Wer braucht schon Kunst?

Wer braucht schon Kunst? © kultur24.berlin

Wer braucht schon Kunst?

 

Von Klaus Honnef

12.1.2021

English text

Wer braucht, frage ich mich in diesen Tagen eifrigen Studiums, um ein paar Texte über Künstler, Kunst und Kunstwerke zu schreiben, eigentlich Kultur, Kunst gar?

Keine Frage: Ich brauche sie.

Zunächst, um materiell zu überleben.
Ich lebe vom Schreiben über Kunst.

Aber ist das alles?

Wohl kaum. Ich könnte zwar ohne Kunst leben, weiß aber aus Erfahrung, das dies ein ziemlich ödes Leben war und wäre.
Dennoch braucht niemand Kunst, um lebenstechnisch über die Runden zu kommen.

Vermutlich kommen die weitaus meisten Menschen auch so aus unterschiedlichen Gründen durch ihr Leben.
Was die Menschen brauchen ist neben einem Know how, die materiellen und sonstigen Anforderungen des Lebens zu bewältigen, eine Art Gesittung, das Elementare kultureller Bedingungen, um sich nicht gegenseitig ständig an den Kragen zu gehen und auf vielleicht vor-animlische Verhaltensweisen zurückzufallen.
Mehr nicht.

Wenn aber immer wieder behauptet wird, Kultur, Kunst gar, sei systemimmanent, ist das Unsinn.

Womöglich aber braucht ein Mensch sie jedoch, um sein Leben zufriedenstellender, anregender, erfüllter, oder auch aufregender zu gestalten, ohne sich in wirkliche Gefahr zu begeben, sozusagen als Test, Unerwartetes, Spannung und Risiko auszuhalten, so etwas wie Kultur und Kunst.

Doch davon muss man die Menschen erst einmal überzeugen.
Das ist schwer bis unmöglich.

Mindestens könnte man sie (mit ‚man‘ bezeichne ich das, was ich einmal pauschal als Kunst- oder Kulturbetrieb bezeichnen will, mithin auch mich selbst) animieren, zu überreden versuchen, ihnen den Glauben einzuflößen, dass sich für das eigene Wohlbefinden die Begegnung mit Kunst lohnen würde.

Wie mir vor über einem halben Jahrhundert Künstler und früher noch das Kino, das von den missgelaunten Kulturgewaltigen als niveaulos und, ja, gefährlich für meine seelische Gesundheit seinerzeit diffamiert wurde, es einflößten, so dass ich die Begegnungen stetig wiederholen musste.
Unter einem angenehmen Zwang.

Ich habe nie bedauert, dem Rat der Künstler gefolgt zu sein und Glücksmomente erfuhr, die ich als Kriegskind nicht für möglich gehalten hätte, eine Weite zu denken und zu fühlen, die mich mein Leben lang hat frei atmen lassen.

Wodurch ich viele, viele unangenehme und widerwärtige und schlimme Lebensphasen relativ unbeschädigt überstehen konnte.

Am allgemeinen Glauben in dieser Hinsicht mangelt es heute.

Klaus Honnef

English text

 

Who needs art?

 

by Klaus Honnef

01/12/2021

(A guest contribution by the art historian, art critic and curator Klaus Honnef, editor’s note)

Who needs, I ask myself these days of eager study, art and works of art, actually culture, art even?

No question: I need it.
First to materially survive.
I live from writing about art.

But is that all?

Hardly likely.
I could live without art, but I know from experience that this was and would be a pretty boring life.

Still, nobody needs art in terms of living technology.
Probably the vast majority of people get through their lives without art for various reasons.

What people need, in addition to the know-how to cope with the material and other demands of life, is a kind of morality and elementary cultural conditions, so that they do not fight each other and fall back on pre-animical behavior.
Not more.
But when it is said again and again that culture, even art, is systemically relevant, that is nonsense.

Perhaps, however, a person needs them in order to endure his life more satisfactorily, stimulating, fulfilling, or even more exciting, without putting himself into real danger, as a test, the unexpected, tension, risk, something like culture and art, so to speak.

But then you have to convince people first.

That is difficult or impossible.
At least one could (with ‚one‘  I mean something I would like to call the art or cultural institutions, including myself) animate, try to persuade them to believe that the encounter with art would be worthwhile for their own well-being, like for me.

How I was inspired by artists more than half a century ago, and even earlier by the cinema – which was defamed as low-level and, yes, dangerous for my mental health at the time by the disgruntled cultural powers – so that I had to keep repeating the encounters more and more. Under a pleasant compulsion.

I have never regretted taking their advice and experiencing moments of happiness that, as a war child, I would not have thought possible, a vastness of thinking and feeling that has allowed me to breathe freely all my life.
Thanks to which I was able to survive many, many unpleasant and disgusting and bad phases of life relatively undamaged.

There is a lack of general belief in this regard today.

Klaus Honnef

 

Author: Klaus Honnef

Klaus Honnef ist ein deutscher Kunsthistoriker, Kunstkritiker, Ausstellungskurator und Theoretiker für künstlerische Fotografie. Er ist Autor zahlreicher Bücher zur zeitgenössischen Malerei und Fotografie (Wikipedia). Er kuratierte u.a. für die DOKUMENTA 6 (1977) die Abteilungen Malerei und Fotografie. Er war Professor an mehreren Hochschulen und Mit-Autor u.a. des Buches „Die Kunst des 20. Jahrhunderts“ aus dem Taschen Verlag.

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