Unsere Bücher Tipps im April 2022

Die Bücher Tipps im April 2022 © kultur24.berlin

Unsere Bücher Tipps im April 2022

 

Von Jörg Braunsdorf

14.04.2022

Jörg Braunsdorf empfiehlt jeden Monat eine Auswahl der neuen Veröffentlichungen auf dem Büchermarkt.

 

„Ein Haus für viele Sommer“ von Axel Hacke © Kunstmann Verlag

Ein Haus für viele Sommer, Axel Hacke, Kunstmann Verlag

Vor 40 Jahren war die Insel Elba eine meiner Sehnsuchtsinseln im Mittelmeer. Vom Festland gegenüber trampte ich dorthin, wanderte den Monte Capanne hinauf und besuchte das etwas abseits vom Trubel gelegene Örtchen Capoliveri, geprägt u.a. vom Mineralienabbau in den Bergminen. Axel Hacke, der heitere Melancholiker, wie er in einer Rezension des NDR genannt wurde, hat das Glück dort einen Torre zu besitzen und teilt seine Erlebnisse dort mit unsEr erzählt von den Stunden in seiner Cantina, die ein Lager für unverbrauchte Zeit sei, in dem er die Zeit verstreichen lassen könne und in einem Kapitel über das Nichtstun und Hunde, daß er sich Ausgelegt habe und das Leben anbeissen lasse. Schöner läßt sich ein Lebensgefühl, das Hermann Hesse Selbstvergessen nannte nicht beschreiben. Aber das Inselleben ist natürlich auch lebendig, manchmal auch schroff, etwa wenn der Cinquecento fast von einem LKW von der Küstenstrasse gefegt wird, oder der Nachbar ein Wildschwein vom Bett aus erschiesst. An einer Stelle sinniert Hacke, weshalb er 30 Jahre immer an den selben Ort gefahren ist, während Freundinnen und Freunde berichten, sie hätten die Malediven gemacht, die Pazifikküste gemacht, Marokko gemacht. Es ist das Bedürfnis nach Ruhe und Frieden. Der Frühling kündigt sich an, wir haben Sehnsucht nach einem leichterem und sinnvollen Leben. Axel Hacke erzählt uns davon. Eine schöne Steilvorlage für die nächsten Monate.

 

„Ihr wart doch meine Feinde“ von Roswitha Quadflieg © Faber & Faber Verlag

Ihr wart doch meine Feinde, Roswitha Quadflieg, Faber & Faber

Ich kenne die Autorin seit 1996 und schätze ihre sprachliche Konzentration mit der sie die Romane, die immer eine Spurensuche sind, komponiert. Dieses Buch erzählt von einem Leichenschmaus, der zum Tribunal wird. Die Szene ähnelt einem Kammerspiel, wir sitzen als Lesende mittendrin. Die Verstorbene, ehemals IM für die Stasi, hat 8 Personen vorab zur Einladung bestimmt, 28 fanden sich ein. Im Raum befinden sich Opfer, Täter, Ahnungslose. Die Handlung entwickelt sich zu einer psychologisch aufgeheizten Groteske, einer Gerichtsverhandlung über gesellschaftliche und persönliche Schuld. Alle sind Opfer und Täter? Wer ist der Richter? Es sind Wörter und Sätze wie Peitschenhiebe, mit denen die Autorin zuspitzt und das ist große Klasse!

 

„Einen Schritt daneben“ von Klaus Richter © Schiler & Mücke Verlag

Einen Schritt daneben – Seltsame  Geschichten eines alternden Einzelkindes, Klaus Richter, Schiler & Mücke Verlag

Klaus Richter (gest. 2017) war Drehbuchautor von u.a. ›Comedian Harmonists‹, ›Jud Süß: Film ohne Gewissen‹ und ›Der Trafikant‹. Der hier empfohlene Roman liest sich herrlich leicht und erzählt von der BRD, vor allem in den 70er und 80er Jahren. Es geht u.a um Faßbinder, Fauser, Filmegeschichten, Stadtgeschichten in Hamburg, München, Berlin. Richter erzählt von seinen Freunden, dem legendären Filmemacher Rainer Werner Fassbinder, oder dem Journalisten und Autoren Jörg Fauser. Die Geschichten und Anekdoten sind ein Stück Kulturgeschichte des alten Westdeutschland und Westberlin, wie sie die legendäre Schlaghose damals verkörperte. Deshalb ziert sie auch völlig zu Recht das Cover, zumal in einer für diese Jahrzehnte typischen Farbästhethik. Es waren die Jahrzehnte in der Geschichten noch zählten, unabhängig von der heute omnipräsenten digitalen Glocke über allem. In diesem Buch leben sie fort.

 

„Der letzte Sommer in der Stadt“ von Gianfranco Calligarich © Zsolnay Verlag

Der letzte Sommer in der Stadt, Gianfranco Calligarich, Zsolnay Verlag

Ein Rom-Roman, eine Liebes- und Lebensgeschichte in den 70er Jahren, ein Festival literarischer Bilder, mit einem überraschenden Schluß.  Ein Schreibender kommt von Mailand nach Rom, scheinbar leicht gelingen die ersten Schritte. Wohnung, Alfa Romeo, ein Job beim Corriere dello Sport fallen im praktisch vor die Füße. Und dann begegnet er Arianna, eine Begegnung, die seinen Lebensrhythmus verändert. Im Roman schlägt der Protagonist Leo „ein Buch auf, um mich der verführerischen inneren Stimme hinzugeben, mit der wir lesen.“ (S. 79)

Diesen Roman beginnen und in einem Rutsch so durchlesen ist die beste Empfehlung, die ich geben kann.

 

„Singe ich, tanzen die Berge“ von Irene Sola © Trabanten Verlag

Singe ich, tanzen die Berge, Irene Solá, Trabanten Verlag

Die junge katalanische Schriftstellerin Irene Solá hat für diesen Roman in 2020 den Europäischen Literaturpreis erhalten. Im jungen Berliner Trabanten Verlag ist er im März erschienen. Parallel in weiteren 21 Ländern. Zu Recht! Dieses Buch ist eine Kulturgeschichte Kataloniens im Roman, erzählt von der mythischen Urgewalt der Pyrenäen und beschreibt wie die Menschen von diesen Kräften und Geheimnissen beeinflußt werden. Die politische Dimension begründet sich im autonomen Selbstbewußtsein Kataloniens. Das alles ist in einer wunderbaren Sprache als Familienroman geschrieben. Ein fulminantes erstes Kapitel erzählt das Schicksal des dichtenden Bauern Domenéc, das in der Folge alle im Buch immer wieder fordern wird. Aus der sprachlichen Perfektion und poetischen Dichte des zweiten Kapitels entwickelt sich dann eine atemberaubende Erzählung. Im Herbst folgt, zum poetischen Glück ihr erster Lyrikband auf Deutsch. Freuen wir uns darauf!

Jörg Braunsdorf
Tucholsky Buchhandlung
Tucholskystr. 47
10117 Berlin-Mitte

 

 

Author: Jörg Braunsdorf

Jörg Braunsdorf ist Inhaber der 2010 gegründeten Tucholsky-Buchhandlung in der Tucholskystraße 47 in Berlin-Mitte.
Auszeichnungen: 4-maliger Gewinner des Deutschen Buchhandlungspreises, zuletzt für das Jahr 2020

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