Der Theatermacher von Thomas Bernhard im Berliner Ensemble

DER THEATERMACHER - Berliner Ensemble - Stefanie Rheinsberger - Photo: Matthias Horn

Der Theatermacher von Thomas Bernhard im Berliner Ensemble

 

Von Marty Sennewald

22.10.2022

Oliver Reese inszeniert Bernhard und damit ein Stück Theatergeschichte.

Bruscon (Stefanie Reinsperger) ist schon am Ende, noch ehe das Stück angefangen hat.
Er wirkt nervös, angefressen, unruhig. Immer wieder unkontrolliertes Zucken seiner Hände, des Halses, des Kopfes.
Dieser Theatermacher, erfolglos wie selbstüberschätzend, diese Karikatur eines kunstversessenen Tyrannen, ist in einem Gasthof in Utzbach aufgetaucht. Hier will er großes Theater spielen. Das Rad der Geschichte, wie er nicht müde wird zu betonen.
Nur soll es ihm nicht gelingen.
In den Ecken des Schwarzen Hirsches hängen Spinnweben, überall Hausrat und Müll. Die Bühne ist marode. Der Gastwirt apathisch und versoffen. Gäste sind so gut wie keine zu erwarten.
Und zu guter Letzt ist Bruscon ein Frauenhasser und Choleriker, ein Unterdrücker und Beschimpfer, ein Gewalttäter und Machtgieriger. Erleichternd also, dass am Ende ein Gewitter tobt, die Decke durchbricht und die geplante Aufführung ins Wasser fällt.

Der Theatermacher von Thomas Bernhard ist eine bissige Abrechnung mit dem Theater- und Kunstbetrieb.
Und auf bissige Stimmen hat sich Thomas Bernhard verstanden.
Der Theaterbetrieb, den er beschreibt, ist jedoch ein vergangener.
1985 hatte das Stück Uraufführung.
Unter der Regie von Claus Peymann in Salzburg. Da wurde gerade Gorbatschow Generalsekretär der KPdSU. Da stand die Mauer noch vergnüglich im Land.
Da gab es in den Spielhäusern der Republik tatsächlich nur Theatermacher und keine Theatermacherinnen.

Thomas Bernhard, 2015 © Berliner Ensemble

Die Aufführung

Für Stefanie Reinsperger ist es eine Marathon-Vorstellung. Mit gelinden 95 Prozent Redeanteil steht sie permanent im Fokus.
Das Stück mäandert schließlich über weite Teile um die nicht enden wollenden Monologe Bruscons. Und Stefanie Reinsperger, sie meistert die Dauerbelastung, hält die Spannung.
Über zwei Stunden schreit, springt, faucht und wütet Stefanie Reinsperger über die Bretter des alten Gasthofes.

Der ist übrigens äußerst verspielt und detailverliebt hergerichtet und tröstet an mancher Stelle über die Monotonie des Stückes selbst.
Von einer tatsächlichen Handlung ist in der Partitur nämlich nicht viel zu finden.
Das verfluchte Notlicht soll am Ende der Vorführung bitte ausgeschaltet werden.
Und die Frittatensuppe natürlich, ohne Fettaugen, wie Herr Bruscon wünscht.
Das sind die zwei handlungstreibenden Momente dieser kuriosen Komödie, ansonsten passiert nur wenig.

„Der Theatermacher“, Berliner Ensemble, Stefanie Reinsberger, Photo: Matthias Horn

Kritik der Kritik

Auf der Premierenfeier im Anschluss fragt mich eine Frau, warum man überhaupt so ein Stück spiele.
Gerade heute, es passe nun wirklich nicht mehr in unsere Zeit, so etwas könne man schlicht nicht mehr machen.

Nun, tatsächlich, schaue ich mir den Text an, fühle ich Unbehagen.
Bruscon betört seine Tochter, scheucht seine Frau herum und drangsaliert seinen Sohn.
Überhaupt kommen Frauen in der Weltsicht Bruscons äußerst schlecht weg. Fürs Theater seien sie gänzlich ungeeignet, und wenn man es genauer betrachte, für das Leben im Allgemeinen auch.

Warum also inszeniert das Berliner Ensemble dann dieses Stück? Und warum übernimmt gerade dieses Stück der Intendant Oliver Reese persönlich?

„Der Theatermacher“, Berliner Ensemble, Photo: Matthias Horn

Zum einen ist das Stück mit der Geschichte des Berliner Ensembles eigentümlich verwoben.
Oliver Reeses Intendanz-Vorgänger Claus Peymann hatte ja 1985 die Uraufführung des Theatermachers selbst einstudiert.
Die Beschäftigung mit dem Stoff ist also auch eine Beschäftigung mit der eigenen Herkunft und Vergangenheit des Hauses.
Die Schatten der großen Theatermenschen, die Bernhard zur Schablone gedient haben, geistern auch durch die Gänge des Berliner Ensembles.
Ja, es ist schlicht derselbe vom Feuilleton der 80er gelobte Kreis führender Theatermacher, der die eigene Vergangenheit und die Vorlage des Stückes bildet. Und in dieser Selbst-Demaskierung, die Oliver Reese damit unterschwellig auf die Bühne bringt, liegt für mich durchaus eine Möglichkeit zur Akzeptanz.

Ein anderes ist unser genereller Umgang mit Kritik.
In einer Zeit, in der das Unliebsame vornehmlich verdrängt, durchgestrichen und gelöscht wird, fällt die unmittelbare Konfrontation damit immer schwerer, ist immer weniger zu ertragen.
Die Themen, die Bernhard in seinem Stück verhandelt, haben schließlich nichts an ihrer Prominenz verloren.
Fragen nach Macht, Geschlecht, Ausbeutung und Unterdrückung treiben auch noch die Gegenwart um.
Aber eine latente Empfindlichkeit scheint sich eingeschlichen zu haben und macht den Umgang mit diesen Themen zunehmend problematisch.
Thomas Bernhard drückt mit dem Finger unverhohlen in die Wunde.
Zu Recht, wie ich finde.
Mein Gegenüber allerdings schweigt. Ihr scheinen meine Ausführungen dürftig. Aber das darf zum Glück jeder selbst entscheiden.

 

„Der Theatermacher“ von Thomas Bernhard

Premiere am 20.10.2022

Berliner Ensemble

Regie: Oliver Reese

Bühne: Hansjörg Hartung

Kostüme: Elina Schnizler

Komposition: Jörg Gollasch

Mit: Stefanie Reinsperger, Christine Schönfeld, Dana Herfurth, Adrian Grünewald, Wolfgang Michael

 

Bilderserie mit 10 Fotos der Produktion „Der Theatermacher“:

Stefanie Reinsperger, Dana Herfurth, Adrian Grünewald, „Der Theatermacher“, Berliner Ensemble, Photo: Matthias Horn

 

Author: Marty Sennewald

Marty Sennewald promoviert zurzeit an der Humboldt-Universität zu Berlin im Fach „vergleichende Literaturwissenschaft“. 

Daneben ist er als freiberuflicher Schriftsteller und Musiker tätig, lebt und arbeitet in Berlin.

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