Der Steppenwolf im Deutschen Theater

Der Steppenwolf - Hermann Hesse -Deutsches Theater @ kultur24.berlin

Der Steppenwolf im Deutschen Theater

 

Von Marty Sennewald

09.05.2022

Als ich vergangene Woche den Anruf und die Frage erhielt, ob ich zur Premiere der Bühnenadaption von „Der Steppenwolf“ im Deutschen Theater gehen wolle, lag das Buch gerade vor mir auf dem Tisch. Ich hatte es aus einer Laune heraus aus dem Regal gezogen und die ersten Seiten gelesen.
DER STEPPENWOLF von Hermann Hesse ist eines der Bücher, das mich schon lange begleitet, das ich oft gelesen habe, und in dem ich durch die Jahre manche Leiden und Lasten in einer Weise ausgedrückt fand, die mich verändert zurückließen.

Dass Hesse heute im Feuilleton eher wie ein abgekautes Kaugummi behandelt wird, wie eine alte Leier, die nicht mehr recht in unsere Welt passt und von der zu hören man nicht unbedingt profitiert, nun, das ist eine Sicht auf den liebenswürdigen HARRY HALLER, die ich entsprechend nicht zu teilen gewillt bin.
Mit dem Buch in der Tasche machte ich mich also auf den Weg voller Erwartungen und sah einer außergewöhnlichen Abendunterhaltung, einem magischen Theater, dessen Eintritt – so hoffte ich – den Verstand kostet, entgegen.

Deutsches Theater Berlin am 04.05.2022, Photo: Holger Jacobs

Im Foyer bekomme ich erste Hinweise.
Die Bearbeitung des Schriftsteller THOMAS MELLE zusammen mit der Inszenierung von Regisseurin LIJA RUPPRECHT versucht – wer hätte es geahnt – den Stoff in die Gegenwart zu holen.
Und das wird dann auch in aller Inkonsequenz gemacht. Der Text hält dem Original in langen Passagen die Treue und sucht sich dort abzuheben, wo die Handlung in ein soziales und kulturelles Umfeld einlagert wird. Dann wird in den Sphären der Kunst nicht mit Mozart der Himmel durchflogen und Gott bei der Arbeit gesehen, sondern eben im Techno-Club um die Ecke.

Die „Krankheit der Zeit“, die HERMANN HESSE vor nunmehr 95 Jahren einzufangen suchte (der Roman erschien 1927) – eine Welt zwischen Wilhelminismus und aufkeimender Demokratie, Traditionalismus und dem amerikanischen Traum vom Fortschritt, zwischen einem sich aufbäumendem Nationalismus und Sozialismus – das sind mit Konfliktpotenzial besetzte Signaturen, die auch in unseren Tagen, wenn auch in neuem Gewand, wiederzukehren scheinen.
Diese Brücken aufzumachen hat man sich mit der Inszenierung vorgenommen.

Hermann Hesse, 1925, Photo: Gert Widmann -cc- Wikimedia Commons

Aber in welcher Zeit das Stück nun tatsächlich anzusiedeln ist, darüber lässt sich grübeln.
Im Gespräch mit dem Professor wird über die Kritik am Kaiser parliert.
Das große Gespräch über Musik dann doch über dem Thema Jazz – und nicht über den Technotempeln – entfaltet.
Das führt zu gelinder Verwirrung.

Was übrigens die Inszenierung des Gesprächs Hallers mit dem Professor anbelangt:
Es ist ja bekannt, dass der Humor als Form der Weltbegegnung und -bewältigung eine außerordentliche Rolle im Steppenwolf einnimmt.
Aber einerseits im Bemühen stehen, die Thematiken des Steppenwolfes zu aktualisieren und andererseits gerade jene Stelle, welche die intellektuellen Verirrungen der 20er Jahre problematisiert, zu nutzen, um daraus eine Lachnummer zu machen, indem man dem Professor und seiner Gattin Masken aus der Sesamstraße überzieht und das Gespräch absolut versagen lässt, das scheint mir doch gewagt im Umgang mit dem möglichen Potential, die Gefahren und Probleme auch unseren eigenen Zeit ins Scheinwerferlicht zu rücken.

Aber ich bin noch guter Dinge.
Das magische Theater findet verheißungsvolle Erwähnung und lässt mich in freudiger Erwartung der Inszenierung folgen.

In groben Zügen hält sich die Aufführung an den Ablauf des Romans, wenngleich die Verdichtungen und Verschiebungen die Erzählung streckenweise vereindeutigen.
Das eingelagerte Tractat vom Steppenwolf wird auf die Thematik des Selbstmörders heruntergekürzt, die Zerrissenheit Harry Hallers, die in unterschiedlichen Personifikationen auf das gesamte Ensemble verteilt wird, gibt mir zuweilen den Eindruck einer vereinfachten Lesart.
Da hat der Steppenwolf des Romans doch einiges mehr an Tiefe und Reflektion zu bieten.

Unser Video-Trailer vom „Steppenwolf“:

Lichtblicke gibt es auch.
Wenn Haller auf Hermine trifft, findet wirklich einmal Theater auf der Bühne statt, Manuel Harder und Katrin Wichmann geben ein grandioses Duo ab.
Überhaupt liegen die Einwände nicht auf der Seite schauspielerischer Leistung. Auch Natali Seelig, Helmut Mooshammer und Elias Arend spielen souverän und gewitzt. Und die Unterstützung von Juliana Götze und Jonas Sippel aus dem Ensemble des RambaZamba Theaters ist eine Pointe der Inszenierung, die ich nicht missen will.

Und doch: Nach zwei Stunden stellt sich im Saal eine gewisse Ungeduld ein. Die hinteren Reihen lichten sich und im Takt der Minuten öffnet sich leise und verstohlen eine der Türen des Saales und wirft grelles Licht über die Sitzreihen.

Auch ich möchte nun gern ins magische Theater eingelassen werden, möchte die Leiden Harry Hallers überwinden, möchte den Tanz um seine Ich-werdung mit ihm begehen.

Aber dieser Becher wird dem Publikum an diesem Abend nicht gereicht.
Es gibt nämlich kein magisches Theater. Die Handlung driftet ab und Haller, der überhaupt etwas überzeichnet und ein wenig zu ruppig daher kommt, ihm gebührt nicht die ersehnte Heilung und die Ankunft in den Gängen des magischen Theaters, ihm gebührt an diesem Abend eine irritierend ausufernde Mordphantasie und ein abruptes Ende.

„Der Steppenwolf“. Hermann Hesse @ Suhrkamp Verlag

Hesse hatte einmal über die Lesart des Steppenwolfes geschrieben:

„Ich kann und mag natürlich den Lesern nicht vorschreiben, wie sie meine Erzählung zu verstehen haben. Möge jeder aus ihr machen, was ihm entspricht und dienlich ist! Aber es wäre mir doch lieb, wenn viele von ihnen merken würden, dass die Geschichte des Steppenwolfes zwar eine Krankheit und Krisis darstellt, aber nicht eine, die zum Tode führt, nicht einen Untergang, sondern das Gegenteil: eine Heilung.“

Diese Heilung, die der Roman so gekonnt ausspielt, bleibt der Inszenierung versagt. Eine irritierend pessimistische Auslegung des Steppenwolfes, die gerade jene lichten Momente des Romans entbehrt, und auch mich in dieser Hinsicht enttäuscht zurücklässt.

Der Steppenwolf von Hermann Hesse
In einer Bearbeitung von Thomas Melle
Deutsches Theater Berlin
Premiere war am 07.05.2022
Regie: Lilja Rupprecht, Bühne und Kostüme: Christina Schmitt, Musik: Philipp Rohmer.
Mit: Elias Arens, Manuel Harder, Helmut Mooshammer, Jonas Sippel, Katrin Wichmann, Natali Seelig, Juliana Götze

Bilderserie mit 14 Fotos der Theaterproduktion:

„Der Steppenwolf“, Deutsches Theater Berlin, Photo: Andreas Wilcke

 

Author: Marty Sennewald

Marty Sennewald promoviert zurzeit an der Humboldt-Universität zu Berlin im Fach „vergleichende Literaturwissenschaft“. 

Daneben ist er als freiberuflicher Schriftsteller und Musiker tätig, lebt und arbeitet in Berlin.

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