Choreographing Politics: Nackte Tänzerinnen im Bode-Museum
Von Holger Jacobs
20.07.2022
Ausdruckstanz, Modern Dance und Performance im Museum für Spätantike, Gotik und Renaissance.
Dass Tanzperformances in einer Umgebung mit ganz anderen Kunstrichtungen präsentiert werden, geschieht recht häufig. Wir erinnern uns an die Reihe „Dialoge“ von Sasha Waltz, bei der sie zur Einweihung verschiedener Museen (oder auch der Elbphilharmonie) spezielle Choreographien zeigte.
So z.B. zur Neueröffnung des NEUEN MUSEUMS in Berlin 2009.
Gerade die statischen Formen der Skulpturensammlung des BODE-MUSEUMS auf der Museumsinsel in Berlin bilden einen wunderbaren Kontrast zu den Bewegungen von Tänzerinnen und Tänzern.
Die Initiatorin und Kuratorin Caroline Brandl hatte diese Idee bereits letztes Jahr umgesetzt, als sie im September 2020 das „Sculpture Festival“ im GEORG-KOLBE Museum organisierte, damals u.a. mit Choreographien von Sasha Waltz und Kat Valastur.
Nun in einem größeren Rahmen, sollte das BODE-MUSEUM „bespielt“ werden unter dem Titel „Choreographing Politics: Jérôme Bel & Kat Válastur“, am Samstag, den 16. und Sonntag, den 17. Juli 2022.
Ich interessierte mich besonders für den französischen Künstler und Choreographen Jérôme Bel, dessen Aufführungen häufig in einem Kontext zu anderen Künstler stehen.
Mit insgesamt vier Arbeiten zeigte Jerome Bel zeitgenössischen Tanz von ihrem Beginn Anfang des 20. Jahrhunderts bis heute. Inspiration fand er im Bode-Museum in der Skulptur „Die Tänzerin“ von Antonio Canova von 1812.
Den Anfang machte eine Choreographie beruhend auf Bewegungsstudien von Isadora Duncan (1877 – 1927) unter dem Titel „Water Study“ und eine weitere nach Mary Wigman (1886 – 1973) unter dem Titel „Pastorale“ mit der wunderbaren Tänzerin Sara Koluchova (siehe Foto mit blauem Kleid).
Danach eine Choreographie mit der Musik „Vier Jahreszeiten“ von Antonio Vivaldi mit Katharina Maasberg.
Anschließend versammelte sich das interessierte Publikum (mit ca. 200 Zuschauern ausverkauft) unter der großen Kuppel am Eingang zur Choreographie „Three Lions“ von Jerome Bel nach dem Stück „Temporary Title“ von Xavier Le Roy und Scarlett Yu.
„Temporary Title“ wurde 2015 in Sydney zum ersten Mal aufgeführt und zeigt eine Performance von 18 Schauspielern/ Tänzern, die über eine längere Zeit verschiedene Positionen einnehmen, darunter auch die Darstellung von Löwen mit eingezogenen Finger wie die Krallen eines Raubtieres, hocherhobenen Hintern und Kopf und durchhängendem Bauch und hechelnden Atembewegungen, wie es typisch ist für große Katzen und Hunde.
Jerome Bel übernahm von Xavier Le Roy den Part der Löwendarstellungen.
Es beginnt mit einer Art „Sit-In“ der Zuschauer rund um das überlebensgroße, ca. 10 Meter hohe Reiterstandbild des Kurfürsten von Brandenburg (1620 – 1688) im großen Kuppel-Saal.
Als alle sich niedergelassen haben und gespannt auf das Ereignis warten, geht eine Mitarbeiterin herum und verkündet, dass nun eine „Nude-Scene“ folgen würde. Wohl um aufgeschreckte Eltern zu warnen, falls sie noch minderjährige Kinder dabeihaben. Doch keiner verließ den Raum.
Plötzlich ziehen sich drei Frauen, mitten zwischen den Zuschauern sitzend, an drei verschiedenen Stellen des Raumes, langsam aus. Als sie ganz nackt sind beginnen sie sich auf allen Vieren, Hintern und Kopf nach oben gestreckt, in Richtung des Reiterstandbildes fortzubewegen.
Dort angekommen schmiegend sie sich aneinander und hecheln wie große Raubkatzen in der Hitze der Savanne. Langsam und behäbig krabbelt die eine mal hier hin, die andere mal da hin, während sie sich die Tatzen lecken und wieder aneinander schmiegen. Plötzlich taucht eine Tänzerin im Gewand einer Ballerina auf und bewegt sich zur Musik „Schwanensee“ von Tschaikovsky zwischen den Löwen hin und her.
Ziemlich gekonnt und ziemlich gewagt.
Die Darstellung der Löwen ist auf jeden Fall überzeugend gelungen.
Performer: Brit Rodemund (Ballet), Alice Heyward (Lions), Zeina Hanna (Lions), Scarlet Yu (Lions)
Da es von dieser Choreographie (verständlicherweise) keine offiziellen Fotos gibt, empfehle ich auf die Seite der australischen „Kaldor Public Art Project“ zu gehen, auf der Fotos der Performance von Xavier Le Roy „Temporary Title“ zu sehen sind.
Zum Schluss trafen sich Zuschauer und alle Tänzerinnen auf dem Vorplatz des BODE-MUSEUMS.
Hier zeigte Jerome Bel die Performance „Huddle“ der US-amerikanischen Tänzerin Simone Forti von 1961.
Dabei bilden alle Beteiligten einen Kreis, aus dem immer wieder eine Person hochsteigt und sich über die Gruppe erhebt (siehe Photo-Serie). Dieses Stück von Simone Forti gilt als bahnbrechend für die Entwicklung der Performance-Kunst.
Hier allerdings konnte es mich nicht überzeugen. Es sah mehr nach einer misslungenen Zirkus-Nummer aus.
Auch der Titel „Choreographing Politics“ lässt mich verwirrt zurück. Was hatten diese vier Tanzstücke mit Politik zu tun?
Aber Spaß gemacht hat es auf jeden Fall. Im Herbst soll es eine Fortsetzung geben.
Bilderserie mit vier Fotos der Aufführungen:
Author: Holger Jacobs
Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.