurin PINAR KARABLUT inszeniert ein Beschwörungstheater.
Im Schnelldurchlauf ( in 1 Std. 10 Minuten).
Von ELFRIEDE JELINEKS Text bleibt nicht einmal die Hälfte stehen.
Die vielbesprochene Szene, die aufhellt, dass Machtfrau GUDRUN ENSSLIN ausgerechnet in einem Modegeschäft verhaftet wurde (und natürlich liebte sie ihre schönen Mäntel und Taschen und Hosen, konnte überhaupt nicht ohne sie) bleibt allerdings erhalten.
Es reißt einen Spalt zwischen Ausnahmemensch und traditioneller Rollenzuschreibung.
Es lässt GUDRUN ENSSLIN ganz Frau werden.
Dass der Wert des Weiblichen nicht durch Intellekt gesteigert werden könne, hatte man damals auch im Feuilleton lesen können.
Kotzgrenze.

Interessant dabei, dass sich in der damaligen Berichterstattung wiederholt die These findet, dass die RAF um ULRIKE MEINHOF und GUDRUN ENSSLIN überhaupt nicht politisch motiviert gewesen sei und sich jeglichen Nachvollzugs widersetze (und hier muss natürlich von späteren RAF-Ausfällen unterschieden werden).
MEINHOF und ENSSLIN jedenfalls: Monströs und pervers.
Zu keinem klaren Gedanken fähig.
Die RAF in den Bereich des Absurden zu verbannen, um nicht weiter über deren Beweggründe nachdenken zu müssen, und so auch keinerlei Kritik am eigenen zulassen zu müssen, ist leider allzu verständlich und dennoch bedauernswert.

Zur Erinnerung:

Der 4. und 5. Deutsche Bundestag (1961 bzw. 1965 gewählt) wies den mit traurigem Abstand höchsten Anteil an ehemaligen NSDAP-Mitgliedern auf (120 bzw. 129 von 496 Abgeordneten).
Und 1968 wurde die kalte Verjährung der NS-Kriegsverbrechen verabschiedet. Dazu die Kriegstreiberei in Vietnam.
Postkolonialismus im globalen Süden.

Die Gründe, sich gegen das dickbäuchige Wirtschaftswunder-Deutschland aufzulehnen, waren real existent (und wären auch heute kritikwürdig).
Die verpennte Entnazifizierung ist Tatsache.
Das war der Scheiß, das hat alles überhaupt erst extremistische Teile der 68er Bewegung in einer Art Gewaltspirale zu dieser grenzüberschreitenden, mordenden und schockierenden Zelle werden lassen.
Die 70er Jahre – nicht nur Blumen im Haar und Promiskuität.

Die Verhaftung von Daniela Klette am 26.02.2024

Und wenn man diese alte Kamelle auch aus den Untiefen irgendwelcher Gräber ziehen muss, bleibt sie traurig-aktuell.
Da mag manch jemand hinter der zufällig zwei Tage vor der Premiere stattgefundenen Verhaftung der 65-jährigen RAF-Terroristin DANIELA KLETTE schon eine kulturaffine Berliner Polizei wähnen.
Aber die Aktualität reißt auch an anderer Stelle nicht ab.

Die RAF der dritten Generation: Daniela Klette, Ernst Staub, Burkhard Garweg, ph: Polizei Fahndungsfotos

Dass ULRIKE MEINHOF und ANDREAS BAADER im Juni 1970 nach Jordanien flohen, um in Milizcamps und Wüstensand so ausgiebig mit Kalaschnikows herumzuballern, bis ihnen die Munition rationiert wurde, ist eine der irren Überlieferungen (und taucht im Text leider nicht auf).

Aber: Das Bild der antifaschistischen Terrorgruppe, die sich gerade jenen anschließt, deren propagiertes Ziel die Auslöschung des jüdischen Staates ist, ist hochgradig irritierend.

Oder auch nicht.
Zeigt es doch den eindringlichen Erosionsprozess im politischen Spektrum der Siebziger Jahre, dass den noch jungen Staat Israel nach dem Sechs-Tage-Krieg vor neue Herausforderungen und Spannungen gestellt hat und linke Strömungen (nicht nur RAF) die ehemals Unterdrückten zu den neuen Unterdrückern ausriefen und sich mit radikalen Palästinensern solidarisierten.
Und heute?

Der beißende Sarkasmus von MEINHOF/ MARIA (gespielt von REGINE ZIMMERMANN) und die getriebene Boshaftigkeit von ENSSLIN/ELISABETH (gespielt von ABAK SAFAEI-RADS) besetzen ausgezeichnet die Räume zwischen Distanz und Annäherung in dieser makabren Geschichte.

„Ulrike Maria Stuart“, Deutsches Theater, ph: Eike Walkenhorst

Da passen auch die ins lächerlich neigenden Gruft-Gestalten ins Bild.
Schmieren eine Schicht Zuckerguss um die (von der Düsternis des Ganzen) nach unten gezogenen Mundwinkel.

Übrig bleibt noch die namensgebende MARIA STEWART (die manchmal aus ZIMMERMANNS Mund spricht). Diese verklärt romantische Figur von Schillers Gnaden.
Fast schon vergessen. Man denkt ja doch an eine unbescholtene Frau.
Am besten noch in einem Kleid. Oder es liegt an der Unschuld ihres Namens. Die Zeit ebnet ein.

ELFRIEDE JELINEKS Sprachgeflechte, die sich wie die Rhizome der französischen Intellektuellen am Ende der sechziger Jahre durch die Zeit arbeiten (aber keine Sorge, auch JEAN-PAUL SATRE bekommt auf der Bühne sein Fett weg), rufen dazu auf, nichts einzuebnen, Spannung auszuhalten, Diskurse zu erhalten, Ideologien aufzubrechen.

Vielleicht hat man den Titel lange falsch gelesen.
Ulrike Maria Stuart.
Vielleicht geht es weniger um das Verbindende der beiden.
Nicht um metaphorisches Brückenschlagen. Vielleicht ist das alles eine Abgrenzung.
Eine Art Warnung vor der Zeit, vor dem, was sie aus uns und unseren Erinnerungen macht, eine Warnung vor dem Einebnen.
Vor dem Vergessen.

Fazit: PINAR KARABLUT macht kurzen Prozess.
Nicht nur mit dem Terror der RAF, auch mit Jelineks Text.
Die gedrungene Inszenierung funktioniert dank stimmiger Dramaturgie, Licht und Musik überraschend gut, unterhält leichtfüßig bei allem thematischen Gewicht und entschuldigt dadurch manche Auslassung und fehlende Bezugnahme, die der Stoff zu bieten gehabt hätte.

Ulrike Maria Stuart von Elfriede Jelinek
Premiere am 28.02.2024
Deutsches Theater Berlin
Regie: Pinar Karablut, Bühne: Michela Flück, Kostüme: Claudia Irro,
Musik: Daniel Murena
Mit: Regine Zimmermann, Abak Safaei-Rad, Katrija Lehmann, Daria von Loewenich, Caner Sunar

Bilderserie mit neun Fotos von Andreas Wilcke:

„Ulrike Maria Stuart“ von Elfriede Jelinek, Deutsches Theater, ph: Andreas Wilcke

 

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

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