Die Form der Freiheit. Internationale Abstraktion nach 1945

Die Form der Freiheit - Museum Barberini Potsdam © kultur24.berlin

Die Form der Freiheit. Internationale Abstraktion nach 1945

 

Von Holger Jacobs

98.06.2022

Wertung: 🙂 🙂 🙂 🙂 (vier von fünf)

English text

Abstrakter Expressionismus und Informelle Kunst als neue Stilrichtungen nach dem 2. Weltkrieg

Wie ich schon aus Anlass früherer Ausstellungen zum Thema Impressionismus und dem späteren Expressionismus („Im-Ex“ Impressionismus-Expressionismus in der Alten Nationalgalerie 2015) in meinen Artikeln schrieb, hatte sich nach Erfindung der Fotografie 1839 der Malstil in der Kunst radikal geändert.

Fotografie

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts begannen die Künstler nicht mehr der perfekten Wiedergabe der Wirklichkeit hinterher zu eifern, sondern fingen an, ihre Umgebung nach ihren individuellen Gefühlen zu malen. Ob in der freien Natur oder im Atelier, das Wichtigste war nun der Moment des Malens und die Stimmung, in der der Künstler sich dabei befand.

Impressionismus – Expressionismus

Nach dem weichen, lichtdurchfluteten Impressionismus, bei dem jeder Gegenstand noch deutlich zu erkennen war, kam zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Expressionismus mit seinen starken, fast knalligen Farben, bei der die Körper gelb, der Wald blau und das Wasser grün wurden.
Die anschließenden Surrealisten ließen dann die Orte und Gegenstände verschwimmen und in die Lüfte steigen.

Schon der 1. Weltkrieg bildete eine Zäsur, der 2. Weltkrieg aber ließ alles Bisherige in der Kunst obsolet erscheinen und eine noch radikalere Antwort auf die Grauen der Vergangenheit schien notwendig.

1945

Keine einzige akademische Maltechnik sollte nach 1945 mehr Anwendung finden, nur die Leinwand als Basis zur Darstellung blieb zunächst noch erhalten.
Auf ihr wurde jetzt herumgewälzt (Yves Klein), Farben verschmiert (LEE KRASNER, Ehefrau von Jackson Pollock) Öle verspritz (JACKSON POLLOCK), Flüssigkeiten hin und hergeschwenkt (MORRIS LOUIS, HELEN FRANKENTHALER) und sogar zerkratzt und zerschnitten (Lucio Fontana) oder mit einem Flammenwerfer bearbeitet (OTTO PIENE).
Begriffe wie „Action-Painting“, Drip-Painting“ und Color Field Painting“ versuchten diesen neuen Techniken einen Namen zu geben.
Manchmal ging die Abstraktion soweit, dass nur noch eine einzige Farbe auf der Leinwand zu erkennen war, sogenannte MONOCHROME Bilder, wie bei AD REINHARDT und BARNET NEWMAN, mein persönlicher Favorit (ebenfalls in der Ausstellung im Museum Barberini zu sehen).

Arbeiten fast aller hier zitierten Künstler findet Ihr in unserer großen Bildergalerie am Ende des Artikels.

New York

Das neue Zentrum für die Kunst nach dem 2.Weltkrieg wurde NEW YORK.

Für die Etablierung New Yorks als das neue Zentrum für zeitgenössische Kunst gab es einen entscheidenden Grund::
Durch den Krieg in Europa und durch die Verfolgung der Nazis sind viele jüdische Künstler, aber auch Kunstschaffende, die als „Entartet“ diffamiert wurden, aus Europa in die USA geflohen. Dort trafen sie wiederum auf junge, aufstrebende, amerikanische Künstler, die jetzt mit den dort angekommenen europäischen Malern und Skulpteuren einen Melting Pot an Kreativität bildeten.

Unterstützt wurden sie dabei von Galeristen und Mäzenen in New York. Besonders PEGGY GUGGENHEIM, Tochter aus einer der reichsten Industriellen-Familien Amerikas (ihr Vater war beim Untergang der „Titanic“ ums Leben gekommen), kümmerte sich um die Künstler der neuen Avantgarde, denn sie war in den 2oer Jahren nach Paris gezogen und hatte dort Kontakt mit der Bohème der Seine-Metropole  bekommen, zu denen Künstler wie MARCEL DUCHAMP, MAN RAY, CONSTANTIN BRANCUSI, GEORGES BRAQUE, MARC CHAGAL, PIET MONDRIAN UND PABLO PICASSO gehörten und von denen sie Arbeiten kaufte.

Da Peggy Guggenheim selbst jüdischer Abstammung war musste sie ebenfalls Europa verlassen und floh im Juli 1941 mit all ihren erworbenen Kunstschätzen nach New York. Dort eröffnete sie im Jahre 1942 in der 30 West, 57th Street die Galerie „ART OF THIS CENTURY“, in der sie sowohl ihre Freunde aus Europa, als auch einheimische Künstler, wie MARK ROTHKO, JACKSON POLLOCK und ALEXANDER CALDER, ausstellte.

Ein weiterer wichtiger Unterstützer war ALFRED BARR, der erste Direktor des im Jahre 1929 eröffneten Museum of Modern Art („MOMA“) in New York.
Die Ausstellung „A New Decade; 22 European Painters and Sculptors“ im MOMA zeigte im Jahr 1957 Arbeiten von JEAN DUBUFFET bis FRITZ WINTER (beide in der Ausstellung im Museum Barberini zu sehen).
Und auf der Documenta II in Kassel im Jahre 1959 wurden bereits mehrere Arbeiten mit abstrakter Kunst ausgestellt.

Abstrakter Expressionismus

Der Begriff „ABSTRAKTER EXPRESSIONISMUS“ entstand 1946 durch den Kunstkritiker Robert Coates im Zusammenhang mit einer Einzelausstellung des deutsch-amerikanischen Künstlers HANS HOFMANN (auch in der Ausstellung im Museum Barberini zu sehen) in der Mortimer Brandt Gallery in New York. Die Künstler dieser Zeit im Big Apple wurden auch gerne unter dem Begriff NEW YORK SCHOOL genannt.
Bereits im Jahre 1936 hatte sich in New York die Vereinigung AMERICAN ABSTRACT ARTISTS gegründet.
Gründungsmitglieder waren u.a. AD REINHARDT, LEE KRASNER, PIET MONDRIAN, RAY EAMES und LOUISE BOURGEOIS.

Informel

In Europa etablierte sich der Begriff „INFORMEL“ für eine neue Kunstrichtung, die alles Vorherige über den Haufen warf.
Stil und Technik sollten nicht mehr zu definieren sein und völlig frei von jeder formellen Denkweise. Zu ihren Vertretern gehörten JEAN FAUTRIER, WOLS und HANS HARTUNG, SOWIE ERNST WILHELM NAY und FRITZ WINTER (alle in der Ausstellung im Museum Barberini zu sehen).

Zero

Aus der Bewegung des INFORMEL entwickelte sich die deutsche Gruppe „ZERO“, die mit dieser Bezeichnung ihr völliges Losgelöst-sein von allem Bisherigen darstellte. Zu ihnen gehörten OTTO PIENE (in der Ausstellung im Museum Barberini zu sehen), Heinz Mack und Günther Uecker.
Für sie war die Zeit nach dem 2. Weltkrieg die Stunde Null, wo alles neu beginnen sollte.

Fazit: Absolut sehenswert!
Wer wissen möchte, wie diese letzte und absoluteste Form der Abstraktion entstanden ist, der muss diese Ausstellung gesehen haben.
In 10 unterschiedlichen Abteilungen wird dem Besucher das Thema nähergebracht.
100 Werke aus unterschiedlichen Museen erwarten den neugierigen Betrachter.
Die Ausstellung wird anschließend auch in der Albertina in Wien und im Munch-Museum in Oslo zu sehen sein.

„Die Form der Freiheit. Internationale Abstraktion nach 1945“
Vom 4. Juni – 25. September 2022
Museum Barberini
Humboldtstrasse 5
14467 Potsdam
Mi – Mo 10 – 19 Uhr

Unsere Bildergalerie zeigt 2o Beispiele aus der Ausstellung im Museum Barberini:

Artwork by MARK ROTHKO, „No title“, 1954, Whitney Museum of American Art, Photo: Holger Jacobs

English text

The form of freedom. International abstraction after 1945

 

By Holger Jacobs


06/98/2022
Rating: 🙂 🙂 🙂 🙂  (four out of five)

Abstract Expressionism and Informal Art as new art styles after World War II

As I wrote in my articles on the occasion of earlier exhibitions on the subject of Impressionism and later Expressionism (“Im-Ex” Impressionism-Expressionism in the Alte Nationalgalerie in Berlin 2015), the style of painting in art had changed radically after the invention of photography in 1839.

Photography

From the middle of the 19th century, artists stopped striving for the perfect representation of reality and began to paint their surroundings according to their individual feelings.
Whether in the great outdoors or in the studio, the most important thing was the moment of painting and the mood in which the artist found himself.

Impressionism – Expressionism

After the soft, light-flooded Impressionism, in which every object was still clearly recognizable, came Expressionism at the beginning of the 20th century with its strong, almost gaudy colors, in which the bodies became yellow, the forest blue and the water green. Subsequent Surrealists then blurred the places and objects and soared into the air.
The First World War marked a turning point, but the Second World War made everything that had come before appear obsolete in art, and an even more radical response to the horrors of the past seemed necessary.

1945

Not a single academic painting technique was to be used anymore after 1945, only the canvas as the basis for the representation was initially preserved. It has now been rolled over (Yves Klein), paint smeared (Lee Krasner, wife of Jackson Pollock), oils splattered (Jackson Pollock), liquids swished (Morris Louis, Helen Frankenthaler), and even scratched and cut (Lucio Fontana) or processed with a flamethrower (Otto Piene).
Terms like „action painting“, „drip painting“ and „color field painting“ tried to give these new techniques a name.
Sometimes the abstraction went so far that only a single color could be seen on the canvas, so-called MONOCHROME paintings, as with Ad Reinhardt and Barnet Newman, my personal favorite (also on display in the Museum Barberini exhibition).
You can find works by almost all of the artists cited here in our large picture gallery at the end of the article.

New York

The new center for art after World War II became New York.
There was one decisive reason for establishing New York as the new center for contemporary art: Due to the war in Europe and the persecution of the Nazis, many Jewish artists, but also artists who were defamed as „degenerate“, fled from Europe to the United States. There they met young, up-coming American artists, who now formed a melting pot of creativity with the European painters and sculptors who had arrived there.
They were supported by gallery owners and patrons in New York.
PEHHY GUGGENHEIM, daughter of one of the wealthiest industrial families in America (her father died when the Titanic sank), was particularly concerned with the artists of the new avant-garde, because she had moved to Paris in the 1920s and had there getting in touch with the bohemian life of the Seine metropolis, which included artists such as Marcel Duchamp, Man Ray, Constantin Brancusi, Georges Braque, Marc Chagal, Piet Mondrian and Pablo Picasso, and from whom she bought work.
Since Peggy Guggenheim was of Jewish descent herself, she also had to leave Europe and fled to New York in July 1941 with all the art treasures she had acquired.
There she opened the gallery „ART OF THIS CENTURY“ at 30 West, 57th Street in 1942, in which she exhibited her friends from Europe as well as local artists such as Mark Rothko, Jackson Pollock and Alexander Calder.
Another important supporter was Alfred Barr, the first director of the Museum of Modern Art („MOMA“) in New York, which opened in 1929.
The exhibition “A New Decade; 22 European Painters and Sculptors” at the MOMA in 1957 featured works from Jean Dubuffet to Fritz Winter (both featured in the Museum Barberini exhibition).
And at the Documenta II in Kassel in 1959, several works with abstract art were already exhibited.

Abstract Expressionism

The term „Abstract Expressionism“ was coined by the art critic Robert Coates in 1946 in connection with a solo exhibition by the German-American artist HANS HOFMANN (also on view in the exhibition at the Museum Barberini) at the Mortimer Brandt Gallery in New York.
The artists of this time in the Big Apple were also often referred to under the term NEW YORK SCHOOL.
The association AMERICAN ABSTRACT ARTISTS had already been founded in New York in 1936. Founding members included AD REINHARDT, LEE KRASNER, PIET MONDRIAN, RAY EAMES  and LOUISE BOURGEOIS.

Informal

In Europe, the term „INFORMEL“ established itself for a new art movement that threw everything that came before it overboard.
Style and technique of artworks should no longer be definable and should completely free of any formal way of thinking.
Among their representatives were JEAN FAUTRIER, WOLS and HANS HARTUNG, as well as ERNST WILHELM NAY and FRITZ WINTER (all on display in the Museum Barberini exhibition).

Zero

The German group „ZERO“ developed out of the INFORMEL movement, which with this name represented their complete detachment from everything that had gone before.
Among them were OTTO PIENE (on display in the Museum Barberini exhibition), Heinz Mack and Günther Uecker.
For them, the time after the Second World War was the zero hour when everything was to start new.

Conclusion: Absolutely worth seeing!
If you want to know how this last and most absolute form of abstraction came about, you have to see this exhibition. The subject is brought closer to the visitor in 10 different departments. 100 works from different museums await the curious viewer.
The exhibition will then also be on view at the Albertina in Vienna and the Munch Museum in Oslo.
„The form of freedom. International abstraction after 1945”
From June 4th to September 25th, 2022
Museum Barberini
Humboldtstrasse 5
14467 Potsdam
Wed – Mon 10 a.m. – 7 p.m

Our picture series with 20 photo of the most important art works at the exhibition:

Artwork by MARK ROTHKO, „No title“, 1954, Whitney Museum of American Art, Photo: Holger Jacobs

 

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

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