Wut von Elfriede Jelinek im Deutschen Theater
Von Holger Jacobs
12.3.2017
Liebe Kulturfreunde,
warum töten wir?
Als am 7. Januar 2015 elf Mitarbeiter der Satirezeitschrift Charlie Hebdo und einen Tag später weitere vier Menschen bei einem Anschlag auf einen jüdischen Supermarkt in Paris von radikalen Islamisten ermordet wurden war die Welt erschüttert.
Auch die österreichische Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek war von den Geschehnissen so ergriffen, dass sie versuchte Ihre Gefühle, oder besser ihre Wut, in Worte zu fassen.
Daraus ist das Bühnenstück „Wut“ entstanden, welches am 14. April 2016 in den Münchner Kammerspielen seine Premiere hatte. Die Regie übernahm Nicolas Stenmann, der schon häufig Stücke der Wienerin zur Uraufführung gebracht hatte. Es wurde vom Münchner Publikum überwiegend wohlwollend aufgenommen.
Nun also in Berlin, in den Kammerspielen des Deutschen Theaters, Regie: Martin Laberenz
Handlung – Keine
Bei Elfriede Jelinek werden die Texte nicht bestimmten Personen zugesprochen und auch die Zahl der Darsteller ist unbestimmt. ImTextbuch heißt es deshalb: Besetzung variabel…
Bei Jelineks neuem Stück versucht der Text den spezifischen Erregungszustand der Wut aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten: Sei es die Wut der Attentäter (weshalb sie ja wohl erst zu Mördern werden), sei es die Wut der Betroffenen oder die Wut der Zuschauer, die wiederum wütend auf die Attentäter sind.
Aber es geht noch weiter: Auch die Wut der Wutbürger mit Parolen wie „Wir sind das Volk“, wird thematisiert; Bürger, die wütend sind auf – ja auf was eigentlich?
Wut ist überall: Sei es auf den Nachbarn, sei es auf den blöden Fahrradfahrer (respektive Autofahrer), sei es auf die Reichen, die Banken, die Flüchtlinge, auf die Regierung, auf Merkel, auf die anderen eben, eigentlich auf alles. Dabei spielt es keine Rolle, ob wir uns im gutsituierten Deutschland befinden oder im völlig bankrotten Griechenland.
Apropos Griechenland: Hier hat für Elfriede Jelinek alles begonnen. In der griechischen Mythologie machte die Göttin Hera den Griechen Herakles so wütend, dass er seine ganze Familie umbrachte.
Also Wut als Auslöser zu töten?
Die Antwort auf die Anfangsanfrage meines Artikels, „warum töten wir?“, würde sicher den Rahmen dieser Berichterstattung sprengen. Aber Jelinek geht hier geschickt auf die Gesamtsituation unserer heutigen Welt ein – wobei sie zu der Zeit ihrer Niederschrift ja noch gar nicht die letzten Entwicklungen mit Donald Trump, Marie Le Pen, Geert Wilders und Recep Erdogan wissen konnte. Aber vielleicht hat sie es schon geahnt: es wird nur noch schlimmer!
Denn Wut ist mittlerweile allgegenwärtig und breitet sich epidemieartig aus. Hat einer mal damit angefangen, geht es auf den anderen über und so weiter und so weiter. Sei es der einfache Arbeiter in Mittelengland oder in dem so genannten „Rust belt“ in den USA – alle sind wütend. Und sie bringen genau die Politiker nach vorne, die diese Wut kanalisieren und für ihre eigenen egoistischen Zielen zu nutzen wissen?
Wenn diese Spirale nicht unterbrochen wird, dann wird die Wut sich weiter nach oben drehen bis sie durch Hass ersetzt wird und noch mehr Tot und Verderben das Resultat sein werden.
In München dauerte das Stück 4 Stunden (die Zuschauer durften bei offen gelassenen Türen ein und aus gehen und sich Getränke holen), bei Regisseur Martin Laberenz in den Kammerspielen des Deutschen Theaters dauerte es drei Stunden bei geschlossenen Türen.
Die erste Hälfte des Abends ist spannend, nachvollziehbar und teilweise mitreißend, ab der zweiten Hälfte baut die Inszenierung ab und der Zuschauer schleppt sich bei zunehmender Verwirrung durch die letzten 1 ½ Stunden. Dabei kann ich nicht sagen, ob es an den Texten lag oder an der Regie. Vielleicht an beiden. Denn ich habe noch keine Vergleichsmöglichkeiten.
Trotzdem ein wichtiges Stück zur richtigen Zeit.
Es spielen: Andreas Döhler, Sebastian Grünewald, Linn Reusse, Anja Schneider und Sabine Waibel
Deutsches Theater Berlin/ Kammerspiele
Schumannstr. 13a
10117 Berlin
Nächste Vorstellungen: 19. und 27. März; 7., 13. und 23. April 2017
Author: Holger Jacobs
Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
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Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.