Christo und Jeanne-Claude – 25 Jahre verhüllter Reichstag
Von Holger Jacobs
10.10.2020
Anlässlich des 25. Jahrestages der Verhüllung des Reichstags zeigt das PALAIS POPULAIRE in Berlin die Ausstellung „Christo und Jeanne-Claude – Projects 1963 – 2020“ bis zum 17.08.2020.
Kein Künstlerpaar in der Kunstgeschichte ist so einzigartig und gleichzeitig so erfolgreich, wie Christo und Jeanne-Claude.
Christo, als Christo Vladimirov Javacheff 1935 in Bulgarien geboren, studierte an der Akademie der Künste in Sofia (deren Leiterin seine Mutter war) und emigrierte 1956 in den Westen. Ab 1958 lebte er in Paris, wo er bei einem Portrait-Auftrag die Tochter des Hauses, Jeanne-Claude de Guillebon, kennen und lieben lernte. Beide sind am selben Tag geboren. Alle Projekte, die Christo bis heute verwirklichte, sind aus einer gemeinschaftlichen Arbeit entstanden. Jeanne-Claude starb 2009 in New York an einer Hirnblutung. Seitdem arbeitet Christo an den Projekten alleine weiter, die sie noch beide gemeinsam entwickelt hatten.
Die Bilder und Objekte der Ausstellung im Palais Populaire stammen fast ausschließlich aus der Sammlung von Ingrid und Thomas Jochheim. Das Sammlerpaar aus Recklinghausen lernte Christo und Jeanne-Claude im Jahre 1994 kennen. Heute besitzen die Jochheims Arbeiten von fast allen Großprojekten des Künstlerehepaares.
Das bis heute wichtigste Projekt von Christo und Jeanne-Claude ist sicher die Verhüllung des Reichstagsgebäudes in Berlin, die vom 24. Juni bis 7. Juli 1995 stattfand. Sowohl von ihrer Optik, als auch von ihrer politischen Bedeutung her, bleibt diese Arbeit einzigartig. Selbst wenn beide immer betonten, ihre Werke hätten keine politische Botschaft, so ist die Verhüllung doch ein eindeutiges Statement an die Vergangenheit dieses Gebäudes und an diesen Ort.
Christo erlebte den Bau der Berliner Mauer als junger bulgarischer Flüchtling in Paris und soll, laut Zeitzeugen, außer sich vor Wut gewesen sein.
Es veranlasste ihn und seine junge Geliebte Jeanne-Claude zu ihrem ersten gemeinsamen Projekt: „Mauer aus Ölfässern – Eiserner Vorhang“. Dabei versperrten sie mit 89 Ölfässern die schmale Gasse rue Visconti im 6. Arrondissement in Paris. Nach kurzer Zeit kam die Polizei und alles musste wieder abgebaut werden. Dennoch: es war der Startschuss für Projekte dieser Art und viele weitere sollten bis heute (*) noch folgen.
Jeanne-Claude und Christo heirateten nur wenige Monate später.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Christo immer nur kleine Objekte verhüllt oder zusammengeschnürt. Doch das sollte sich bald ändern.
Zunächst zog das Paar 1964 nach New York, wo sie den Rest ihres Lebens verbringen sollten. Christo, der in Paris noch Kontakt zu Künstlern des NOUVEAU RÈALISME, wie Yves Klein und Niki de St. Phalle hatte, stellte seine Objekte bei dem Galeristen Leo Castelli, selbst europäischer Immigrant, aus. Castelli war in den 50- und 60er Jahren der wichtigste Galerist für die Avantgarde der Nachkriegszeit.
Und New York löste gerade Paris als wichtigste Kunststadt der Welt ab.
Castelli zeigte Werke von Jackson Pollock, Jasper Johns, Robert Rauschenberg, Willem de Kooning, Roy Lichtenstein und Andy Warhol. Ein wahrer Kunstrausch beflügelte damals die Stadt, die niemals schläft. Und Christo und Jeanne-Claude waren mittendrin.
Im Jahre 1968 wurden Christo und Jeanne-Claude zur DOKUMENTA IV nach Kassel eingeladen. Ihr Objekt, eine fliegende Wurst, platzte in der Luft und war ein Desaster. Doch ihr Name blieb im Gedächtnis vieler Kuratoren.
Im Jahre 1969 verpackten Christo und Jeanne-Claude einen Küstenstreifen in Australien, 1970 folgte „Valley Curtain“, bei dem ein Vorhang aus orangefarbenen Nylongewebe über ein 400 Meter breites Tal gespannt wurde. Der Windstöße zerfetzten den Stoff und nach nur 28 Stunden wurde wieder alles abgehängt.
Viele weitere Projekte folgten in den nächsten 20 Jahren, wie „Running Fences“ (1973), „Surrounded Islands“ (1983), die Verhüllung der Pont Neuf in Paris (1985), The „Umbrellas“ (gleichzeitiger Aufbau von über 1000 Schirmen in Japan und Kalifornien, 1991) – bis am 25. Februar 1994 im Deutschen Bundestag eine Abstimmung über die Realisierung eines Projektes namens „Verhüllter Reichstag“ stattfand.
Ein von Christo und Jeanne Claude seit 24 Jahren geplantes Projekt.
Härtester Gegner war damals Bundeskanzler Helmut Kohl. Doch mit 292 Ja- Stimmen zu 223 Nein-Stimmen wurde das Projekt angenommen.
Die Verhüllung des Reichtags in Berlin begann am 17. Juni 1995.
100.000 qm feuerfester Stoff, mit einer extra Aluminiumschicht übergezogen, wurde von Hunderten von freiwilligen Helfern in nur sieben Tagen über den (noch nicht von Sir Norman Foster renovierte) Reichstag gezogen und mit 15.000 Meter Seil festgezurrt.
Am 24. Juni war Eröffnung und über 5 Millionen Menschen pilgerten innerhalb von 14 Tage zu dem in der Sonne schimmernden Palast. Zeugen erinnern sich, dass Berlin seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr so geglänzt hätte, sowohl real, sowie auch im Herzen.
Die Verhüllung des Reichstags bleibt ein einmaliger Fall in der deutschen Kunstgeschichte. In seiner Schönheit und in seiner Wirkung.
Christo und Jeanne-Claude. Projects 1963 – 2020
Palais Populaire
Unter den Linden 5, 10117 Berlin
Mi – Mo 11 – 18 Uhr. Achtung: Wegen Corona ist die Zahl der Besucher begrenzt.
Jeden Wochentag um 14.00 Uhr und Sa + So um 16.00 Uhr zeigt das Haus den Film „Dem Deutschen Volke – Verhüllter Reichstag“ von Wolfram und Jörg Hissen in einem gesonderten Vorführraum.
Zeitgleich zur Ausstellung im Populaire findet eine Ausstellung im Center Pompidou in Paris statt.
(*) Nachtrag: Die für diesen September geplante Verhüllung des l‘ Arc de Triomphe in Paris ist wegen der Corona-Pandemie auf nächstes Jahr verschoben.
Hier unsere Bilderserie mit 18 Fotos von der Ausstellung im Palais Populaire:
English text
Christo and Jeanne-Claude – 25 Years Wrapped Reichstag
By Holger Jacobs
10/10/2020
On the occasion of the 25th anniversary of the wrapping of the German Reichstag, the PALAIS POPULAIRE in Berlin is showing the exhibition „Christo and Jeanne-Claude – Projects 1963 – 2020“ until August 17, 2020.
No pair of artists in the entire history of art is as unique and at the same time successful as Christo and Jeanne-Claude.
Christo, born as Christo Vladimirov Javacheff in Bulgaria in 1935, studied at the Academy of Arts in Sofia (headed by his mother) and emigrated to the west in 1956. From 1958 he lived in Paris, where he got to know and love the daughter of the house, Jeanne-Claude de Guillebon, on a portrait assignment. Both were born on the same day. All projects that Christo has carried out to date have resulted from a collaborative effort. Jeanne-Claude died of a cerebral haemorrhage in New York in 2009. Since then, Christo has continued to work on the projects that both of them had developed together.
The pictures and objects of the exhibition in the Palais Populaire come almost exclusively from the collection of Ingrid and Thomas Jochheim. The collector couple from Recklinghausen met Christo and Jeanne-Claude in 1994. Today the Jochheims own works from almost all of the artist couple’s major projects.
Christo and Jeanne-Claude’s most important project to date is the covering of the Reichstag building in Berlin, which took place from June 24th to July 7th, 1995. This work remains unique both in terms of its appearance and its political importance. Even though both always emphasized that their works had no political message, the veiling is a clear statement of the past of this building and this place.
Christo experienced the construction of the Berlin Wall as a young Bulgarian refugee in Paris and, according to contemporary witnesses, is said to have been furious. It prompted him and his young lover Jeanne-Claude to start their first joint project: „Wall from oil barrels – iron curtain“. They blocked the narrow rue Visconti in the 6th arrondissement in Paris with 89 oil barrels. After a short time the police came and everything had to be cleared away. Nevertheless: the starting signal for this type of project was done and should continue to this day. Jeanne-Claude and Christo married just a few months later.
Up to this point, Christo had only covered or tied up small objects. But that should change soon.
The couple first moved to New York in 1964, where they were to spend the rest of their lives. Christo, who was still in contact with Nouveau Réalisme artists like Yves Klein and Pierre Restany in Paris, exhibited his objects with the gallery owner Leo Castelli, who was himself a European immigrant. Castelli was the most important gallery owner for the post-war avant-garde in the 1950s and 1960s. And New York replaced Paris as the most important city of art in the world. Castelli showed works by Jackson Pollock, Jasper Johns, Robert Rauschenberg, Willem de Kooning, Roy Lichtenstein and Andy Warhol. A real frenzy of art then inspired the city in the New World. And Christo and Jeanne-Claude were right in the middle of it.
In 1968 Christo and Jeanne-Claude were invited to DOKUMENTA IV in Kassel. Her object, a flying sausage, burst in the air and was a disaster. But many curators remembered her name.
In 1969 Christo and Jeanne-Claude packed a coastal strip in Australia, followed in 1970 by „Valley Curtain“, in which a curtain made of orange nylon fabric was stretched over a 400 meter wide valley. Gusts of wind tore the fabric apart and after just 28 hours everything had to be removed.
Many other projects followed in the next 20 years, such as „Running Fences“ (1973), „Surrounded Islands“ (1983), the covering of the Pont Neuf in Paris (1985), The „Umbrellas“ (simultaneous construction of over 1000 umbrellas in Japan and California, 1991) until on February 25, 1994 a vote was held in the German Bundestag on the implementation of a project called the „Veiled Reichstag“. A project planned by Christo and Jeanne Claude for 24 years. Chancellor Helmut Kohl was the toughest opponent. However, the project was accepted with 292 votes in favor and 223 against.
The wrapping of the Reichtag in Berlin began on June 17, 1995. 100,000 square meters of fire-retardant fabric, covered with an extra aluminum layer, was pulled over by hundreds of volunteers in just seven days over the entire building (not yet renovated by Sir Norman Foster) and with 15,000 meters of rope tied down. The opening was on June 24 and over 5 million people made a pilgrimage to the sun-shimmering palace in just 14 days. Witnesses remember that Berlin had not shone so much since World War II, both real and in the heart.
The covering of the Reichstag remains a unique case in German art history. In its beauty and in its effect.
Christo and Jeanne-Claude. Projects 1963 – 2020
Palais Populaire
Unter den Linden 5, 10117 Berlin
Wednesday – Monday 11 a.m. – 6 p.m. Attention: Because of Corona the number of visitors is limited.
Every weekday at 2 p.m. and Sat + Sun at 4 p.m. the house shows the film „The German People – Veiled Reichstag“ by Wolfram and Jörg Hissen in a separate screening room.
Please find within our picture series of 18 photos from the exhibition:
Author: Holger Jacobs
Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.