Unsere Bücher Tipps im Juni 2022

Bücher Tipps im Juni 2020 © kultur24.berlin

Unsere Bücher Tipps im Juni 2022

 

Von Jörg Braunsdorf

09.06.2022

Heute stellt Euch wieder Jörg Braunsdorf von der Buchhandlung Tucholsky in Berlin-Mitte seine neuesten Buchempfehlungen vor (Anm.d.Red.)

 

„Thebanischer Tod“ von Amanda Cross, Dörlemann Verlag

Thebanischer Tod, Amanda Cross, Dörlemann Verlag

„Die Leidenschaft, andere Menschen belehren zu wollen, ist schon für sich genommen ein quälendes Leiden.“ (S. 115) resümiert die Literaturwissenschaftlerin und Amateurdetektivin Kate Fansler im Gespräch mit Mr. Jablon, dessen Enkelkind Angelica Schülerin im Internat Theben ist. Im Spannungsfeld dieser drei Figuren entwickelt sich ein Erzählstrang, der perfekt für die Erzählphilosophie der 1926 geborenen feministischen Literaturwissenschaftlerin und Autorin Amanda Cross steht. Ruhig erzählt, klug geschrieben, eine spannende kriminalistische Handlung, gespeist aus dem unendlichen Universum literaturgeschichtlicher Vorlagen. Es scheint, als ob die Autorin selber im Internat lehrt und ermittelt. Es geht um Gut und Böse, das Aufeinanderprallen konservativer und aufbrechender gesellschaftlicher, persönlicher und familiärer Lebensentwürfe. Alles drin. Und gut auch: es gibt weitere Romane mit Kate Fransler!

 

„Steine zählen“ von Thomas Röthlisberger, Edition Bücherlese

Steine Zählen, Thomas Röthlisberger, edition bücherlese …

„Warum hast Du auf Märta geschossen, Matti?“, fragte Henrik im düsteren Flur. Märta hat Matti verlassen, nach 40 Jahren Ehe, die keine gemeinsame war. Röthlisberger erzählt in fesselnden 170 Seiten einen psychologischen Familienroman. Was bleibt vom Leben in festgeschriebenen Bahnen, wenn eine Umkehr nicht mehr möglich scheint? Zarte Pflänzchen früher Liebe zerplatzen, Familienbande bröckeln, Söhne und Väter fremdeln, der Polizist Henrik zehrt vom eigenen, zweiten Familienglück, ihm wichtiger als alles da DRAUSSEN. Am Ende strauchelt Matti über den Hof, Steine zählend, er versucht seinen Weg mit Fuß und Gehstock freizukicken, die Kräfte scheinen aufgebraucht, nur noch Steine zählen, Wegmarken, Hindernisse auf dem Lebenshof … Aller?

 

„Die Experten“ von Merle Kröger, Suhrkamp Verlag

Die Experten, Merle Kröger, Suhrkamp

„Warum geht ihr nicht nach Ägypten? Der Nasser hat sich in den Kopf gesetzt eine eigene Rüstungswirtschaft aufzubauen.“ Die junge Rita Hellberg folgt ihrer Familie nach Kairo, wird in die Welt(kriegs)logik militärischer neuer Weltordnungen hineingezogen. Dieser Roman ist ein Parforceritt duch die internationalen Spannungen der Nachkriegsgeschichte, deren Grundlage der Allmachts- und Zerstörungswahn der Nazis war, gespeist vom deutschen Ungeist und willfährigen Wissenschaftlern. In alle Welt wurden deutsche Ingenieure, Raketenforscher und Flugzugbauer abgeworben, Peenemünde, V2 und nun USA, Russland, Ägypten. Für die Techniker scheint zu gelten, „Auferstanden aus Ruinen“. Die Autorin kann Roman/Krimi/Politik erzählen, wurde dafür zu Recht mehrfach mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet. Im Argument Verlag u.a. für die großartigen Romane Havarie und Grenzfall. Und nun auch für Die Experten, 670 Seiten atemloses Lesen.

 

„Also das Lama zu uns kam“, von Ruth Janette Ruck, Insel Verlag

Als das Lama zu uns kam, Ruth Janette Ruck, Insel Verlag

„… und wie es unser Leben wunderbar durcheinanderbrachte.“ Vor einigen Jahren erschien im Insel Verlag Pawlowa. Ein kauziger Engländer rettet einen Zwergesel in Peschawar und reist mit ihm nach London. Ein fiktives Märchen, daß unserer harten globalisierten Welt den Spiegel vorhält. Das Lektorat hat nun nachgelegt. Allerdings keine Fiktion, eine wahre Geschichte. Auf einem walisischen Bauerhof wächst ein Lama als Haustier auf, bezaubert und verzaubert die Familie, die Menschen in der Umgebung mit Freundlichkeit und Eleganz. Eine Familiengeschichte und Nature Writing vom Feinsten. Nebenbei erfahren wir die Ursprünge dieser anmutigen Tiere als Nutztiere der Inka-Kultur und, wie könnte es anders sein, über die Vernichtung  der Inkas durch den europäischen Kolonialismus, hier in Form der spanischen Eroberungs- und Vernichtungswut. Trotzdem, glückliches Lesen!

 

„Die Woche“ von Heike Geisler, Suhrkamp Verlag

Die Woche, Heike Geisler, Suhrkamp

„Politik, Europa, Gegenwart, Alltag, Das Kann Einem Ja Nun Keiner Erzählen, Dass Das Keine Auswirkungen Hat,“. In Saisonarbeit, erschienen bei Spector Books, erzählt die Autorin von der Lagerarbeit bei der Krake/Amazon und davon, das mit solchen Zuständen „etwas faul ist „. In Die Woche ist das WIR ALLES und ALLE sind WIR. Alle Tage der Woche sind immer wieder ein Montag, ein Montag in Leipzig, Montagsdemonstrationen, Montagsirrungen und Montagswirrungen. Herrliche Selbstironie, manifestative Aufzählungen, Alltagsgeschichten der Erzählerin und ihrer Freundin Constanze, die proletarischen Prinzessinnen, sezieren eine Gegenwart, deren Frembestimmung mit Händen zu greifen ist.  „Mit besten Grüßen von uns für alle. Unsere Unordnung, sie lebe hoch!“ (S. 76) Das erinnert an Georg Büchners Anno 1834  im Der hessische Landbote geschriebenen Aufschrei „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“, alles schon dagewesen, oder immer noch da?

 

 

Author: Jörg Braunsdorf

Jörg Braunsdorf ist Inhaber der 2010 gegründeten Tucholsky-Buchhandlung in der Tucholskystraße 47 in Berlin-Mitte.
Auszeichnungen: 4-maliger Gewinner des Deutschen Buchhandlungspreises, zuletzt für das Jahr 2020

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